Um zwei Uhr morgens wurde Maja T., so der Name der sich als nicht-binär identifizierenden Person (im Folgenden "sie" für die Person), in einer Berliner Untersuchungshaft-Zelle geweckt. Eine Stunde später startete ein Helikopter zur österreichischen Grenze, von wo aus es im Laufe des Tages weiter nach Ungarn ging. Am Tag zuvor hatte das KG die Auslieferung nach Ungarn gebilligt, die ihr Anwalt wegen drohender schlechter Haftbedingungen und potenzieller Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen Orientierung angefochten hatte. T. wird vorgeworfen, einer deutschen Gruppe anzugehören, die unter anderem im Februar 2023 in Budapest Rechtsextremisten überfallen und auch mit Teleskopschlagstöcken attackiert haben soll.
Was nach dem Abtransport aus Berlin genau passiert ist, da sind sich die Seite von Maja T. und die Justiz nicht einig. T.s Verteidiger Sven Richwin erklärte gegenüber beck-aktuell, sein Kollege habe dem LKA Sachsen, das den Transport durchführte, telefonisch mitgeteilt, dass man Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferungsentscheidung des KG sowie einen Eilantrag an das BVerfG einreichen wolle. Nach Rücksprache mit der Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) Berlin habe sich das LKA zurückgemeldet und mitgeteilt, ein Eilantrag begründe keine aufschiebende Wirkung und man werde die Auslieferung fortsetzen. Was das LKA der GenStA genau mitgeteilt habe, wisse man allerdings nicht, so Richwin.
Eilantrag ging erst nach der Übergabe an Österreich ein
Die GenStA Berlin, die federführend für die Auslieferung zuständig war, teilt indes auf Anfrage mit: "Tatsächlich erfolgte nachts ein Anruf des Landeskriminalamtes Sachsen bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Hier wurde lediglich mitgeteilt, dass der Rechtsbeistand der betroffenen Person sich 'bei der Justiz beschweren' wolle. Eine Ankündigung, dass ein Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden solle, wurde nicht übermittelt." Der Schriftsatz der Verteidiger mit dem Eilantrag, da ist man sich wieder einig, ging erst um 7.38 Uhr in Karlsruhe ein.
Um 8.30 Uhr teilte das BVerfG der GenStA telefonisch mit, dass ein Eilantrag in der Sache anhängig sei. Zu diesem Zeitpunkt war Maja T. aber bereits zwecks Durchlieferung nach Ungarn an die österreichischen Behörden übergeben worden – so jedenfalls die behördliche Darstellung, die sich auch in einer Pressemitteilung des BVerfG wiederfindet. Gegen 10.30 Uhr, so Richwin, hätten die Verteidiger die GenStA nochmals kontaktiert, um herauszufinden, wo sich Maja T. befinde. "Aus Sicherheitsgründen" habe man ihnen dazu aber keine Auskunft erteilt. Um kurz vor 11 Uhr erließ das BVerfG dann einen Beschluss, mit dem es die Auslieferung vorerst untersagte und die GenStA anwies, "durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken".
Inzwischen, daran besteht kein Zweifel, befindet sich Maja T. in Untersuchungshaft in Ungarn, Fakten sind damit geschaffen. Dies sorgte auf vielen Ebenen für Empörung, den Behörden wird vorgeworfen, mutwillig T.s Rechtsschutz in Karlsruhe sabotiert zu haben. Im Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses musste sich unter der Woche neben Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) auch eine Vertreterin der GenStA für das Vorgehen rechtfertigen. Es stellt sich die Frage: War das Vorgehen der Behörden rechtmäßig? Und müssen sie Maja T. nun zurückholen, wie es das BVerfG angeordnet hat?
Warum Maja T. ausgeliefert werden konnte
Die erste Frage hat zwei Aspekte: Zuerst geht es darum, ob eine Auslieferung überhaupt materiell-rechtlich zulässig war. Maja T. hat die deutsche Staatsbürgerschaft, damit sind die Hürden für eine Überstellung ins Ausland hoch: Art. 16 Abs. 2 GG regelt, dass deutsche Staatsbürger grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, in Deutschland verurteilt zu werden. Es bleibt lediglich eine Ausnahme für Auslieferungen innerhalb der EU.
§ 80 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) sieht vor, dass die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zur Strafverfolgung zulässig ist, wenn der ersuchende europäische Mitgliedstaat (hier Ungarn) anbietet, die betreffende Person auf ihren Wunsch zur Vollstreckung nach Deutschland zurückzuüberstellen, und die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist. Das KG verortete den Schwerpunkt der Angelegenheit in Budapest. Ungarn hat zudem ausweislich des KG-Beschlusses, der beck-aktuell vorliegt, ausdrücklich zugesichert, T. auf Wunsch zur Vollstreckung der Strafe zurück nach Deutschland zu überstellen.
Auch die drohenden Haftbedingungen in Ungarn waren nach Ansicht des KG kein Grund, von einer Auslieferung abzusehen. Man schenkte den ungarischen Behörden Glauben, die eine menschenrechtskonforme Unterbringung von Maja T. zugesichert hatten. Auch im Hinblick auf besondere Gefährdungen – etwa Angriffe von Gefängnispersonal oder Mitinsassen – aufgrund von T.s non-binärer Identität glaubte man ungarischen Zusicherungen. Dass solche Gefährdungen existierten, sah das KG aufgrund von Berichten über die dortige Menschenrechtslage als belegt an.
Auf beck-aktuell-Anfrage teilt die GenStA zudem mit, das KG habe, da gegen Maja T. auch ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) in Deutschland läuft, bei diesem ausdrücklich angefragt, ob das Verfahren nicht hierzulande geführt werden könne. Dies habe der GBA verneint und zur Auslieferung an Ungarn auch die nötige Zustimmung (sog. "Ausantwortung") des Ermittlungsrichters am BGH eingeholt.
Wollten die Behörden eine Entscheidung des BVerfG verhindern?
Der zweite, von vielen Seiten stark kritisierte Aspekt ist aber das Tempo der Auslieferung. Auch wenn der Ablauf nach wie vor nicht völlig klar ist, haben LKA und GenStA rein formal vermutlich nicht rechtswidrig gehandelt. Als Maja T. – angeblich um 6.50 Uhr – an die österreichischen Behörden übergeben wurde, war der Eilantrag der Verteidiger gegen die Auslieferung unstreitig noch nicht beim BVerfG eingegangen. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte ein Antrag keine aufschiebende Wirkung gegen den Beschluss des KG entfaltet. Bei dieser Feststellung könnte man es bewenden lassen, doch zahlreiche kritische Stimmen wollen eben das nicht. "Es bleibt auch nach den Erklärungen der Berliner GenStA der Eindruck bestehen, dass hier ein Exempel statuiert werden sollte" schreibt etwa die Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e. V. in einer Stellungnahme zum Fall. "Es bleibt der Verdacht, dass ein Mensch mit Grundrechten zum Objekt der Behörden gemacht wurde, damit man zeigen kann: Wir können mit Dir jetzt machen, was wir wollen und das nutzen wir in unserem Sinne."
Selbst wenn, wie die Berliner GenStA angibt, Maja T.s Anwälte ihren Eilantrag ans BVerfG nicht oder nicht deutlich angekündigt hätten, gehen zahlreiche Expertinnen und Experten bundesweit doch davon aus, dass die GenStA sehr wohl mit einem Eilantrag zum BVerfG rechnete – und Maja T. dennoch auslieferte. Der Kölner Strafverteidiger Nikolaos Gazeas, der unter anderem auf Auslieferungsrecht spezialisiert ist, gibt gegenüber beck-aktuell zu bedenken, "dass bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin Profis im Auslieferungsrecht mit solchen Fällen befasst sind. Sie wissen, dass aufgrund der Ausgestaltung unserer Rechtsordnung ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz an das BVerfG – einmal mehr in so prominenten, streitigen Fällen wie dem vorliegenden, in dem engagierte Rechtsanwälte tätig waren, die absolute Regel ist."
Während behördliches Handeln – auch das von Strafverfolgungsbehörden – in Deutschland zuweilen durchaus lange dauern kann, lag hier kaum etwas mehr als ein halber Tag zwischen der gerichtlichen Zustimmung zur Auslieferung und deren Durchführung, die zudem bis dahin bereits mit zwei anderen Mitgliedstaaten koordiniert worden war. Warum die Behörden es mit Maja T., einer Person, die bereits seit über einem halben Jahr in Untersuchungshaft saß, plötzlich so eilig hatten, ist rätselhaft. Die GStA spricht inzwischen von befürchteten Störaktionen aus dem linksextremen Milieu. T.s Anwalt Sven Richwin mutmaßte im Gespräch mit beck-aktuell dagegen: "Sie hatten es sehr eilig, das sollte vermutlich dazu führen, dass kein Rechtsmittel erfolgen kann." Und fügte mit unverhohlener Bitterkeit hinzu: "Das war leider auch erfolgreich."
Der Kölner Strafverteidiger Gazeas teilt, wie auch andere Expertinnen und Experten im Gespräch mit beck-aktuell, diese Sichtweise: "Es bleibt bei verständiger Würdigung aller Umstände bei Licht betrachtet keine andere tragfähige Erklärung übrig als die, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Gunst der Stunde nutzen und kein Risiko eingehen wollte, dass Karlsruhe durch eine – zunächst vorläufige und im Anschluss im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde abschließende – Entscheidung die Auslieferungsentscheidung womöglich für verfassungswidrig erklärt und aufhebt." Er sieht in diesem Vorgehen daher einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Rücküberstellung geplant, aber kein Weg aus der Untersuchungshaft
Unabhängig davon, ob man in der Auslieferung einen Rechtsbruch erkennen will, fragt sich: Muss die GenStA Maja T. nun zurück nach Deutschland holen? Schließlich hat das BVerfG dies in seinem Beschluss explizit angeordnet. Allerdings fehlt es hierfür wohl an der rechtlichen Handhabe. Ist ein Mensch einmal überstellt, bleiben allenfalls diplomatische Kanäle, um seine Auslieferung rückgängig zu machen. Hierauf stützt sich auch die GenStA. Sie meint, der Beschluss des BVerfG sei mit der Übergabe von Maja T. an die österreichischen Behörden – und damit schon bevor er überhaupt ergangen war – erledigt gewesen.
Strafrechtler Gazeas will sich damit jedoch nicht zufriedengeben: "Die einstweilige Anordnung verpflichtet die Generalstaatsanwaltschaft dazu, dies zumindest zu versuchen. Es gibt eine – insoweit – absolut klare Anordnung des BVerfG." Die GenStA könne sich nicht darauf zurückziehen, dass mit Übergabe von T. an die österreichischen Behörden der Vollzug der Auslieferung abgeschlossen sei, betonte Gazeas: "Karlsruhe hat klar angeordnet, dass die Generalstaatsanwaltschaft die 'Rückführung in die BRD zu erwirken' hat."
Doch T.s Anwalt Richwin macht sich wenig Hoffnungen auf eine baldige Rücküberstellung. Er berichtete gegenüber beck-aktuell in einem Gespräch Anfang der Woche, die Kanzlei stehe über einen ungarischen Kollegen mit T. in Kontakt. Dieser habe T. in einer Zelle in Budapest besuchen können, es habe auch bereits eine erste Anhörung stattgefunden, bei der T. keine Aussage gemacht habe. Die angekündigte Verfassungsbeschwerde sei in Arbeit und man prüfe auch weitere Rechtsmittel. Doch was auch immer man nun versuche, meint Richwin, scheitere am Ende wohl auf der Vollstreckungsebene. Denn Ungarn werde wenig Interesse haben, T. wieder nach Deutschland zurückzuliefern, wenn man ihr dort doch selbst den Prozess machen wolle.
Damit muss T. nun aller Voraussicht nach einem Prozess in Ungarn entgegensehen und wird erst zur etwaigen Strafvollstreckung nach Deutschland zurückkehren können. Rechtsanwalt Gazeas fordert jedoch Konsequenzen über den Einzelfall hinaus: "Um einen solchen Fall für die Zukunft zu verhindern, sehe ich nun die Landesjustizministerinnen und -minister in der Pflicht, ihre Generalstaatsanwaltschaften anzuweisen, dass solche Nacht- und Nebel-Aktionen ohne Zustimmung des Justizministers bzw. der Justizministerin nicht zulässig sind", so der Strafrechtler. "Man muss seine Lehren aus diesem Fall ziehen und so etwas darf sich nie wieder wiederholen."