Rechtswidrig nach Ungarn ausgeliefert: Maja T.s bitterer Sieg in Karlsruhe
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Die eilige Auslieferung einer deutschen Person aus der linken Szene war unzulässig. Das KG habe die Haftbedingungen in Ungarn nicht genug geprüft, zumal Maja T. non-binär ist. Mutmaßlichen Komplizen, denen auch die Auslieferung droht, könnte der Beschluss des BVerfG helfen. Für Maja T. kommt er zu spät.

Der Person, die in der linken Szene als "Maja" bekannt und in Jena geboren ist, wird vorgeworfen, im Februar 2023 in Budapest beim sogenannten "Tag der Ehre" an Angriffen auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten beteiligt gewesen zu sein. In dem Zusammenhang laufen weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Linksextremisten.

Deutschland lieferte Maja T. im vorigen Juni nach Ungarn aus, obwohl das BVerfG dies in einem Eilbeschluss vorläufig untersagt hatte. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde die Person, die seit Monaten in U-Haft saß, auf Grundlage eines Beschlusses des KG vom 27. Juni noch in der Nacht auf den 28. Juni über die österreichischen an die ungarischen Behörden übergeben. Die einstweilige Anordnung aus Karlsruhe, die die Auslieferung untersagte, wurde noch am Morgen des 28. Juni erlassen, kam jedoch eine knappe Stunde zu spät – die Übergabe an die ungarischen Behörden war bereits erfolgt.  Seitdem befindet Maja T. sich in einer Justizvollzugsanstalt in Ungarn in U-Haft, ihrem Anwalt Sven Richwin zufolge sitzt sie in Isolationshaft.

Jetzt hat das BVerfG in der Hauptsache über den Fall entschieden. Es bescheinigt Maja T. ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse. Von der Auslieferungsentscheidung des KG gingen zwar, nachdem die linksextremistische Person nach Ungarn überstellt worden ist, keine Rechtswirkungen mehr aus. Die Überstellung greift laut BVerfG aber tief in ihre Grundrechte ein und dieser Eingriff wirke fort.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter machen klar, dass das KG seine Pflicht verletzt hat, vor allem die Haftumstände, die Maja T. in Ungarn erwarteten, konkret aufzuklären, bevor es die Auslieferung genehmigte. Damit habe das KG gegen Art. 4 GRCh verstoßen, das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Beschluss vom 24.01.2025 – 2 BvR 1103/24). Es ist ein Sieg für Maja T. Doch nutzen dürfte er allenfalls anderen Linksextremisten, die ebenfalls beschuldigt werden, an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen zu sein, und aktuell ebenfalls befürchten, nach Ungarn ausgeliefert zu werden.

Haftumstände nicht genug geprüft, Gefahren verharmlost

Maja Ts. Verteidiger hatten in dem Verfahren vor dem KG ein Auslieferungshindernis geltend gemacht und sich dabei insbesondere auf eidesstattliche Versicherungen von Personen berufen, die ehemals in ungarischen Haftanstalten inhaftiert waren, und Berichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (Committee for the Prevention of Torture, CPT) sowie der Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee, HHC) vorgelegt. Außerdem hatte die Person stets betont, dass sie sich selbst als non-binär versteht, was das Risiko noch erhöhe, in ungarischer Haft diskriminiert zu werden.

Das KG hatte sich aber auf Zusicherungen des ungarischen Justizministeriums bezogen, das erklärte, Ungarn habe sich den Regeln der EU unterworfen und es seien keine gewaltsamen oder sonstigen Übergriffe bekannt, die mit der Geschlechtsidentität der betroffenen Person in Verbindung gebracht werden könnten. Eine einzelfallbezogene und völkerrechtlich verbindliche Weisung hielt das KG nicht für nötig.

Wie bereits in seiner einstweiligen Anordnung hält das BVerfG das nicht für genug. Die Garantieerklärung der ungarischen Behörden sei zu allgemein gehalten gewesen und habe sich weder auf die tatsächlichen Haftbedingungen noch auf die zu überstellende Person bezogen. Der ausführliche Vortrag von Maja T. habe Anhaltspunkte für systemische oder allgemeine Mängel geliefert, das KG sich aber stattdessen lieber auf eine ältere Entscheidung des OLG Celle gestützt, statt die konkreten Haftbedingungen aufzuklären, die Maja T. erwarteten. Die Berliner Richterinnen und Richter hätten sich auch die Mühe machen müssen, die Haftbedingungen in der konkreten Haftanstalt aufzuklären, in die die Beschuldigte gebracht werden sollte, betont der Zweite Senat.

Das BVerfG wirft dem KG auch vor, ohne Weiteres davon ausgegangen zu sein, Maja T. drohe in den ungarischen Haftanstalten auch insofern keine Gefahr, als sie sich selbst als non-binär identifiziere. Laut dem aktuellen Bericht des HCC, der der dem KG vorgelegen habe, seien lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Insassen in Ungarns Gefängnissen einer Diskriminierungsgefahr ausgesetzt, die sich "verbal oder in Form von körperlichen Belästigungen durch andere Insassen oder durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt" äußern könne.

Keine Rechtsmittel für eine Rückkehr 

Die Karlsruher Entscheidung sei juristisch "ein großer Erfolg", teilte Majas Anwalt Richwin auf Anfrage von beck-aktuell mit. Tragischerweise werde sie seine Mandantin aber nicht ohne Weiteres aus der Isolationszelle führen. Tatsächlich gibt es, obwohl das BVerfG schon in seiner einstweiligen Anordnung ausdrücklich notfalls auch eine Rücküberstellung angeordnet hatte, keine rechtlichen Mittel, um die einmal ausgelieferte Person wieder nach Deutschland überstellen zu lassen.

Obwohl sie deutsche Staatsangehörige ist, gibt es hierfür nach übereinstimmender Einschätzung von Expertinnen und Experten keine rechtliche Handhabe. Ist ein Mensch einmal überstellt, bleiben allenfalls diplomatische Kanäle, um seine Auslieferung rückgängig zu machen. Erst wenn das Urteil gegen Maja T. in Ungarn gesprochen ist, kann die Person, wenn sie das wünscht, ihre Strafe in Deutschland verbüßen. Das musste Ungarn vor der Auslieferung verbindlich zusagen (§ 80 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRG). 

Der Prozess gegen die Linksextremistin soll am 21. Februar in Budapest beginnen. Gegen ein Geständnis ohne weitere Verhandlung seien der Person 14 Jahre Haft angeboten wurden, schilderte ihr Anwalt. Lasse Maja T. sich darauf nicht ein, könne das Verfahren noch Jahre dauern. Bei einer Verurteilung drohten sogar bis zu 24 Jahre Haft – viel mehr als in Deutschland möglich. Bis dahin kann Maja T. nur auf Hafterleichterungen hoffen. "Wir hoffen, dass die ungarischen Behörden jetzt soviel Anstand besitzen, zumindest eine Hafterleichterung durch einen Hausarrest für Maja zu gewähren", sagte ihr Anwalt Richwin gegenüber beck-aktuell. Auch mögliche Folgenbeseitigungsansprüche werde er prüfen. 

Signalwirkung für andere Verfahren

Helfen könnte der Beschluss aus Karlsruhe indes weiteren mutmaßlichen Linksextremisten aus Deutschland, gegen die im Zusammenhang mit den Angriffen in Budapest ermittelt wird. Die Beschuldigten waren lange untergetaucht. Im Januar hatten sich sieben Personen den deutschen Behörden gestellt, laut einer Erklärung ihrer Anwälte "freiwillig, trotz drohender Auslieferung", um sich gegen die erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Die Verteidigerinnen und Verteidiger werfen der Bundesanwaltschaft vor, die mögliche Auslieferung in die ungarischen Haftbedingungen als Drohkulisse zu nutzen. 

Sechs der sieben Personen sitzen derzeit in Untersuchungshaft – und zwar nach wie vor ausschließlich auf Grundlage der deutschen Haftbefehle, erklärte die Leipziger Anwältin Giulia Borsalino, die Beschuldigte vertritt. "Da aber auch ungarische Haftbefehle vorliegen, muss sich hierzu irgendwann verhalten werden." Sie geht davon aus, dass der Karlsruher Beschluss Einfluss auf möglicherweise anstehende Auslieferungsverfahren haben wird.  Auch Maja T.s Anwalt Richwin sieht eine "starke Signalwirkung" des Beschlusses des BVerfG auf die Parallelverfahren, die Behörden dürften nun eventuellen Zusicherungen aus Ungarn nicht mehr so einfach folgen.

Der Fall Maja T. zeige ein immenses rechtsstaatliches Defizit. "Die vorliegende Situation, dass ein Beschluss des BVerfG praktisch nicht umgesetzt werden kann, ist mir bisher aus keinem anderen Fall bekannt und auch ein ernstes Rechtsstaats-Problem", kommentierte Richwin gegenüber beck-aktuell. Und forderte, als Folge des Beschlusses aus Karlsruhe die Reform des IRG wieder aufzunehmen, "um eine Wiederholung entsprechender Vorgänge strukturell zu verhindern, insbesondere durch die Schaffung eines regulären Rechtsmittels im Auslieferungsverfahren und Gewährung längerer Fristen".

BVerfG, Beschluss vom 24.01.2025 - 2 BvR 1103/24

Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz und Britta Weichlein, 6. Februar 2025 (ergänzt durch Material der dpa).

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