beck-aktuell: Der Klimawandel gehört zu den zentralen Herausforderungen unserer Zeit, schreiben Sie in Ihrem Gutachten. Wieso bedarf es neuer Ansätze im Gesellschaftsrecht, um dieser Herausforderung zu begegnen?
Weller: Mit dem Pariser Klimaabkommen hat die Bundesrepublik sich dazu verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu werden. Dazu hat sie das Bundesklimaschutzgesetz verabschiedet. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neben dem Staat selbst und den privaten Haushalten auch die Unternehmen einen Teil beitragen.
Traditionell wird für gesellschaftspolitische Belange das öffentliche Recht herangezogen. Allerdings gibt es Bereiche, in denen das nicht ausreicht. Dann kommt privates Enforcement zum public Enforcement flankierend hinzu. Beispiele dafür existieren schon, etwa im Kartell- und Kapitalmarktrecht sowie im Außenwirtschaftsrecht und der Lieferkettenregulierung.
Außerdem wissen die Unternehmen selbst oft am besten, an welchen Stellen sie CO2 einsparen können. Daher erscheint mir das Gesellschaftsrecht als ergänzendes Instrument sehr geeignet.
"Vorschläge relativ freiheitswahrend ausgestaltet"
beck-aktuell: Ist damit automatisch ein großer Eingriff in die Privatautonomie verbunden?
Weller: Das glaube ich nicht. Die Privatautonomie erlaubt es, solange frei zu wirtschaften, wie keine Interessen Dritter beeinträchtigt werden. In dem Moment, in dem ein unternehmerisches Handeln soziale Kosten verursacht, ist der Staat gefragt, dafür zu sorgen, dass diese Kosten wieder internalisiert werden. So ist es auch beim CO2-Ausstoß. Unsere Vorschläge sind zudem relativ freiheitswahrend ausgestaltet und gehen mit dem Grundgedanken der Privatautonomie konform, weil die Klimaquote und die Klimarechtsform bei freiwilligen Entscheidungen und autonomen Spielräumen ansetzen.
beck-aktuell: Der EU-Gesetzgeber denkt ja in eine ganz ähnliche Richtung. Kommen die Klima-Pflichten für Unternehmen sowieso?
Weller: Ja, das ist tatsächlich ein internationaler Trend. Völkerrechtliche Abkommen wie das Kyoto-Protokoll oder das Pariser Klimaabkommen binden zwar bisher nur die ratifizierenden Staaten, allerdings hat der EU-Gesetzgeber schon vor geraumer Zeit angefangen, auch Unternehmen zu adressieren.
So hat die EU-Kommission schon 2019 mit dem Green Deal ein Konzept vorgestellt, wie die EU bis 2050 klimaneutral werden soll, und dort ganz geschickt auch den Kapitalmarkt adressiert. Jetzt kommen zwei weitere wichtige Richtlinien aus Europa: Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Dilligence Directive (CSDDD). Beide enthalten Pflichten für Unternehmen in Bezug auf das Klima: Die CSRD sieht Berichtspflichten vor, die CRDDD mit ihrem Art. 22 auch Verhaltenspflichten für Unternehmen. So gibt die EU vor, dass große Unternehmen sich mit dem Ziel der Klimaneutralität transformieren müssen. Der deutsche Gesetzgeber muss diese Vorgaben nun ohnehin umsetzen. Da setzt unser Gutachten an und macht Vorschläge, wie man diese Umsetzung bewerkstelligen könnte.
"Eine Quote nach dem Vorbild der Geschlechterquote"
beck-aktuell: In Ihrem Gutachten benennen Sie drei Stellschrauben, an denen im Gesellschaftsrecht gedreht werden könnte. Als erstes schlagen Sie eine Klimaquote für Großunternehmen vor. Was genau ist damit gemeint?
Weller: Die Klimaquote ist eine Jahreszielgröße. Sie beschreibt den prozentualen Anteil der CO2-Reduktion im Vergleich zu einem Referenzjahr. Die Idee ist, dass Großunternehmen dazu verpflichtet werden, einen Klimatransformationsplan aufzustellen und darin festzulegen, wie viel CO2 sie jährlich einsparen können. Die jährliche Höhe der Quote kann von den Unternehmen frei gewählt werden; sie muss dabei nur so bemessen sein, dass insgesamt am Ende – also im Jahr 2045 – die Klimaneutralität steht. Es handelt sich also in der konkreten jährlichen Ausgestaltung um ein privatautonomiekonformes Instrument.
Als Regelungsvorbild dient dafür die Geschlechterquote des § 76 AktG, wonach der Vorstand großer Unternehmen eine Zielgröße für den Frauenanteil in Führungsebenen festlegen muss. Letztlich ist die Quote ein Selbstbindungsmechanismus, um Unternehmen zum Planen zu bewegen. So könnten Unternehmen auch etwa für die ersten Jahre eine Quote von Null festlegen, zum Beispiel, weil sie zunächst die Technologien etablieren müssen, mit deren Hilfe die CO2-Reduktion dann gelingt. Allerdings bleibt das Endziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 bestehen, das heißt, die Unternehmen müssten dann niedrige Quoten in den ersten Jahre durch höhere Quoten in den Folgejahren ausgleichen.
"Keine scharfen Sanktionen"
beck-aktuell: In Deutschland gibt es knapp 3,5 Millionen Unternehmen. Die Klimaquote soll aber nur wenige betreffen. Was ist mit den übrigen?
Weller: Das stimmt. Zu dieser Quote sollen zunächst aus dem Kreis der mitbestimmten und börsennotierten Unternehmen nur die besonders großen Unternehmen verpflichtet werden, die auch unter die CSDDD fallen. Das ist auch sinnvoll, denn aufgrund ihrer Berichtspflichten aus der CSRD müssen diese Unternehmen ohnehin Daten im Klimabereich erheben. Auf der Grundlage dieser Daten eine Klimaquote zu errechnen, ist dann nur noch ein kleiner Schritt.
beck-aktuell: Wo könnte man eine solche Quote im Gesetz verankern?
Weller: Die Klimaquote würde den Art. 22 der CSDDD umsetzen. Es bieten sich deshalb zwei Möglichkeiten an, die Quote im Gesetz zu verankern: Entweder dort, wo auch die Geschlechterquote verankert ist, also systematisch in § 76 AktG bzw. entsprechend in § 36 GmbHG. Oder man regelt die Quote im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wo der Großteil der CSDDD umgesetzt werden wird.
beck-aktuell: Was passiert, wenn die Unternehmen ihre Quoten nicht erfüllen?
Der Clou an unserem Vorschlag ist, dass keine scharfen Sanktionen drohen sollen, wenn die Klimaquoten ex post doch nicht erfüllt werden können. Das wäre aus meiner Sicht auch kontraproduktiv. Der Vorschlag setzt auf die Selbstverantwortung der Unternehmen und auf ihre Reputationsinteressen.
In diesem Zusammenhang finde ich es noch wichtig, zu erwähnen, dass auch die EU keine Sanktionen im Bereich der Klimatransformation vorsieht. Zwar gibt es in Art. 29 CSDDD eine zivilrechtliche Haftungsgrundlage, diese betrifft allerdings nur die Lieferketten. Der Klima-Bereich in Art. 22 CSDDD wird von dieser Haftung nicht erfasst.
"Neuer Rechtsformzusatz als Signalinginstrument"
beck-aktuell: Ihr zweiter Vorschlag betrifft einen neuen Rechtsformzusatz "klimaneutral" für alle Gesellschaftsformen. Was steckt dahinter?
Weller: Nach unserem Vorschlag sollen alle Rechtsformen, die das Gesellschaftsrecht kennt, um den Zusatz "klimaneutral" erweitert werden können. Jede Gesellschaft, die klimaneutral ist, soll den neuen Rechtsformzusatz als Signalinginstrument wählen können, um sich einen Marketingvorteil gegenüber Kunden, aber auch Arbeitnehmern zu verschaffen. Unser Vorschlag dreht sich darum, was die Voraussetzungen sind, um diesen Rechtsformzusatz zu erlangen.
Dafür schlagen wir – neben der tatsächlichen Klimaneutralität des Unternehmens – drei zentrale Voraussetzungen vor: Die Klimaneutralität soll in der Satzung verankert sein, die Verantwortung dafür muss auf Leitungsebene angesiedelt sein und der Status der Klimaneutralität muss von einer externen Stelle – etwa einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen oder dem TÜV – geprüft worden sein. Das Ganze könnte im Handelsrecht kodifiziert werden, nämlich in den §§ 17 ff. HGB, wo auch die Firma geregelt ist.
Beck-aktuell: Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter klimaneutral?
Weller: Grundsätzlich gibt es zwei Wege für Unternehmen, um Klimaneutralität zu erreichen: Im Vordergrund steht die CO2-Reduktion – etwa durch neue Technologien oder Umstellen des Energieverbrauchs auf erneuerbare Energien. Für Bereiche, wo man kein CO2 reduzieren kann, bleibt noch die Kompensation über den Kauf von Zertifikaten, zum Beispiel für Waldaufforstungsprojekte.
Der Begriff der Klimaneutralität stammt dabei aus internationalen Regelwerken, dem Greenhouse Gas Protocol, dem EU-Klimagesetz und den genannten Richtlinien CSRD und CSDDD. Delegierte Rechtsakte der EU definieren den Begriff näher. Er wird unterteilt in drei Kategorien, die sogenannten Scopes. Dabei bezeichnet Scope 1 alle Emissionen, die das Unternehmen selbst verursacht, etwa bei der eigenen Produktion. Scope 2 umfasst alle Emissionen, die bei der Erzeugung der Energie verursacht werden, die das Unternehmen verbraucht. Schließlich umfasst Scope 3 alle Emissionen, die in der Wertschöpfungskette entstehen, also upstream beim Lieferanten oder downstream beim Kunden. Unserem Vorschlag nach muss ein Unternehmen Scope-1- und 2-Emissionen vermeiden, um als klimaneutral zu gelten. Entweder durch Reduktion oder durch Kompensation.
beck-aktuell: Birgt Ihre Idee nicht die Gefahr des Greenwashings?
Weller: Das haben wir selbstverständlich in unserem Gutachten auch geprüft und noch eine Zusatzvoraussetzung eingeführt: Will das Unternehmen den Rechtsformzusatz tragen, muss es überwiegend mit klimaneutralen Produkten handeln. So könnte etwa ein Öl- oder Gaszwischenhändler den Zusatz nicht führen, selbst wenn seine Büroräume klimaneutral wären.
Unser Vorschlag wäre auch mit den Vorgaben der EU aus der Green Claims-Richtlinie kompatibel. Indem der Gesetzgeber definiert, was nötig ist, um den Zusatz "klimaneutral" zu führen – und dies auch durch unabhängige Stellen geprüft wird –, schafft er ein verlässliches Siegel. Dann besteht auch keine Irreführungsgefahr mehr.
"Ein Say on climate für Gesellschaftsorgane"
beck-aktuell: Punktuell wollen Sie auch Pflichten für die Leitungsorgane eines Unternehmens verankern. Was ist geplant?
Weller: Das sind zwei kleinere Stellschrauben. Die eine betrifft die Klimaexpertise im Aufsichtsrat großer Unternehmen und die andere die Rechte der Hauptversammlung.
Wir schlagen eine verpflichtende Klimaexpertise im Aufsichtsrat großer Unternehmen vor. Das müsste nicht unbedingt durch eine einzelne Person erfüllt werden, sondern die Expertise müsste in der Gesamtheit des Aufsichtsrats vertreten sein. Der Aufsichtsrat soll darüber hinaus einen Klimaausschuss bilden und den Vorstand mit einem speziellen Augenmerk auf Nachhaltigkeit beraten.
Neben dem Aufsichtsrat soll auch die Hauptversammlung ein sogenanntes Say on climate bekommen. Mit diesem auch schon in der Literatur breit diskutierten Mitspracherecht in Sachen Klimaschutz könnte die Hauptversammlung konsultative Beschlüsse für den Vorstand fassen.
beck-aktuell: Warum soll der Vorstand als mächtigster Entscheider im Unternehmen gerade nicht verpflichtet werden?
Weller: In der Literatur gibt es durchaus auch Vorschläge, die direkt die Leitungsfunktion des Vorstands adressieren und diese etwa um Nachhaltigkeitspflichten ergänzen wollen. Dann müsste der Vorstand aber bei jeder kleineren Leitungsentscheidung auch im Day-to-day-business eine Abwägung mit Nachhaltigkeitsbelangen vornehmen. Das wäre eine Überlastung des täglichen Geschäfts. Das Thema wird aber sicherlich im Rahmen der Debatte beim DJT zur Sprache kommen.
beck-aktuell: Was erhoffen Sie sich von der Diskussion beim DJT?
Weller: Ich freue mich schon auf eine spannende Diskussion. Das Schöne am Juristentag ist, dass alle Positionen zusammenkommen: Viele Kolleginnen und Kollegen kommen mit Studierendengruppen, die Anwaltschaft wird vertreten sein, die Richterinnen und Richter sind dabei.
Ich erhoffe mir, dass einige unserer Vorschläge – gerne auch in verfeinerter Form – verabschiedet werden. Denn der Gesetzgeber wird nicht umhinkommen, den Rahmen, den das Bundesklimaschutzgesetz vorgibt, auch für Unternehmen mit Leben zu füllen.
Prof. Dr. Marc-Philippe Weller ist Prorektor für Internationales der Universität Heidelberg und lehrt am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht.
Das Interview führte Denise Dahmen.