Die Polizei auf deinem Handy
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Wenn die Polizei ihre Handys beschlagnahmt und auswertet, haben Beschuldigte wenig Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren oder überhaupt zu erfahren, was mit ihren Daten geschieht. Der Gesetzgeber lässt sie in dieser Situation allein, kritisiert Gül Pinar.

Mobiltelefone dienen nicht nur der Kommunikation, sondern auch der Organisation. Wir nutzen sie für Messenger-Dienste, E-Mails, Terminkalender und Reisebuchungen. Wer sein Mobiltelefon verloren oder vergessen hat, weiß genau, wie sich das anfühlt. Wenn dann noch wildfremde Menschen die Daten lesen, die Fotos und Filme durchsehen können, kann man richtig in Panik geraten. 

Auch kriminelle und terroristische Organisationen nutzen digitale Medien und Kommunikationsmittel in erheblichem Umfang. Daher spielt die Auswertung solcher Daten im heutigen Strafprozess eine entscheidende Rolle. Doch die Regeln dafür, was Ermittlungsbehörden mit Handys von Beschuldigten anstellen dürfen, sind nicht zeitgemäß.

Handys werden pauschal sichergestellt

Die Sicherstellungs- und Beschlagnahmebefugnisse der Strafprozessordnung gelten nicht nur für gewöhnliche Gegenstände, sondern auch für Datenträger jeder Art. Dabei spielt es keine Rolle, wie umfangreich die gespeicherten Informationen sind. Smartphones, Laptops, Computer, Festplatten, Tablets – all diese Geräte können von den Sicherstellungs- und Beschlagnahmebefugnissen der Strafprozessordnung betroffen sein. Schon die bloße Sicherstellung des Gegenstandes stellt einen schweren Eingriff in den Alltag der Betroffenen dar und kann ihre Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergibt, verletzen. Auch der EGMR hat in ständiger Rechtsprechung das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK als Schutzrecht gegen staatliche Maßnahmen der Überwachung, gerade auch mit digitalen Mitteln, betont.

Inzwischen werden bei Beschuldigten, unabhängig von der Tat, die ihnen vorgeworfen wird, zunächst einmal die Mobiltelefone zur Durchsicht sichergestellt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie überhaupt zur Aufklärung der Tat beitragen können oder nicht. Die Durchsicht soll der Entscheidung dienen, ob der Datenträger beschlagnahmt wird. Die meisten Mobiltelefone sind durch einen Sperrcode geschützt, weshalb es entweder sehr lange dauert, bis die Durchsicht erfolgen kann, weil es zeitintensiv ist, das Gerät zu entsperren, oder die betroffene Person mitwirken muss, damit das Gerät durchsucht werden kann. Entweder wird es ihr dann ausgehändigt oder es ergeht eine Beschlagnahmeanordnung.

Kaum Regeln für Sicherstellung

Die Strafverfolgungsbehörden erhalten dadurch Zugriff auf enorme Datenmengen – einschließlich Kommunikationsdaten aller Art, Wegeaufzeichnungen, Fotos, Betätigung in den Sozialen Medien, Notizen, Kalender etc. – in vielen Fällen auch auf lange zurückliegende Kommunikation und solche Daten, die die betroffene Person für sich schon gelöscht hat, die aber relativ einfach wiedergewonnen werden können.

Gleichwohl gibt es keinerlei Regeln über den erforderlichen Verdachtsgrad, keine Mindestschwere der Anlasstat und nicht einmal Ausschlussgründe bei anzunehmender Erfolglosigkeit der Durchsicht. Das ist bei einem derart weitreichenden Einblick in hochpersönliche Informationen inakzeptabel. Die Sicherstellungs- und Beschlagnahme-Befugnisse in §§ 94 ff. StPO sind im Hinblick auf moderne Kommunikationstechnologien weder zeitgemäß noch sachgerecht und müssen dringend überarbeitet werden. § 94 StPO muss um eine Regelung in Bezug auf die erforderliche Tatkategorie und Verdachtsschwelle ergänzt werden. Eine Beschlagnahme oder Sicherstellung der Daten muss zwingend davon abhängig gemacht werden, ob eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese zur Aufklärung der Straftat beiträgt.

Sicherstellung von Daten sollte nicht im Belieben der Staatsanwaltschaft stehen

Doch bereits die Durchsicht der Daten ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person. Diese Tatsache bildet der im Januar 2017 in Kraft getretene § 110 Abs. 3 StPO, der die Sicherstellung von Daten regelt, jedoch nicht ab, sondern gibt der Staatsanwaltschaft einen zu großen Ermessensspielraum. Die Entscheidung darüber, in welchem Umfang eine inhaltliche Durchsicht potenzieller Beweismittel nach dem § 110 StPO notwendig ist, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, sollte nicht im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegen. Vielmehr sollte im Gesetz der Verdachtsgrad geregelt werden, so dass zumindest ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich des bzw. der Beschuldigten vorliegen muss – und nicht nur, wie derzeit gültig, ein Anfangsverdacht. Die Durchsicht nach § 110 StPO ist zudem – rechtlich betrachtet – eine Fortsetzung der Durchsuchung. Deshalb muss auch hier dem Rechtsbeistand des oder der Betroffenen ein Anwesenheitsrecht eingeräumt werden.

Die Beschränkung der zu sichernden Daten ist auch im Interesse der Justiz. Wir erleben in unserem Gerichtsalltag, wie aufwendig und zeitintensiv die Auswertung der Daten im Rahmen der Ermittlung und Beweissicherung ist. Ermittlungsverfahren dauern viel zu lange, weil sichergestellte Geräte nicht zeitnah durchgesehen und beschlagnahmte Daten nicht mit der gebotenen Schnelligkeit ausgewertet werden können. Gerichtsverfahren dauern wegen der schieren, unbegrenzten Menge an Daten immer länger. Ständig werden in die laufende Hauptverhandlung neue Erkenntnisse aus ausgewerteten Daten nachgereicht.

Eigene Beweisregeln für digitale Datenträger

Sind Daten einmal beschlagnahmt und sollen in einem Strafprozess verwendet werden, führt sie das Gericht im Wege des Urkunds- oder Augenscheinbeweises oder durch Zeuginnen und Zeugen bzw. Sachverständige in die Hauptverhandlung ein. Davor werden sie, um sie überhaupt les- oder darstellbar zu machen, irgendwie umgewandelt. Ich benutze das Wort "irgendwie" nicht zufällig, denn der Darstellungs- und Umwandlungsprozess ist oft nicht nachvollziehbar. Das steht im Gegensatz zu verfassungs- und europarechtlichen Grundsätzen, wonach Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Datenverarbeitung oberste Priorität haben. Dies bedeutet, dass die Funktionsweisen der Verfahren für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar sein müssen, um die Ergebnisse erklärbar zu machen. Anders können Beschuldigte ihr Recht auf ein faires Verfahren nicht verwirklichen.

Die aus digitalen Beweismitteln abgeleiteten Aussagen sind nur dann zuverlässig, wenn sie ein Mindestmaß an Authentizität und Integrität aufweisen. Das bedeutet: Die Herkunft und der genaue technische Gewinnungs- und Verarbeitungsvorgang müssen lückenlos bekannt und nachvollziehbar sein. Nur so lassen sich Kontaminierungen, Fehlverarbeitungen, Fehlinterpretationen, Manipulationen und sonstige Fehlerquellen ausschließen. Dies sollte auch Voraussetzung für die Verwertbarkeit der Daten in der Hauptverhandlung sein und der richterliche Umgang mit Defiziten und Verstößen sollte unbedingt gesetzlich geregelt werden. Zudem müssen Beweisregeln für digitale Beweismittel entwickelt werden. Um eine richterliche Würdigung zu ermöglichen, braucht es eine reproduzierbare Sicherung sowie eine lückenlose, genaue Dokumentation des technischen Gewinnungs- und Verarbeitungsprozesses. Bei KI-Anwendungen müssen die in der EU-Verordnung vorgesehenen Mindeststandards zwingend eingehalten werden.

Keine überlange Beschlagnahme, Auswertungssoftware auch für Anwälte

Telekommunikation und Internet sind heute ein Muss, denn sie sind Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Eine übermäßig lange oder hinauszögernde Beschlagnahme ist daher nicht mehr zu rechtfertigen. Daher sollte eine Höchstfrist für die Beschlagnahme geregelt werden.

Zufallsfunde bedürfen zudem einer gesonderten Regelung, speziell wenn es um solche auf digitalen Datenträgern geht. § 108 StPO ist zu allgemein gefasst und greift eklatant in die Rechte der Beschuldigten ein. Insbesondere besteht die Gefahr, das Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 52, 53, 55 StPO) zu tangieren, wenn beispielsweise persönliche Notizen oder nicht überwachte Kommunikation mit Familienangehörigen aufgefunden würden.

Ferner muss gewährleistet werden, dass es zwischen Ermittlungsbehörden und Beschuldigten bzw. deren Verteidigung keine Ungleichheit gibt. Bei einer Durchsicht elektronischer Speichermedien gemäß § 110 Abs. 3 S. 1 StPO sind Art und Umfang der Durchsicht sowie insbesondere die Suchkriterien von entscheidender Bedeutung. Das Beweisergebnis hängt oft davon ab, welche Begriffe gesucht und welche nicht gesucht worden sind. Daher muss die Suchmethode unbedingt dokumentiert werden, um das vermeintliche Beweisergebnis im Prozess überhaupt bewerten zu können. Es muss zum einen aktenkundig gemacht werden, nach welchen Suchwörtern und Parametern die Daten durchsucht worden sind. Zum anderen sollte ein faires Verfahren der Verteidigung die gleiche Auswertungs-Software zur Verfügung stellen. 

Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Behandlung digitaler Beweismittel als wesentlicher Ermittlungsvorgang im Sinne des § 168b StPO angesehen wird. Dies hat zur Folge, dass sie protokolliert werden muss. Auch die Regelungen zum Akteneinsichtsrecht der Verteidigung müssen dringend ergänzt werden. Es muss einen effektiven Zugang zu sämtlichen der Ermittlungsbehörde vorliegenden elektronischen Beweisdaten (einschließlich Metadaten) und die Dokumentation der Arbeitsschritte umfassen.

Wenn das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht ausgehöhlt werden soll, dann wird es angesichts der rasanten Entwicklung von technischen Überwachungsmöglichkeiten eine klare Haltung des Gesetzgebers brauchen.

Gül Pinar ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht in Hamburg. Sie ist Präsidiumsmitglied der Hansetischen Rechtsanwaltskammer Hamburg und Mitglied des Gesetzgebungsausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins.

Beim 74. Deutschen Juristentag in Stuttgart referiert sie zum Thema "Beschlagnahme und Auswertung von Handys, Laptops & Co. – Sind beim offenen Zugriff auf Datenträger die Persönlichkeitsrechte angemessen geschützt?"

Gastkommentar von Gül Pinar, 17. September 2024.