Skurrile Geschichten: Diese Urteile haben uns 2024 Spaß gemacht
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2024 gab es in der beck-aktuell-Redaktion auch viel zu lachen. Ob Poesie aus dem Pott, Polizeikritik auf Bayerisch oder eine reitende Richterin: Ein kleiner Rückblick auf skurrile Urteile, über die wir für Sie schreiben durften, alte weiße und junge haushaltsferne Männer inklusive. 

Bekanntlich ist der Mandant von heute der Gegner von morgen. Dass er sich aber weigert, die noch ausstehenden Anwaltsrechnungen zu bezahlen, weil die Arbeit nur von einem Salary-Partner gemacht wurde, ist ein Argument, das jedenfalls uns neu war.

Genauso argumentierte aber eine zypriotische Immobilienfirma, die sich wohl von Anfang an als nur begrenzt zahlungswillige Mandantin erwiesen hatte. Als die Anwaltskanzlei schließlich nach offenbar jedenfalls nicht ganz kurzer Zusammenarbeit den Arrest in die noch übrigen Immobilien auf deutschem Boden beantragte, staunte sie vermutlich nicht schlecht: Das Unternehmen focht den Mandatsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Man habe einen Anwalt mit großer Erfahrung im Immobilienbereich gesucht. Der mit der Sache betraute Advokat sei nach außen als Partner aufgetreten, so dass das Unternehmen davon ausgegangen sei, dass er eine erhöhte Leistungsbereitschaft und Know-how zeige – hätten sie gewusst, dass er nur Salary-Partner sei, hätten sie die Kanzlei nicht mandatiert.

So viel Standesdünkel konnte auch das KG zum Glück nichts abgewinnen: Keine Täuschung, argumentierte das Gericht, weil die Stellung als Partner nicht mit einer besonderen Qualifikation verbunden sei. „Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach Salary-Partner weniger hart und engagiert arbeiten würden als Equity(Voll)-Partner.“ Nicht zuletzt angesichts des Mangels an qualifiziertem juristischem Nachwuchs, dem zudem, wenn es ihn denn überhaupt gibt, nachgesagt wird, den Partnerstatus gar nicht mehr wirklich zu wollen, eine erfreulich wertschätzende Einordnung.   

Die reitende Richterin

Vielleicht ist der Justizdienst eine Alternative. Der eröffnet nämlich neben der bekannten Vereinbarkeit von Job und Familie offenbar noch ganz andere Möglichkeiten, Privat- und Berufsleben zu verbinden. Das OLG Celle sah das im März allerdings ein wenig anders: „Wenn das Gericht eine streitige Tatsache nicht selbst beurteilen kann, sollte es auf sachkundige Dritte zurückgreifen“, schrieb der Senat einer Kammer des LG Hannover ins Stammbuch. Deren Vorsitzende hatte gemeint, in einem Werklohnprozess über den Bau einer Reitanlage selbst – und offenbar besser als der zu anderen Fragen durchaus beauftragte Sachverständige – beurteilen zu können, ob der Sand in der Reitanlage hinreichend trittfest war. Schließlich sei die Richterin selbst erfahrene Reiterin. Und so hatte sie mit ihrem eigenen Pferd den streitigen Platz höchstselbst beritten und weder Pferd Hippie noch die Kammervorsitzende konnten Mängel feststellen.

Das in zweiter Instanz mit dem Verfahren befasste OLG Celle, das die Sachlage aufgrund Sachverständigengutachtens anders beurteilte, zeigte dafür wenig Bewunderung:  "Soweit das Landgericht meint, hinsichtlich der Beurteilung der Trittfestigkeit des Sandes eine überwiegende Sachkunde zu haben, ist eine solche Sachkunde für den Reitplatzbau – anders als möglicherweise für das Reiten von Pferden – in keiner Weise dargelegt oder ersichtlich" kam es etwas spitz vom OLG.

Das in Sachen Pressearbeit oft professionell agierende LG Hannover hatte im Jahr 2023 anlässlich seiner Entscheidung in dem Verfahren sogar eine bebilderte Pressemitteilung veröffentlicht, in der es damals hieß: „Dabei konnte die Zivilkammer auf die Sachkunde der Kammervorsitzenden zurückgreifen, die seit 41 Jahren reitet, verschiedene Prüfungen absolviert hat und über verschiedene Abzeichen verfügt". Das Bild zur – mittlerweile gelöschten – Pressemitteilung zeigte Ross und Reiterin. Das hielt die erkennende Richterin aber nicht davon ab, sich nach unserer Berichterstattung über das OLG-Urteil darüber zu beschweren, dass die Redaktion das Bild verwendet habe, das das LG selbst zur Verfügung gestellt hatte.

Poesie aus dem Pott

Manchmal gilt vielleicht doch, dass Gerichte am besten durch ihre Urteile sprechen. Nahezu perfekte Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne lieferte ein amtlicher Leitsatz des AG Dortmund: „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles, was in mir lebt' reimt sich in Dortmund“. Das Straf­ur­teil, das uns Ende März in die Datenbank gespült wurde, begeisterte selbst den bekennenden Bayern-Fan, der daraus für beck-aktuell eine Meldung machte

Es ging um den Raub eines schwarz-gelben Fanschals. Und auf ebendiesem stand die sich für Dortmunder Verhältnisse ausreichend reimende Aufschrift „Mein Herz pumpt. Mein Herz schlägt. Du bist alles was in mir lebt“, teilt das Urteil dazu mit. Dramatisch: Der Angeklagte wollte den Schal laut dem AG nur während des Spiels als Trophäe haben, aber dann nicht einmal behalten. Dem AG Dortmund, das sich keineswegs nur um die mangelnde Dichtkunst in der Ruhrpott-Metropole sorgte, reichte das aber für Zueignungsabsicht („und schließlich auch über die Halbzeitpause 65 Minuten lang bis zum Ergreifen des Täters durch die Polizei in Gewahrsam behalten wird“).

Polizeikritik auf bayerisch

Um zu verstehen, dass auch in Bayern manches anders läuft als im Rest der Republik, muss man nicht Markus Söder auf Instagram folgen (aber es hilft vielleicht). Umso überraschter waren wir, als uns in der Frankfurter Redaktion von beck-aktuell Anfang November ein Beschluss des Bayerischen Obersten erreichte, der das Law-and-Order-Regime im Freistaat in ganz neuem Licht erscheinen ließ: Bayern kann auch tolerant, und das ausgerechnet bei ausfälligem Verhalten gegenüber der Polizei.

Ein Landwirt, der – nicht zum ersten Mal – ohne Führerschein direkt vor seinem Eigenheim in eine Polizeikontrolle geriet, sagte zu den Beamten „Seids ihr no ganz dicht?“ und zeigte ihnen zweimal den Scheibenwischer. Sie wissen schon: erhobene Hand wischt vor dem Gesicht.

Anders als noch das AG Landshut hielt das BayObLG das keineswegs zwingend für eine Beleidung: Die Äußerung sei mehrdeutig und könnte auch eine straflose Polizeikritik sein, befanden die Richterinnen und Richter. Schließlich könnte der Landwirt auch bloß seinen allgemeinen Unmut über das polizeiliche Vorgehen als solches zum Ausdruck gebracht haben, nicht aber konkrete Beamte verächtlich machen wollen. Gerade bei Äußerungen gegenüber Polizeibeamten sei stets zu prüfen, ob die vermeintlich herabsetzende Äußerung dem einschreitenden Beamten selbst oder der Vorgehensweise der Polizei generell gelte.

Alte weiße Männer

So viel Gelassenheit und freiheitliches Denken hätte man auch einem Anwalt und ehemaligen Bundesrichter gewünscht, der uns aber immerhin ein Urteil des OLG Nürnberg beschert hat, das in der Redaktion kurz vor Jahresende für viel Spaß sorgte. Wieder einmal ging es um den Volksverhetzungsparagrafen § 130 StGB, der mittlerweile offenbar für so ziemlich alles herhalten soll, was Menschen nicht in den Kram, aber auch nicht unter den Beleidigungstatbestand passt.

In diesem Fall war es der Spruch „Alte weiße Männer stinken“, von dem der 67-Jährige sich offenbar angegriffen fühlte und gleich noch das Volk mit aufgehetzt sah. Dabei hatte das niemand an ihn adressiert, sondern der Slogan fand sich auf einer Pappwand beim „feministischen Funpark“. Bei dieser Veranstaltung anlässlich des Weltfrauentags am 8. März in Nürnberg waren die Frauen explizit aufgerufen, an dieser Wand ihre Unzufriedenheit mit männlicher Dominanz und Diskriminierung zum Ausdruck zu bringen. Der aufmerksame Zuschauer einer Sendung im Bayerischen Rundfunk, die über die Veranstaltung berichtete, fühlte sich von dem Slogan „Alte weiße Männer stinken“ auf der Wut-Wand offenbar angesprochen. 

Doch weder die angerufene Staatsanwaltschaft noch – nach einem Klageerzwingungsverfahren, das der Richter im Ruhestand anschließend in die Wege leitete – noch das OLG Nürnberg konnten in dem Spruch eine Volksverhetzung erkennen.  Bemerkenswert ist die zeitgemäß ausfallende Begründung des bayerischen Senats: „Alte weiße Männer“ sei ein Code für Privilegien ebendieser männlichen Personen bei gleichzeitiger Leugnung dieser Privilegien; ein Etikett, um in verkürzter und stereotyper Art und Weise ein bestimmtes Mindset (sic!) auf den Punkt zu bringen. Der zugespitzte Diskussionsbeitrag solle nicht ernsthaft ältere, hellhäutige Männer ausgrenzen, die zudem keine besonders vulnerable Gruppe seien, die besonders gefährdet wäre.

Das bisschen Haushalt

Räumlich gar nicht mal so weit entfernt, vom Mindset (sic!) aber gänzlich anders las sich ein Urteil des LG Würzburg, das im Februar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Oder wie viel Verständnis hätten Sie als Vermieterin, wenn Ihr Mieter erst betrunken fast die Küche abfackelt und dann die Miete mindert, weil die Küche nicht benutzbar ist?

So geschehen aber im Zuständigkeitsbereich des AG Würzburg. Und ebenso wie das LG in zweiter Instanz fanden die bayerischen Richterinnen und Richter es nicht verwerflich, dass ein junger Mann, der um halb drei in der Nacht und mit 1,2 Promille Lust auf Pommes bekam, den Topf mit dem heißen Fett aber leider auf dem laufenden Herd vergaß. So weit, so blöd, und bis ihm sein Missgeschick nach einer halben Stunde auffiel, ließ der Brand sich zwar noch löschen, doch die Küche war hinüber.

Seine darauf gestützte Mietminderung auf gleich mal null Prozent fanden die Gerichte offenbar aber in Ordnung: Die Vermieterin sei schließlich versichert, befand man, und der junge Mann sei sicherlich sehr müde gewesen, und zudem betrunken. Außerdem sei allgemein bekannt, dass jungen Männern ganz generell die im Haushalt notwendige Erfahrung fehle; was offenbar auch impliziert, dass der arme junge Mann nicht wissen konnte, dass man einen Herd auch wieder ausschalten muss. Und außerdem hätte ja schließlich, befand das LG Würzburg, ein funktionierender Rauchmelder, für den bekanntlich die Vermieterin verantwortlich gewesen wäre, wenn es ihn denn gegeben hätte, ja auch dafür gesorgt, dass der junge Mann früher wieder wach geworden wäre. Jedenfalls den jungen Männern unter den fast sämtlich in überteuerten Großstädten zur Miete wohnenden beck-aktuell-Redakteuren eröffnet das womöglich ganz neue Perspektiven.

Sie sehen, liebe Leserinnen und Leser, es war nicht alles schlecht in 2024. Wir jedenfalls haben viel gelernt und hoffen, auch Sie hatten nicht nur viel Erkenntnisgewinn, sondern ab und zu auch etwas Spaß bei der Lektüre unserer Beiträge. Bleiben Sie uns gewogen!

Einen guten Rutsch in ein hoffentlich gesundes, friedliches und fröhliches Jahr 2025 wünscht Ihnen von Herzen

die beck-aktuell-Redaktion  

Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz, 30. Dezember 2024.