Künast vs. Facebook: Notice and take down – everywhere?
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Renate Künast zieht in ihrem Streit mit Facebook nach Karlsruhe. Sie will weitgehende Löschpflichten für Plattformbetreiber, wenn diesen illegale Inhalte gemeldet werden. Der BGH-Senat hat dazu selbst einen spannenden Einfall.

Journalistinnen und Journalisten spitzen Themen gerne auf Personen zu, daher hier ein Versuch: Renate Künast und ihr Anwalt Chan-Jo Jun haben einen gemeinsamen Gegner – das soziale Netzwerk Facebook, bzw. dessen Konzernmutter Meta. Jun hat sich in den vergangenen Jahren mit seinen Prozessen gegen das Netzwerk und einem Ermittlungsverfahren gegen Meta-Chef Mark Zuckerberg einen Namen gemacht. "Ein Mann gegen Facebook" titelte die FAZ 2017 über Jun und seinen Kampf gegen Hass und Fake News im Netz, im Handelsblatt hieß es: "Anwalt Chan-jo Jun: Die Akte Facebook". Künast indes ist zunächst einmal – das sollte nicht außer Acht bleiben – das Opfer in dieser Geschichte. Die Grünen-Politikerin, die seit 2002 im Bundestag sitzt und unter Gerhard Schröder Landwirtschaftsministerin war, wird seit Jahren stetig im Netz angefeindet, beleidigt, verleumdet.

Beinahe ebenso lange liefert sie sich nunmehr eine Fehde mit Facebook und dessen Konzernmutter Meta, wo zahlreiche Falschnachrichten und sonstige rechtswidrige Behauptungen und Beleidigungen zu ihrer Person kursieren. Und genau hier liegt das Problem: Zwar ist klar, dass soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte entfernen müssen, wenn Betroffene dies verlangen. Was aber für manche Menschen, die vielleicht nur einmal in ihrem Leben im Netz verleumdet werden, genügen mag, ist für Menschen wie Künast nicht praktikabel. Denn wenn sie jeden Post, der ihr Persönlichkeitsrecht verletzt, löschen lassen will, muss sie dies für jeden eigens verlangen. Eine proaktive Löschpflicht für andere gleichartige Inhalte gibt es nämlich bislang für die Plattformbetreiber nicht.

OLG dehnte "Notice and take down" aus

Genau mit diesem Argument klagt Künast nun in einem Verfahren, das am Dienstag vor dem BGH verhandelt wird (Az. VI ZR 64/24). In der Vorinstanz vor dem OLG Frankfurt a. M. hatte sie in diesem zentralen Punkt Erfolg: Das Gericht befand, Facebook müsse nicht nur einen konkret beanstandeten Post löschen, sondern sei verpflichtet, auch andere sinngleiche Äußerungen zu löschen. Damit rückte es auch ein Stück vom strengen Prinzip ab, wonach Plattformbetreiber nicht selbst nach rechtswidrigen Inhalten suchen müssen, sondern nur verpflichtet sind, diese auf Hinweis zu löschen ("Notice and take down"). 

Hintergrund des Rechtsstreits ist ein Meme, das seit 2021 im Netz kursiert. Darin wird Künast folgende Aussage in den Mund gelegt: "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!". Künast hat dies nie gesagt und klagte auf Löschung – aber eben nicht nur eines einzelnen, sondern aller Memes, die diese Aussage enthielten. Nach vier Jahren Prozess hofft ihr Anwalt Jun, eine Grundsatzentscheidung gegen die Netzwerk-Giganten zu erwirken: Müssen Facebook, X und Co. nach einmaliger Meldung inhaltsgleiche Posts zu Fake News proaktiv löschen und damit auch jeden neuen Upload?

BGH erwägt Anspruch aus DS-GVO

Der BGH hat sich dazu etwas Besonders überlegt und die Parteien im Vorfeld der Verhandlung am Dienstag darauf hingewiesen, dass er über eine alternative Anspruchsgrundlage nachdenkt: Wozu würde es führen, die Angelegenheit aus datenschutzrechtlicher Sicht zu betrachten? Während der Rechtsstreit bislang im Wesentlichen um die deutsche "Waffe" gegen rechtswidrige Inhalte, den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht kreiste, ziehen die Richterinnen und Richter in Karlsruhe auch einen Anspruch aus der DS-GVO in Betracht. Denn nach Art. 17 DS-GVO haben Betroffene "das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen", wenn z. B. die Daten widerrechtlich verarbeitet werden. Dies, so die Überlegung des Senats, müsste logischerweise jegliche Datenverarbeitung, also sämtliche inhaltsgleichen Posts einschließen.

An dieser Stelle kommt ein weiterer EU-Regulierungs-Gigant ins Spiel: der im vergangenen Jahr in Kraft getretene Digital Services Act (DSA). Dieser regelt ganz grundsätzlich, wie Plattformbetreiber mit illegalen Inhalten umzugehen haben. Dabei hält er am Regelungsgehalt des Art. 15 E-Commerce-Richtlinie fest, wonach Plattformen gerade keine allgemeinen Überwachungspflichten treffen. Das scheint zu einem Wertungswiderspruch zwischen DSA und DS-GVO zu führen: Beide Materien sollen sich nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers nicht berühren, würden aber zu gegenteiligen Ergebnissen führen. "Die spannende Frage ist nun, wie der BGH das Verhältnis der beiden zueinander beurteilt" erklärt Rechtsanwalt Jun im Gespräch mit beck-aktuell. "Wir sind jetzt hier im Datenschutzrecht, aber gleichzeitig sieht der DSA ein Provider-Privileg vor." Wie kommt man aus diesem Dilemma raus? 

Künftig nur noch Privileg für neutrale Provider?

Zur alten E-Commerce-Richtlinie hat der EuGH bereits entschieden, dass diese es durchaus erlaube, Anbieter zur Löschung sinngleicher Inhalte zu verpflichten, sofern dies mit vertretbarem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Insbesondere dürften sie nicht zu einer "autonomen Beurteilung" des Inhalts gezwungen werden. Überträgt man diese Wertung auf den DSA, dann stellte sich vor allem die Frage danach, ob Facebook, bzw. Meta die weitergehende Löschpflicht zumutbar ist. Aus Sicht von Jun könnte dies nun dazu führen, dass der BGH zwischen zwei Provider-Arten unterscheidet: Dem neutralen Host-Provider, der Daten lediglich speichert, aber nicht aktiv behandelt, und dem datenkontrollierenden Provider, der sie mit einem nach ökonomischen Maßgaben programmierten Algorithmus in die Nutzer-Timelines einspeist.

Karlsruhe neige in den letzten Jahren stärker dazu, Provider in die Haftung zu nehmen, meint Jun und hofft: "Er könnte sagen, dass dort, wo wir einen 'Controller' haben, wo jemand entscheidet, wie Daten verarbeitet werden, dieser vom Provider-Privileg ausgenommen ist." Dem Provider, der ohnehin aktiv mit den Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer hantiere, könne es zuzumuten sein, rechtswidrige Inhalte auch aktiv zu suchen und zu löschen. Den praktischen Einwand von Meta, dies sei nicht oder nur mit riesigem Aufwand möglich, ließ das OLG in der Vorinstanz bereits nicht gelten: Der Konzern sei technisch in der Lage, diese automatisiert, ggf. mit Hilfe von KI, herauszufiltern und müsse dann im Einzelfall eben manchmal auch Menschen Grenzfälle prüfen lassen.

Und was ist mit der Sorge vor Zensur, vor "Overblocking", bzw. ausufernder Löschung, die schon seinerzeit die Diskussionen um das deutsche Anti-Hassrede-Gesetz NetzDG begleitete? Könnten die Netzwerke künftig auch versehentlich kritische Auseinandersetzungen mit rechtswidrigen Inhalten verwechseln und diese löschen? Bloß vorgeschoben, findet Jun. Er habe vor dem OLG mit einem Chat-GPT-4-Modell gezeigt, dass es mittels KI einfach möglich sei, zwischen offenkundig rechtswidrigen und völlig legalen Inhalten und den wenigen Grenzfällen zu unterscheiden, die dann ein Mensch überprüfen müsse. Die Frankfurter Richterinnen und Richter hat er damit überzeugt.

Schmerzensgeld als Druckmittel?

Ein anderer Anspruch blieb vor dem OLG jedoch auf der Strecke: Künast und Jun fordern auch 10.000 Euro Schmerzensgeld von Meta. Dahinter steckt vor allem ein Gedanke, den Jun im Gespräch darlegt: Aus seiner Sicht haben die Plattformbetreiber schlicht kein Interesse daran, die Inhalte zu löschen. Schließlich verdienten sie mit der Erregung, die solche Posts auslösen, bares Geld. Auch wenn man nun vor dem BGH gewinne, sei nicht ausgemacht, dass sich Meta künftig an das Urteil halten werde: "Ich befürchte, dass sie das schlichtweg ignorieren könnten, wenn wir nicht mehr Druck aufbauen" meint Jun. Nur ein hohes Schmerzensgeld könne da etwas entgegensetzen, anderenfalls gebe es keinen monetären Anreiz, da etwaige Prozesse und das damit verbundene Kostenrisiko Unternehmen wie Meta nicht abschreckten – dafür aber die Betroffenen, die jahrelang prozessieren müssten.

Jun verweist dazu auf die USA, wo es für solche Fälle zur Abschreckung einen Strafschadensersatz gebe. Das könne "disziplinierende Wirkung" haben. Prominentester Verurteilter zu einem solchen Strafschadensersatz für die Verbreitung von Fake News ist wohl der rechte Verschwörungstheoretiker Alex Jones, der die Lüge verbreitete, dass der Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule im Jahr 2012 gestellt gewesen sei. Hierfür muss er knapp eine Milliarde Dollar an die Familien der Opfer zahlen.

Der Rechtsstreit zwischen Künast und Meta enthält also viele spannende Rechtsfragen, die auch Experten sehr interessieren dürften. Ob diese in naher Zukunft beantwortet werden, hängt auch davon ab, ob der BGH noch eine Vorlage an den EuGH für erforderlich hält. Käme es dazu, würde sich der Streit noch einmal um einige Monate verlängern. 

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 17. Februar 2025.

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