Am Mittwoch kündigte das schleswig-holsteinische Justizministerium an, bis 2026 die Fachgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein "örtlich weiter zu konzentrieren". Konkret bedeutet das: Wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit will man künftig auch die Arbeits- und die Sozialgerichtsbarkeit an einem einzigen Standort zusammenziehen. Dabei geht es um vier Sozialgerichte in Itzehoe, Kiel, Lübeck und Schleswig sowie um fünf Arbeitsgerichte in Elmshorn, Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster. Diese sollen in einem "zweiten Fachgerichtszentrum" untergebracht werden, in dem auch ein "Justizzentrum" mit mindestens einem Verhandlungssaal für große Strafverfahren integriert werden soll. Wo derzeit die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Schleswig angesiedelt ist, soll außerdem das "erste Fachgerichtszentrum" entstehen, in dem das Finanzgericht die freiwerdenden Räumlichkeiten des aktuell noch dort befindlichen Sozialgerichts übernimmt.
Das Ministerium begründete die Konzentration mit notwendigen Einsparungen im Landeshaushalt. Auf der einen Seite will man 25 neue Planstellen bei den überlasteten Staatsanwaltschaften schaffen. Dafür müsse man aber ob der klammen Haushaltslage "die Strukturen unserer Gerichtslandschaft verschlanken und sie für die Zukunft effizienter aufstellen", wie Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) erklärte. Die Gerichtsgebäude wiesen einen erheblichen Sanierungsstau auf, zudem werde es immer schwieriger, "die teilweise sehr kleinen Organisationseinheiten personell aufrechtzuerhalten". Gleichwohl wolle man "die Belange der Justizbeschäftigen und auch der rechtssuchenden Bevölkerung bestmöglich wahren."
Doch bei der Reduktion der Fachgerichtsstandorte wird es wohl nicht bleiben. Die Landesregierung wolle in den nächsten Jahren auch die Anzahl der Amtsgerichte reduzieren, heißt es in der Mitteilung des Justizministeriums. Perspektivisch soll es demnach nur noch ein Amtsgericht pro Kreis geben. Man werde nun prüfen, "ob und in welchem Umfang durch die Zusammenlegung von Amtsgerichten Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsvorteile erzielt werden können."
Richterverbandsvorsitzende: "Wie in der Kaiserzeit"
Wenngleich das Justizministerium ankündigte, vor dem Gesetzgebungsverfahren einen Anhörungsprozess durchführen zu wollen, war die Entrüstung unter den Justizbediensteten ob der plötzlichen Ankündigung groß. "Wie kann man über die Köpfe aller Betroffenen hinweg einfach so am grünen Tisch derart weitreichende Veränderungen beschließen? Diese Kommunikationsweise erschüttert das Vertrauen aller Justizbeschäftigten nachhaltig und entspricht nicht dem 21. Jahrhundert, sondern der Kaiserzeit", entrüstete sich die Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes, Christine Schmehl. Zudem sei noch offen, an welchen Standort die insgesamt neun Arbeits- und Sozialgerichte umziehen sollten: "Ein derart aufwendiger Umzug ist binnen so kurzer Zeit aber nur denkbar, wenn bereits jetzt absehbar ist, wohin die Reise geht. Auch darüber schweigen sich die Verantwortlichen lieber aus, ebenso wie über die Wirtschaftlichkeit ihres gesamten Vorhabens."
Dies bedeutet auch Belastungen für die Beschäftigten, die nun teilweise werden umziehen müssen. "Mehrere Hundert Beschäftigte von insgesamt zehn betroffenen Fachgerichten unangekündigt und ohne jeden Dialog quer durchs ganze Land versetzen zu wollen, haben wir bislang in Schleswig-Holstein für unvorstellbar gehalten. Gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern ihren ortsnahen Zugang zu den wichtigen Sozial- und Arbeitsgerichten zu nehmen, ist ein Handstreich, wie er im Buche steht", lässt sich die Richterverbandsvorsitzende Schmehl in einer Pressemitteilung zitieren.
Auf Anfrage von beck-aktuell erklärte das schleswig-holsteinische Justizministerium am Donnerstag, die Pläne zur Neustrukturierung seien im Laufe des Jahres "aufgrund des strukturellen Konsolidierungsbedarfes, zu dem alle Ministerien in Schleswig-Holstein einen Beitrag leisten müssen, entwickelt worden." Bislang gebe es lediglich einen Kabinettsbeschluss zum Haushalt 2024, für den ein vorheriges Beteiligungsverfahren nicht vorgesehen sei. "Nach dem Beschluss der Landesregierung beginnt nun das Gesetzgebungsverfahren und damit auch der Anhörungsprozess mit der Fachgerichtsbarkeit. Die Reform wird also in einem regulären Beteiligungsverfahren unter Einbindung der Betroffenen vorbereitet und umgesetzt."
BRAK befürchtet Schaden für den Rechtsstaat
Doch nicht nur für die Beschäftigten ist die Konzentration der Gerichtsstandorte belastend, auch für die Rechtsuchenden bedeutet sie zwangsläufig weitere Wege – im übertragenen wie im ganz praktischen Sinn. Zwar sollen laut Justizministerium Kriterien für die Standortwahl u.a. eine möglichst zentrale Lage und eine gute Verkehrsanbindung sein, doch können durchaus Fahrten von zwei Stunden und mehr für Menschen fällig werden, die zu Gericht müssen. "Das erschwert für die Bürgerinnen und Bürger aus der Peripherie faktisch den Zugang zum Recht", kritisiert daher Jürgen Krüger, Pressesprecher der Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein im Gespräch mit beck-aktuell. Er gibt zu bedenken, dass etwa bei Arbeitsgerichten in der Regel zur Güteverhandlung das persönliche Erscheinen der Parteien erforderlich sei. Diese müssten dann aber nicht nur mit längeren Wegen und höheren eigenen Fahrtkosten rechnen: "Auch die Kosten der anwaltlichen Vertretung erhöhen sich", so Krüger. Schließlich müssten die Rechtsbeistände ebenfalls längere Fahrtstrecken berechnen. Insgesamt, so Krüger, entferne sich die Justiz mit diesem Schritt von den Bürgerinnen und Bürgern. Zwar könne man die Kosten des Justizhaushalts dagegenhalten, doch man müsse abwägen: "Will ich eine bürgernahe Justiz haben, dann verursacht das eben Kosten."
Der Kritik schloss sich am Donnerstag auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) an. "Der Zugang zum Recht darf nicht vom Geldbeutel eines Landes abhängen", wird Ulrich Wessels, Präsident der BRAK, in einer Pressemitteilung zitiert. "Gerade im Arbeits- und Sozialrecht, das so viele Bürgerinnen und Bürger betrifft, muss die räumliche Nähe des zuständigen Gerichts gewährleistet bleiben. Den Rückzug aus der Fläche lehnen wir ab. Der Rechtsstaat muss präsent bleiben! Wenn wir hier anfangen, wo soll das enden?"
Zudem hätte sich auch die Anwaltschaft einen vorherigen Austausch mit der Landesregierung gewünscht. Leonora Holling, Schatzmeisterin der BRAK und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sicherung des Rechtsstaates, wählte daher scharfe Worte: "Das werden wir Schleswig-Holstein so nicht durchgehen lassen! Denn die Anwaltschaft ist dem Rechtsstaat auf besondere Weise verpflichtet. Als Organe der Rechtspflege sind wir berufen, unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zu schützen und zu verteidigen. Auch gegen rechtsstaatsfeindliche Sparmaßnahmen und Abschaffung von Gerichtsstandorten!"
Ministerium: "Entscheidend ist, dass schnell Recht gesprochen wird und nicht wo"
Das Justizministerium entgegnet, mit diesen Vorwürfen konfrontiert, man befürchte keine negativen Auswirkungen auf den Zugang zum Recht für Bürgerinnen und Bürger. "Es gibt in Schleswig-Holstein bereits zurzeit nur ein Verwaltungsgericht, ohne dass negative Auswirkungen auf den Rechtsschutz im Verwaltungsrecht zu erkennen sind", teilte die Presseabteilung des Ministeriums mit. Außerdem verliere im Zuge der Digitalisierung die örtliche Bindung zu einem Standort an Bedeutung. "Entscheidend ist, dass schnell Recht gesprochen wird, und nicht wo. Zudem gibt es die Möglichkeit, dass Gerichte im Einzelfall vor Ort oder per Video verhandeln." Im Übrigen, heißt es weiter, wären Personalkürzungen die Alternative gewesen, die man so vermeide.