Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz staatliche Strukturen im Kampf gegen Kindesmissbrauch stärken. Menschen, die sexuelle Gewalt in der Kindheit erfahren haben, sollen demnach künftig bei der Aufarbeitung mehr Hilfe bekommen. Die Forschung zum Thema soll ausgebaut und ein zuständiger Beauftragter oder eine Beauftragte des Bundes per Gesetz dauerhaft eingesetzt und vom Bundestag gewählt werden.
Schon heute gibt es zwar das Amt der "Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs", das seit März 2022 von Kerstin Claus geführt wird. Claus hatte sich bereits im April für ein solches Gesetz ausgesprochen. Die Stelle war nach dem Missbrauchsskandal 2010 eingerichtet worden, nachdem Fälle an renommierten Bildungseinrichtungen wie dem Canisius-Kolleg und der Odenwaldschule öffentlich geworden waren. Seitdem wurden die Beauftragten vom Kabinett berufen. Ein konkretes Gesetz dazu gab es bisher aber nicht. Auch der BGH hatte sich mit den Missbrauchsfällen in der Odenwaldschule beschäftigen müssen: Hier wurde allerdings das Recht am eigenen Bild thematisiert.
Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, für den Posten eine dauerhafte Grundlage zu schaffen und ihn aufzuwerten. Die Missbrauchsbeauftragte stünde damit künftig auf einer Stufe mit der Wehrbeauftragten oder Datenschutzbeauftragten des Bundes.
Regelmäßiger Lagebericht, mehr Rechte für Missbrauchsopfer
Künftig sollen die Beauftragten einmal pro Legislaturperiode einen Lagebericht vorlegen. Ein solcher Bericht, der auf konkrete Missstände hinweist, kann dann Grundlage für politische Entscheidungen sein. Dem oder der Beauftragten sollen dem Entwurf zufolge außerdem ein Betroffenenrat, der die Belange Betroffener in den Blick nimmt, und eine Aufarbeitungskommission zur Seite gestellt werden, die das Thema unter anderem auf Basis von Zeitzeugenbefragungen untersucht. Auch diese Gremien gibt es bereits, aber ebenfalls bisher ohne gesetzliche Grundlage.
Dauerhaft eingerichtet und finanziert werden soll zudem eine bundesweite Anlaufstelle für Menschen mit Missbrauchserfahrungen. Bisher gibt es bereits ein bei der Missbrauchsbeauftragten angesiedeltes Hilfe-Portal im Netz und eine Hotline, an die sich Betroffene wenden können. Künftig sollen sie aber noch intensiver durch den Prozess begleitet werden, etwa auch durch persönliche Unterstützung bei der Einsicht von Akten.
Erwachsene mit Missbrauchserfahrungen in der Kindheit bekommen mit dem Gesetz spezielle Akteneinsichts- und Auskunftsrechte. Die Jugendämter sollen verpflichtet werden, Betroffenen Einsicht in Erziehungshilfe-, Heim- oder Vormundschaftsakten zu geben und Auskünfte zu erteilen. Ämter sollen Akten, anders als bisher, jahrzehntelang aufbewahren müssen. Mit dem neuen Gesetz soll auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verpflichtet werden, gemeinsam mit den Ländern bundeseinheitliche Informationen und Präventionsangebote zu entwickeln.
Der Handlungsbedarf ist groß: Mit Verweis auf die Kriminalstatistik waren laut Gesetzentwurf 2023 knapp 18.500 Kinder und Jugendliche von sexuellem Missbrauch betroffen. 16.000 davon zwischen sechs und 14 Jahren und 2.200 sogar jünger als sechs Jahre. Es wird vermutet, dass das Dunkelfeld "um ein Vielfaches" größer ist.
Union und Linke unterstützen Gesetzesziele
Aus der Union und von der Gruppe Die Linke kam Unterstützung für die Ziele des Gesetzes. Die CDU-Abgeordnete Bettina Margarethe Wiesmann forderte aber eine Nachbesserung bei einigen Details - etwa bei der Akteneinsicht. Diese müsse auch für Opfer jenseits von 50 Jahren möglich sein. Eine zeitliche Begrenzung, wie sie der jetzige Entwurf vorsehe, sei hier nicht sinnvoll, erklärte Wiesmann.
Der SPD-Familienpolitiker Daniel Baldy begrüßte, dass das Gesetz eine regelmäßige Berichtspflicht an den Bundestag vorsieht. Das schaffe Aufmerksamkeit und die sei wichtig, um die Dunkelziffer zu verkleinern, sagte Baldy.