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NVwZ Editorial
  • 75 Jahre Grundgesetz

    Präsident des BVerfG Professor Dr. Stephan Harbarth, Karlsruhe

    10/2024

    Der 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ist ein Anlass zur Freude. Das Grundgesetz mit der Garantie der Menschenwürde und den Grundrechten an seiner Spitze hat sich als einzigartiger Glücksfall in der Geschichte unseres Landes erwiesen. Es hat über das letzte Dreivierteljahrhundert einen klugen Ordnungsrahmen für unser Gemeinwesen etabliert und sich stets als eine zukunftsoffene Verfassung erwiesen. Dabei hat es sowohl die europäische Integration als auch die Deutsche Einheit ermöglicht und begleitet und so zu einer langanhaltenden Periode des Friedens und der wirtschaftlichen Prosperität beigetragen. Erst recht gemessen an der überlieferten Einschätzung Carlo Schmids, der Parlamentarische Rat habe lediglich einen „Bauriss für einen Notbau“ errichtet, steht das Haus des Grundgesetzes heute stabil.

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  • Klimaschutz durch den EGMR?

    Rechtsanwalt Professor Dr. Ludger Giesberts, LL.M.(LSE), Köln

    09/2024

    Das Urteil des EGMR vom 9.4.2024 (53600/20) schlägt hohe Wellen: „Historisches Urteil“, „Sensation von Straßburg“ und „Klimaschutz ist Menschenrecht“ sind nur einige Reaktionen. Worum geht es?

    Geklagt hat der Verein „Klimaseniorinnen Schweiz“ nebst vier Mitgliedern, die Schweiz zu verpflichten weitere Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5° C zu ergreifen. Überraschenderweise hat nur der Verein, nicht aber die dem Verein angehörigen Mitglieder, obsiegt. Den Mitgliedern fehle der hier als Beschwerdebefugnis bezeichnete „Opferstatus“. Einen durch den Klimawandel bedingten kritischen Gesundheitszustand hätten die Mitglieder nicht nachweisen können. Die Klagen portugiesischer Jugendlicher und eines französischen Politikers scheiterten dagegen bereits an der Zulässigkeit. Bemerkenswerterweise spielte der Gesundheitszustand der Mitglieder hinsichtlich der Beschwerdebefugnis des sie vertretenden Vereins keine Rolle. Hier stand wohl – und dies ist zu kritisieren – das Ergebnis, dem Verein Klagerechte zu verleihen, im Vordergrund. Vereine seien nur beschwerdebefugt, weil sie die notwendigen organisatorischen und finanziellen Ressourcen besitzen, um in den komplexen klimabedingten Sachverhalten Rechtsstreitigkeiten führen zu können. Um zu verhindern, dass jeder Verein Klagen kann, müssen drei Anforderungen (rechtmäßiger Sitz, satzungsmäßiger Zweck: Klimaschutz; Repräsentativität) erfüllt sein. Eine Vorfrage war, ob im Ausland emittierte Emissionen, die bei der Produktion von Gütern anfallen, die durch die Schweiz importiert werden, der Schweiz als sogenannte „eingebettete Emissionen“ zuzurechnen seien. Der EGMR bejaht das. Sollte dieser Gedanke richtig sein, was durchaus zu bezweifeln ist, dürfte das erhebliche Auswirkungen haben. Es könnte eine Verantwortlichkeit von Staaten für Emissionen durch bloße Nachfrage nach Import-Produkten aus anderen Ländern durch die Bürger dieser Importstaaten begründet werden. In der weiteren Prüfung geht es vor allem um eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Dieses Menschenrecht schützt ua das Privat- und Familienleben von Personen. Mangels gesonderter Regelungen zu Gunsten des Umweltschutzes in der EMRK (anders in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG) statuiert der EGMR, weit über den Wortlaut des Art. 8 EMRK hinaus, die positive Pflicht zum Erlass von legislativen und administrativen Maßnahmen für einen effektiven Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen. Statt auf eine normative Herleitung wird auf verfahrensökonomische, letztlich abstrakte rechtspolitische Erwägungen abgestellt. Auch hier dürfte das Ergebnis das Ziel der Auslegung gewesen sein. Der EGMR hält zudem zu staatlichen Schutzpflichten fest: Er differenziert zwei Ermessensebenen, nämlich Ebene 1 „Festlegung von Staatszielen“ und Ebene 2 die „Wahl der Mittel“. Der EGMR macht deutlich, dass beim „Ob“ von Staatszielen im Bereich des Klimaschutzes praktisch kein Ermessen verbleibt. Als Ziel wird dabei die Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Darin klingt an, was auch das BVerfG in seinem Klimabeschluss vom 24.3.2021 (NVwZ 2021, 951) schon anführt: Der Klimawandel sei für künftige Generationen unumkehrbar. Deshalb müsse jetzt gehandelt werden. Schließlich ist noch auf die von deutschen Gerichten bereits mehrfach aufgeworfene Frage einzugehen, ob und inwiefern ein Gericht „zuständig“ ist für von den hier adressierten Fragen des Klimaschutzes, die rechtlich nicht geregelt sind. Deutsche Gerichte haben bislang die klare Tendenz, die Legislative als das dafür kompetente Organ im Verfassungsstaat anzusehen. Gerichte seien dafür mangels normativer Maßgaben nicht die verfassungsrechtlich aufgerufenen Organe. 

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  • Das „OZG 2.0“ – Lost in federation

    Ltd. Städt. Direktor Dr. Florian Schröder, Einbeck

    8/2024

    Nachdem das „Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG-Änderungsgesetz)“ bzw. „OZG 2.0“ nach langer Vorbereitung und kritischer Fachdiskussion (s. etwa Schröder, ZRP 2022, 256 ff. und die Editoriale der NVwZ-Ausgaben 17/2022 und 3/2023) im Februar endlich vom Bundestag beschlossen wurde, hat es bei der jüngsten Sitzung des Bundesrats die Höchststrafe erlitten: Das zustimmungsbedürftige Gesetz erhielt weder die notwendige Mehrheit in der Länderkammer, noch wurde es in den Vermittlungsausschuss verwiesen. Damit liegt der Entwurf einstweilen im verfassungsrechtlichen Nirwana. Bundestag oder Bundesregierung können nunmehr den Vermittlungsausschuss anrufen, dass man dort in absehbarer Zeit zu einer vermittelnden Lösung zwischen Bund und Ländern kommen könnte, erscheint angesichts verhärteter Fronten allerdings recht optimistisch.

    Was sind die wesentlichen Streitpunkte

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  • Bau-Turbo oder Blame Game?

    Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Thomas Schröer, LL.M. (Illinois), Frankfurt a.M.

    7/2024

    Wie schön, dass es für die gebeutelte Bauwirtschaft bald eine Trendwende geben wird, denkt man beim Lesen der frohen Botschaft, dass jetzt der Bau-Turbo kommt. Hierzu soll die im Maßnahmenpaket des Wohngipfels vom September 2023 gemachte Ankündigung der Bundesregierung umgesetzt werden, eine befristete Sonderregelung in das BauGB aufzunehmen, um den Wohnungsbau in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten anzukurbeln. Nach dem Gesetzentwurf können dort künftig Gebäude mit mindestens sechs Wohneinheiten in allen Baugebieten zugelassen werden, „wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist“. Der Vorschlag ist an die bestehende Sonderregelung für Flüchtlingsunterkünfte angelehnt (§ 246 XIV BauGB) und klingt bestechend einfach.

    Bei genauem Hinschauen zeigt sich indes, dass die Welt des Bauens doch nicht so banal ist, wie der Gesetzentwurf es suggeriert. Vielmehr ist absehbar, dass der angekündigte Bau-Turbo nicht funktionieren, sondern wohl eher als Rohrkrepierer enden wird. Die Gründe liegen auf der Hand, und man muss kein Stadtplaner sein, um das Offensichtliche zu erkennen:

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  • Es grünt so grün…

    Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Manuela Niehaus, Universität Speyer

    6/2024

    „Wann Bubatz legal?“ wurde Bundeskanzler Olaf Scholz im ARD-Sommerinterview 2022 gefragt. Der Fragesteller dürfte entsprechend erfreut auf den Beschluss des Bundestags zum Cannabisgesetz (CanG) reagiert haben. Ab dem 1. April sollen Besitz und Konsum von Cannabis teilweise erlaubt und damit die erste Säule der Legalisierung – der private und gemeinschaftliche, nicht-gewinnorientierte Eigenanbau – umgesetzt werden. Volljährige Privatpersonen dürfen dann 25 Gramm Cannabis mit sich führen, am eigenen Wohnort bis zu drei Cannabispflanzen anbauen und insgesamt 50 Gramm getrocknetes Cannabis aufbewahren. Die beabsichtigte zweite Säule sieht die Etablierung regionaler Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vor.

    Mit dem CanG gesteht die Ampel ein, was Experten schon lange klar ist: die restriktive Drogenpolitik ist gescheitert. Cannabis ist das meistgehandelte Betäubungsmittel, sein Anteil an den Rauschgift-Handelsdelikten lag 2022 bei 60,2%. Die bisherigen Regelungen zur Straflosigkeit von Konsum, aber nicht Besitz der Droge und die bürokratischen Hürden, die mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Medizinalcannabis einhergingen, haben nicht nur viele Kapazitäten gebunden, sondern ferner zu einem florierenden Schwarzmarkt beigetragen, auf dem auch verunreinigtes Cannabis gehandelt wird. Diesen Schwarzmarkt – und damit verbundene mögliche Gesundheitsgefahren gerade für junge Erwachsene – soll das CanG austrocken. Um Kinder und Jugendliche aber weiterhin zu schützen, sollen Präventionsangebote verstärkt und der Mindeststrafrahmen für die Abgabe der Droge an Minderjährige angehoben werden.

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  • Ein Rahmen für die Klimaanpassung

    Juniorprofessorin Dr. Jacqueline Lorenzen, Argelander-Professur für das Recht der Nachhaltigkeit und ökologischen Transformation, Universität Bonn

    5/2024

    Die Folgen des Klimawandels, wie zunehmende Hitzewellen, andauernde Trockenperioden und vermehrte Starkregenereignisse, sind mittlerweile auch in Deutschland immer deutlicher zu spüren und zeitigen erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Während der Fokus der deutschen Klimapolitik und -gesetzgebung – insbesondere in Gestalt des BundesKlimaschutzgesetzes (KSG) – zunächst auf dem Klimaschutz lag, wird das Bewusstsein drängender, dass es im Umgang mit dem Klimawandel nicht allein um die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, sondern ebenso darum gehen muss, sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen und die Resilienz von Gesellschaft, Wirtschaft und natürlichen Ökosystemen gegenüber Klimaveränderungen zu stärken. Dass der deutsche Staat zur Ergreifung von Anpassungsmaßnahmen sogar verfassungsrechtlich verpflichtet ist, um seinen grundrechtlichen Schutzpflichten zu genügen, machte das BVerfG (NVwZ 2021, 951) in seinem Klimabeschluss (2021) deutlich.

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  • Der Volker, der Andi und die Maut-Millionen

    Dr. Dr. Jörg Berwanger, Neunkirchen/Saar

    4/2024

    Der Berg kreißte – und gebar eine Maus. Nein, auch wenn es in den sog. sozialen Netzwerken teilweise in diese Richtung kommentiert wurde – aus Sicht des Autors wäre das gegenüber „dem Volker“ nicht so ganz fair.

    Doch der Reihe nach: Das gescheiterte CSU-Projekt des Versuchs der Einführung der PKW-Maut auf deutschen Autobahnen hatte in der öffentlichen Wahrnehmung längere Zeit seinen Dornröschenschlaf. Zwar sorgte der Sachverhalt schon 2019 für Aufsehen. Minister a.D. Andreas Scheuer, man nennt ihn zuweilen „den Andi“, hatte unnötiger Weise zwei großvolumige zivilrechtliche Mautverträge abgeschlossen. Dann aber war Ruhe im Karton – bis zum Jahr 2023. Der in einem Schiedsverfahren im Juli 2023 bekannt gewordene Vergleich, wonach vom Bund 243 Millionen Euro Schadensersatz zu zahlen waren, hatte einen Erweckungseffekt. Und – es trat „der Volker“ auf den Plan: Im Juli 2023 sah sich der amtierende Bundesverkehrsminister Wissing dazu aufgerufen, öffentlichkeitswirksam die externe Beauftragung der rechtlichen Überprüfung des Vorgehens seines Vorgängers kundzutun. Das 70seitige Rechtsgutachten einer Berliner Anwaltskanzlei liegt seit Ende Dezember 2023 vor. Es rät aus rechtlichen Gründen von einem Vorgehen gegenüber Scheuer ab. Aus Sicht des Autors ist das Gutachten so schlecht nicht. Andere sehen das anders.

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  • Der EU-Asylkompromiss – Mehr Schein als Sein?

    Professorin Dr. Gabriele Buchholtz, Universität Hamburg

    3/2024

    Viel zu lange sei die EU in der Migrationsfrage als Feuerwehrmann unterwegs gewesen, beklagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Margaritis Schinas einst. Damit müsse Schluss sein. Effizienz, Einheit und Solidarität könne man nur mit einem Pakt für Asyl und Migration schaffen. Unter diesen Vorzeichen hat sich die EU am 20.12.2023 nach langem Ringen auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. In Brüssel war die Begeisterung groß. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer „gerechten und pragmatischen Vorgehensweise für ein gemeinsames Migrationsmanagement“.

    Das sehen aber nicht alle so. Menschenrechtsorganisationen sind empört. Der humanitäre Preis ist hoch. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen das Herzstück der Reformen, die schnelleren Asylverfahren an den EUAußengrenzen. Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat, etwa aus Tunesien oder Marokko, nach Europa kommt, soll ein schnelles bis zu 12-wöchiges Asylverfahren durchlaufen. Wird der Betroffene abgelehnt, soll er spätestens nach weiteren drei Monaten in ein Drittland abgeschoben werden. Während der Asylprüfung sind die Antragssteller in streng abgegrenzten Auffanglagern untergebracht. Diese Bedingungen gelten – mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger – auch für Frauen mit Kindern. Zu Recht mahnen kritische Stimmen die Wahrung der Kinderrechte an, normiert etwa in Art. 24 GRCh.

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  • Wahlrecht, Beschleunigungsgesetzgebung und Dienstrechtsänderung

    Rechtsanwalt Professor Dr. Achim Schunder und Rechtsanwalt Dr. Johannes Heuschmid

    1-2/2024

    Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    der Start in ein neues Jahr gibt Anlass, einen kurzen Blick auf das Jahr 2023, vor allem im legislativen Bereich, zu werfen.

    Eines der bis heute umstrittensten Gesetzespakete ist die Wahlrechtsreform, die die NVwZ von Beginn an (Grzeszick, NVwZ 2023, 286) bis zum Ende (zuletzt Groß, NVwZ 2023, 1282) literarisch begleitet hat. Bereits im April 2021 hatte der Bundestag eine Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts mit dem Ziel der Verkleinerung des Bundestags eingesetzt, die im Mai 2023 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Die auch innerhalb des Gremiums nicht unumstrittenen Vorschläge hat der Gesetzgeber mit Änderungsgesetz vom Juni 2023 wie folgt in Gesetzesform gegossen: Die Grundmandatsklausel wurde abgeschafft und eine Deckelung der Zweitstimmen eingeführt. Die erwogene Änderung der Wahlkreiseinteilung wurde nicht umgesetzt (s. kritisch dazu Pernice-Warnke, NVwZ 2024, 31, in diesem Heft). Letztendlich wird, wie auch über die Reform des Jahres 2020, Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit dieser Reform entscheiden müssen.

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