BSG: Anspruch des Sozialversicherungsträgers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind

SGB VI § 118 III

1. Der Rentenversicherungsträger ist nach § 118 Abs. 3 SGB VI berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen die Rückzahlung einer überzahlten Rente direkt bei dem Zahlungsinstitut einzufordern.

2. Ob ein Anspruch gegen das Zahlungsinstitut besteht, hängt u.a. davon ab, ob auf das Konto, auf das die Rente geflossen ist, durch Verfügungen zugegriffen wurde, die das Zahlungsinstitut dem Rentenversicherungsträger nach § 118 Abs. 3 Satz 3 SGB VI entgegenhalten darf.

3. Durch den Großen Senat zu entscheiden ist die Frage, ob die Schließung des Kontos durch den dazu berechtigten Erben eine solche Verfügung ist. (Leitsätze der Verfasserin)

BSG, Beschluss vom 17.08.2017 - B 5 R 26/14 R, BeckRS 2017, 137064

Anmerkung von
Prof. Dr. Christina Escher-Weingart, Universität Hohenheim, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 05/2018 vom 16.03.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Der Rentenversicherungsträger hat nach dem Tod der Berechtigten weitere 727,08 EUR auf das Konto der Verstorbenen bei der Beklagten überweisen. Diesen Betrag begehrt er nunmehr von der beklagten Bank zurück. Die Beklagte erhielt am 24.11.2009 Kenntnis vom Tod der Berechtigten. Am 27.01.2010 löste die Beklagte das Konto auf und zahlte den noch vorhandenen Saldo an die Töchter der verstorbenen Berechtigten aus. Am 26.03.2010 ging bei der Beklagten das Rückforderungsverlangen des Rentenversicherungsträgers ein. Die Beklagte lehnte die Rückzahlung der überzahlten Rente mit dem Hinweis auf die anderweitige Verfügung über die Beträge im Rahmen der Kontoschließung ab und teilte dem Rentenversicherungsträger Namen und Anschrift der Erben mit.

Das SG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das LSG (BKR 2014, 526) hob die Entscheidung auf und hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung gab das LSG an, dass über den Betrag durch die Kontoschließung bereits anderweitig verfügt worden sei. Dabei käme es für die Berücksichtigungsfähigkeit der Verfügung gegenüber dem Rentenversicherungsträger nicht auf die Kenntnis der Bank vom Tod des Rentenempfängers, sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes auf den Eingang des Rückforderungsverlangens an. In dem Moment des Eingangs des Rückforderungsverlangens war das Konto aber bereits aufgelöst.

Entscheidung

Der 5. Senat des BSG legt nunmehr wegen divergierender Entscheidungen des 13. Senats (BeckRS 2016, 69346) die folgende Rechtsfrage dem großen Senat des BSG vor:

"Setzt ein Anspruch des Sozialversicherungsträgers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraus?"

Der 5. Senat ist der Ansicht, dass die Rückzahlung der überzahlten Rente nur möglich ist, wenn das Konto, auf das die Rente geflossen ist noch besteht. Dies leitet der 5. Senat aus dem Begriff der "Rücküberweisung" her. Der 5. Senat legt diesen Begriff grammatikalisch aus und kommt zu dem Schluss, dass eine Rücküberweisung nur aus dem Konto möglich ist, auf das der Geldbetrag geflossen ist. Ist dieses Konto aufgelöst, ist die Rücküberweisung aus seiner Sicht unmöglich und damit kann eine entsprechende Pflicht der Beklagten nicht mehr auferlegt werden.

Der 13. Senat (a.a.O.) hingegen legt den Fokus der Auslegung auf den Begriff des Vorbehaltes in § 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Nach seiner Ansicht ist durch diesen Vorbehalt die überzahlte Rente nie aus dem Vermögen des Rentenversicherungsträgers entlassen worden, so dass der entsprechende Betrag von jedwedem Empfänger einer entsprechenden Geldsumme nach Abs. 3 oder 4. zurückzuerstatten ist. Dabei ist es für den 13. Senat völlig unerheblich, woher der Erstattungspflichtige diesen Betrag nimmt. Für den 13. Senat ist es daher irrelevant, ob das entsprechende Konto bei einer Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI noch besteht. Für ihn ist vielmehr im Verhältnis zur Bank ausschließlich entscheidend, ob die Bank vom Tod des Rentenberechtigten wusste. Nach Ansicht des 13. Senats hat die Bank den Betrag zurückzuerstatten, der auf dem Konto unter Saldierung aller berechtigten Verfügungen im Moment der Kenntniserlangung der Bank vom Tod des Rentenberechtigten noch vorhanden war (oder sollte es danach noch zu relevanten Zuflüssen von dritter Seite auf dem Konto gekommen sein, einen entsprechend höheren Betrag).

Da im vorliegenden Fall das Konto nach der Kenntniserlangung der Bank vom Tod des Rentenberechtigten aufgelöst worden war, kommen die Senate zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass die Anrufung des Großen Senates ist notwendig ist.

Praxishinweis

Die Entscheidung des Großen Senats ist von hoher Bedeutung für die Rückerstattungspflicht der Banken. denn die zeitliche Reihenfolge des vorliegenden Sachverhalts ist nahezu zwingend. Wenn die Erben das Konto des verstorbenen Rentners auflösen, so wird die Bank bei der Kontoauflösung immer vom Tod des Kontoinhabers wissen. Eine abweichende Konstellation ist nur denkbar, wenn das Konto auf Grund einer über den Tod hinaus wirkenden aber auch schon zu Lebzeiten geltenden Vollmacht aufgelöst wurde, ohne dass der Bank das Versterben des Kontoinhabers mitgeteilt worden wäre. Diese Konstellation ist praxisfern. Damit sind mehr oder minder alle Fälle des Zusammentreffens von Rückforderungsverlangen und Kontoauflösung von der Entscheidung umfasst.

Der Vorlagebeschluss betrifft nur einen kleinen Ausschnitt aus der Gesamtproblematik. Das BSG legt § 118 Abs. 3 SGB VI extensiv zu Lasten der Banken aus. Die Banken werden so gezwungen, überzahlte Renten entgegen der ursprünglichen Intention des § 118 Abs. 3 SGB VI, der die Zahlstellenfunktion der Banken noch richtig umgesetzt hat, aus eigenem Vermögen zu zahlen. Das Problem kulminiert aber in der Tat bei der Frage der Kontoauflösung, da hier alle Probleme in zugespitzter Form sichtbar sind. Wenn die Erben das Guthaben aus dem Konto ausbezahlt bekommen haben, ist offensichtlich, dass die Bank das Rückforderungsverlangen nicht mehr – quasi als Durchführender für die Erben – aus dem Nachlass erfüllen kann. Die Bank muss in diesem Fall zwangsläufig auf eigenes Vermögen zur Zahlung des Rückforderungsverlangens zurückgreifen. Da das Konto aber bereits aufgelöst ist, ist auch die Vertragsbeziehung zu den Erben beendet. Damit stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie die Bank die Zahlung vom eigentlichen Schuldner, nämlich dem um die Rentenzahlung bereicherten Erben, zurückerhalten kann. Ein Anspruch der Bank gegen den Erben ist nach der Zivilrechtsdogmatik ausgesprochen zweifelhaft und eher abzulehnen, auch wenn das Rechtsgefühl anderes nahelegt. Damit aber drängt sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens des 13. Senates auf, da eine cessio legis zum Ausgleich fehlt.

Sollte i.S.d. 13. Senates entschieden werden, wäre es ökonomisch logisch, wenn die Banken entsprechende Sicherungen einbauen würden, um nicht zur Rückzahlung der Renten aus eigenem Vermögen herangezogen zu werden. Die zielführendste Methode wäre eine Verfügungssperre über das Konto in dem Moment, in dem die Bank vom Tod des Rentners erfährt bis zu dem Moment, in dem sicher das Ob und die Höhe eines etwaigen Rückforderungsanspruches feststehen. Damit wäre dann aber auch die Zahlung der Beerdigungskosten aus dem Nachlass ausgeschlossen. Auch die per Lastschrift eingezogenen Forderungen und alle Daueraufträge würden platzen, was zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand und in der Mehrheit der Fälle, bei denen der Erbe nicht zur Erstattung in der Lage oder willens ist, auch zu einer drastischen Vermehrung der Nachlassinsolvenzen mit Kostenfolgen für die Staatskasse kommen würde.

Insgesamt ist die Meinung des 13. Senats weder rechtlich noch ökonomisch überzeugend. Die Auslegung des 5. Senats hingegen spiegelt die Zahlstellenfunktion der Banken richtig wieder, nach der die Nachlasskonten nicht eigenes Vermögen der Bank betreffen, sondern nur eine Verrechnungsstelle der Zahlungen und Zahlungseingänge des Kontoinhabers sind. Diese Funktion ist mit der Kontoauflösung beendet, so dass auch keine Zurücküberweisung von auf das Konto geflossenen Beträgen mehr möglich ist. Dem 5. Senat ist daher zu folgen.

Redaktion beck-aktuell, 20. März 2018.