Cum-Ex-Chefermittlerin: Brorhilker wirft hin – und kritisiert die Politik
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© picture alliance / REUTERS | Thilo Schmuelgen

Der Cum-Ex-Betrug gilt als größter Steuerskandal der Republik. Nun hat Chefermittlerin Anne Brorhilker um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten. Die Oberstaatsanwältin wechselt zur Organisation Finanzwende - und warnt die Justiz, sich nicht ausnehmen zu lassen "wie eine Weihnachtsgans". 

Brorhilker war das Gesicht der Cum-Ex-Ermittlungen. Sie galt als fleißig, unerschrocken und unermüdlich. Jetzt aber reicht es ihr offenbar. Dem "WDR", der zuerst berichtet hatte, sagte Brorhilker: "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird." Die Politik habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. Es bedürfe mehr Personal in der Strafverfolgung, so Brorhilker dem "WDR" gegenüber. Sie schlägt außerdem eine zentrale bundesweite Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität vor, die auch Steuervergehen verfolgt. 

Ihre Ideen im Kampf gegen Finanzkriminalität will sie nun woanders umsetzen – als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation "Finanzwende" in Berlin, wie der "WDR" berichtet. Es gehe ihr darum, das Übel an der Wurzel zu fassen zu bekommen. "Der Wechsel von Anne Brorhilker zu Finanzwende ist eine Kampfansage an Finanzkriminelle und ihre Unterstützer", sagte Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick. Der Verein hatte Anfang des Jahres angesichts der Haushaltskrise mehr Einsatz von der Politik dabei gefordert, Steuergeld aus illegalen Cum-Ex-Geschäften zurückzufordern

Keine Angst vor großen Namen 

In rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt. Der Initiator der Cum-Ex-Geschäfte Hanno Berger wurde mittlerweile rechtskräftig zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, auch Ex-Beschäftigte der Maple Bank wurden verurteilt. Ein früherer Anwalt der Großkanzlei Freshfields musste ferner wegen Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung für drei Jahre und sechs Monate in Haft. Vor Gericht steht zudem der Warburg-Bankier Christian Olearius, der am Montagmorgen vor dem BVerfG mit dem Versuch unterlag, sich gegen Zitate aus seinen privaten Tagebüchern zu wehren

Durch den Cum-Ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Bei den Steuerdeals wurden Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Bei dem Verwirrspiel erstattete der Fiskus unwissentlich Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Erst mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurde den Deals ein Riegel vorgeschoben.

Doch aufgeklärt ist der Skandal noch nicht. Bei Banken lägen immer noch Milliardengewinne aus den Geschäften. Strafrechtlich nicht aufgearbeitet sei, welche Rolle namhafte beteiligte Geldhäuser bei den Machenschaften spielten, gleiches gilt laut "WDR" für die Rolle der Landesbanken wie die frühere WestLB und die HSH Nordbank. Noch mehr Geld als mit Cum-Ex entging dem Staat bei artverwandten Cum-Cum-Deals, die weiter verbreitet waren und kaum juristisch aufgearbeitet sind. Der Mannheimer Finanzwissenschaftler Christoph Spengel schätzt den Steuerschaden zwischen 2000 und 2020 auf 28,5 Milliarden Euro.

"Täter mit viel Geld und guten Kontakten treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz und können sich aus diesen Verfahren schlicht herauskaufen", sagte Brorhilker. Sie sprach sich dagegen aus, die Verfahren im Wege von Absprachen zu beenden, um den Aufwand für die Justiz zu reduzieren. Dabei bekomme der Staat oft nicht einmal die Hälfte der Summe, die ihm zustehe. "Warum sollten wir uns da ausnehmen lassen wie eine Weihnachtsgans?"

"Streit über Neuausrichtung der Kölner StA nicht der Grund"

Die Gefahr, dass die Ermittlung mit ihrem Ausscheiden ins Stocken geraten könnte, sieht Brohilker nicht. "Es sind vier Abteilungen gegründet worden mit vier Abteilungsleitern. Deswegen sind wir gut aufgestellt und ich finde, meine Kollegen machen eine hervorragende Arbeit. Wenn man sie weiterhin unterstützt, wird das auch weiterhin gut laufen," sagte sie gegenüber dem "WDR". "Ich habe das Gefühl, dass die Strafverfolgung wirklich in guten Händen ist", sagte sie.

Grund für ihr Ausscheiden seien nicht die Querelen bei der Kölner Staatsanwaltschaft gewesen, sagte Brorhilker dem "WDR". 

NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte im Herbst versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen, insbesondere Brorhilkers Abteilung aufzuspalten versucht.

Die Pläne waren auf breite Kritik gestoßen und als Entmachtung Brorhilkers verstanden worden, während Limbach argumentiert hatte, es gehe nicht darum, sondern um eine Entlastung und Beschleunigung, damit die zahlreichen noch anhängigen Verfahren nicht verjähren. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.  "Ich war über die Pläne, meine Hauptabteilung aufzuspalten, schon sehr überrascht. Ich habe das damals auch nicht als die Unterstützung verstanden, als die es gedacht gewesen sein sollte." Inzwischen habe es aber gute Gespräche gegeben und das Ministerium habe vier weitere Stellen geschaffen. "In Köln sind sie auf einem guten Weg". Nun aber ohne Anne Brorhilker. 

Limbach teilte am Montag mit, Brorhilker habe sich um die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Machenschaften außerordentlich große Verdienste erworben. "Es ist deshalb bedauerlich, dass sie für uns überraschend heute mitgeteilt hat, die Justiz Nordrhein-Westfalen verlassen zu wollen."

Die Justiz werde sich weiterhin für die effektive und nachhaltige Verfolgung der Cum-Ex-Straftaten einsetzen. "Die Bürgerinnen und Bürger, die um Milliarden Steuergelder betrogen wurden, haben ein Recht darauf, dass der Rechtsstaat die Drahtzieher zur Verantwortung zieht und die unrechtmäßig angeeigneten Steuergelder zurückholt." Die Oppositionsfraktionen SPD und FDP forderten einen Bericht des Justizministers im Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags.

 

 

Redaktion beck-aktuell, bw/pl, 22. April 2024 (ergänzt durch Material der dpa).