Recht gehabt – oder eben nicht: Unsere Gewinner und Verlierer 2024
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Es war ein bewegtes Jahr, auch in der Welt des Rechts: Es gab filmreife Debüts und auch Abgänge, bahnbrechende Erfolge und dramatische Niederlagen. Einige Menschen haben sich 2024 im Recht besonders hervorgetan, im Positiven wie im Negativen.

Das Jahr 2024 hat so einige aufsehenerregende Urteile gebracht, sowohl in Deutschland als auch über seine Grenzen hinaus. Einen unbestritten historischen Sieg auf internationalem Parkett haben in diesem Jahr aber die „Klimaseniorinnen“ hingelegt. Vor dem EGMR hatten sie Erfolg mit einer Klage gegen ihr Heimatland, die Schweiz: Das Land tue nicht genug, um den Klimawandel einzudämmen, entschieden die Straßburger Richterinnen und Richter.

Der Zusammenschluss von mehr als 2.500 betagten Damen hatte unter anderem argumentiert, aufgrund des Alters ihrer Mitglieder besonders durch den Klimawandel gefährdet zu sein. Die Große Kammer des EGMR war auf der Seite der "Klimaseniorinnen" und sah unter anderem ihr Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletzt.

Ganz nebenbei gab es auch noch eine prozessuale Neuerung: Die "Klimaseniorinnen" durften als Verband im Namen aller vom Klimawandel Betroffenen klagen. Die Besonderheit des Klimawandels als gemeinsames Anliegen der Menschheit und die Notwendigkeit, die Lasten zwischen den Generationen zu verteilen, erforderten es, Verbänden im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Klagebefugnis zuzubilligen, so der EGMR. Für uns gehören die „Klimaseniorinnen“ mit diesem spektakulären Urteil auf jeden Fall zu den Gewinnerinnen des Jahres 2024.

Der Weimarer-Maskenrichter: viel gewagt – viel verloren

Weniger mit Ruhm bekleckert hat sich dagegen ein Familienrichter, der während der Corona-Pandemie die damaligen Infektionsschutzmaßnahmen auf seine ganz eigene Weise bekämpfte.Der Weimarer Amtsrichter Christian D. hatte gezielt Eltern in seinen Gerichtssaal gelotst, um dann per einstweiliger Anordnung die Corona-Maßnahmen an den Schulen ihrer Kinder untersagen zu können. Außerdem hatte der als „Weimarer Maskenrichter“ bekannte D. gezielt über seine private E-Mail-Adresse Sachverständige angeworben, die seine vorgefasste Auffassung bestätigen sollten.

Für diese Tat verurteilte ihn zuerst das LG Erfurt wegen Rechtsbeugung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe, im November dieses Jahres bestätigte der BGH die Entscheidung: D. habe das ihm übertragene Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht, so die Karlsruher Richterinnen und Richter.

Aus dem Urteil folgt für den Familienrichter aber nicht nur die Bewährungsstrafe; auch sein Richterdienst endet mit Rechtskraft des LG-Urteils. Damit verliert Christian D. auch seine Pension – buchstäblich ein hoher Preis, den der Jurist für seine Aktion gezahlt hat. Und obwohl er von seiner Anhängerschaft wie ein Held gefeiert wird, ist er für uns eindeutig einer der Verlierer des Jahres 2024.

Prüfungsämter versagen en bloc

Um den Titel „Verlierer des Jahres“ haben sich mit Ihren Fauxpas und Pannen in diesem Jahr gleich mehrere Justizprüfungsämter (JPA) beworben. Zuletzt musste etwa in Bayern eine Ersatzklausur angeboten werden, weil in der Examensprüfung die Laptop-Akkus schlapp gemacht hatten. In Hessen wurde derweil versehentlich ein Teil der Lösungsskizze zusammen mit dem Sachverhalt ausgeteilt. Den unrühmlichen Titel gewinnt in diesem Jahr aber ein anderes Prüfungsamt: das JPA Hamm.

Das Problem ist beim JPA Hamm nicht etwa, dass es an seinem Standort Bielefeld offenbar das Abwassersystem nicht in den Griff bekommt: Nachdem eine Klausur wegen einer überfluteten Toilette abgebrochen werden musste, konnte der Standort nicht mehr genutzt werden und die Prüflinge der folgenden Kampagnen wurden kurzerhand nach Hamm statt nach Bielefeld geladen – einige erfuhren das erst eine Woche vor dem Prüfungstermin, manche Kandidatinnen und Kandidaten mussten sogar während der laufenden Kampagne umziehen.

Den Titel „Verlierer des Jahres“ hat sich das JPA Hamm vielmehr mit einem Schnitzer der besonderen Art verdient: Es veröffentlichte aus Versehen eine Liste derjenigen Kandidatinnen und Kandidaten, die die schriftliche Prüfung nicht bestanden hatten, unter dem Titel „Blockversager“. Diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung löste einen Shitstorm und eine Debatte über Wertschätzung und Verständnis zwischen Prüflingen und Prüfungsamt aus. Nicht nur Studierende waren empört, gilt das Staatsexamen doch als Zerreißprobe für die Psyche und eine der schwierigsten Abschlussprüfungen überhaupt. Jährlich fallen bundesweit etwa 30% aller Prüflinge durch. Alles Versager?

Zwar hat das JPA sich anschließend für den Fauxpas entschuldigt und gelobt, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Im Namen aller, die das Examen in diesem Jahr durchmachen mussten, nennen wir das JPA Hamm trotzdem: einen Verlierer des Jahres 2024.

Abgang mit Wumms

Der Cum-Ex-Betrug hat den Steuerzahler mindestens zehn Milliarden Euro gekostet. Dabei wurden Aktien mit und ohne Ausschüttungsanspruch zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Am Ende erstatteten Finanzämter nicht gezahlte Kapitalertragssteuern. Noch mehr Geld – nämlich etwa 28,5 Milliarden Euro – entging dem Staat bei artverwandten Cum-Cum-Deals. Und eine Frau war maßgeblich daran beteiligt, dass in diesem Zusammenhang in rund 120 Verfahren gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt wurde und zahlreiche Akteure verurteilt wurden: Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker.

Brorhilker galt als fleißig, unerschrocken und unermüdlich. Doch dann der Bruch: Im April 2024 verließ die Chefermittlerin die Staatsanwaltschaft – und das nicht gerade leise. "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird." Medienwirksam übte sie massive Kritik an der Strafverfolgung im Bereich Wirtschaftskriminalität und wechselte zur NGO Finanzwende, um – wie sie sagt – „ohne politische Zurückhaltung“ dafür zu kämpfen, dass gestohlene Steuergelder zurückgezahlt werden. Eine Insiderin, die sich mit harter Arbeit einen Namen gemacht hat und ihre Stimme nutzt, um auf Missstände aufmerksam zu machen, verdient einen Platz auf dem Podium der Gewinner des Jahres 2024.

Von Abschiebe-Verhinderern und Gerechtigkeits-Hämmern

Zum Schluss noch zwei ehrenvolle Erwähnungen für Menschen, die beide – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise – der Rechtsstaatlichkeit in diesem Jahr einen Dienst erwiesen haben.

Der erste ist wohl ein Fall von: „Des einen Verlust ist des anderen Gewinn“. Im Fall des vom designierten US-Präsidenten Trump als Justizminister nominierten Matt Gaetz hat wohl die gesamte US-Bevölkerung gewonnen, als Gaetz auf den Posten verzichtete. Gegen den „hammer of justice“, wie Tech-Milliardär und Trump-Unterstützer Elon Musk den ultrarechten Hardliner Gaetz auf X bezeichnete, ermittelte der Ethikausschuss des US-Repräsentantenhauses unter anderem wegen Menschenhandels zum Zweck des sexuellen Missbrauchs sowie wegen angeblichen Drogenmissbrauchs und Vorteilsnahme. Nachdem Gaetz bei einem Treffen mit Senatorinnen und Senatoren im November keine Unterstützer hatte gewinnen können, teilte er auf X mit, für den Posten des Justizministers nicht zur Verfügung zu stehen. Dass er allen Amerikanerinnen und Amerikanern mit seinem Verlust einen Dienst erwiesen hat, verdient eine ehrenvolle Erwähnung.

Und schließlich darf auch eine Anwältin nicht unerwähnt bleiben, die nur ihren Job machte – und das auch noch gut – dafür aber üble Medienangriffe ertragen musste. Gemeint ist die Asylrechtlerin, die den Attentäter von Solingen Issa Al H. in aufenthaltsrechtlichen Fragen beriet. Dafür stellten sie gleich mehrere Medien an den Pranger – allen voran die Bild-Zeitung, die unter einem Foto der Anwältin titelte: "Asyl-Anwältin: Half sie dem Solingen-Terroristen, seiner Abschiebung zu entgehen?"

Es folgte ein Artikel voller Mutmaßungen und Unterstellungen, kaum verholen der Vorwurf, die Anwältin sei mittelbar für das Attentat mitverantwortlich. Dabei hatte sie nichts anderes getan als ihren Auftrag als Organ der Rechtspflege zu erfüllen – nicht mehr und nicht weniger als ihre berufliche Pflicht. Und so setzte die Anwaltschaft dem Medienangriff in der Folge eine Mauer der Solidarität mit der Asylrechtlerin entgegen, die alle an die Aufgabe von Anwältinnen und Anwälten im Rechtsstaat erinnerte. Zwar hat sie nur ihren Job gemacht, doch gerade das macht die Anwältin zur „Gewinnerin der Herzen“ des Jahres 2024.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 27. Dezember 2024.