Tag der Menschenrechte: Gute Neuigkeiten, 2024?
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Am heutigen Tag der Menschenrechte scheint das Gesamtbild ziemlich düster: Ob in Gaza, der Ukraine oder in den Vereinigten Staaten – die globale Menschenrechts-Lage scheint sich zu verschlechtern. Doch auch 2024 gibt es sie noch: Nachrichten, die Hoffnung machen.

Wer in diesen Tagen an Menschenrechte denkt, der denkt an schlechte Neuigkeiten. Aus Gaza gibt es ständig neue Berichte über Menschenrechtsverletzungen, das Ausmaß der Verbrechen in der Ukraine lässt sich kaum ermessen und auch in der westlichen Welt scheint es um die Grundrechte nicht unbedingt zum Besten bestellt. In den USA versucht die republikanische Partei, die reproduktiven Rechte von Frauen zu beschneiden und will Schulbildung der Religion unterordnen. Und in Deutschland hat sich das Lagebild im Bereich Gewalt gegen Frauen eher verschlechtert als verbessert – auch, weil die 2017 ratifizierte Istanbul-Konvention bis heute nicht vollumfänglich umgesetzt wurde. Vor allem aber ist die Demokratie als solche, die wie keine andere Staatsform individuelle Freiheiten und Menschenrechte garantiert, in vielen Ländern unter Druck geraten.

Glaubte man nach dem Ende des Kalten Krieges und Francis Fukuyamas berühmtem Buch über das "Ende der Geschichte", liberale Demokratien würden nun überall ihren Siegeszug antreten, so scheint das ein kurzsichtiger Befund gewesen zu sein. "Nach dem Ende des Kalten Krieges herrschte großer Optimismus, dass sich nun alles zum Besseren wenden würde", erklärt Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Auch Fukuyama selbst gestand 2008 ein, mit seiner These, Demokratien würden sich nun überall durchsetzen, nicht ganz richtig gelegen zu haben.

Windfuhr erklärt das vor allem mit unterschiedlichen Faktoren: Zum einen sei in den Staaten des früheren Ostblocks die Demokratie nie wirklich verinnerlicht worden. "Die bloße Nachahmung hat nicht zu einer etablierten Demokratie geführt", erklärt er im Gespräch mit beck-aktuell. Außerdem habe die Demokratie den Menschen in den vergangenen Jahrzehnten nicht überall die versprochene Besserung ihrer Lebensumstände gebracht. "Demokratie muss auch liefern", sagt Windfuhr. Die neoliberale Agenda westlicher Politik habe seit den 90er Jahren eine ökonomische Umverteilung von unten nach oben mit sich gebracht, was nun autoritäre Bewegungen stärke – im Osten wie im Westen.

All das kann Fatalismus wecken à la "Menschenrechte interessieren doch niemanden mehr" oder "Völkerrecht ist ein zahnloser Tiger". Doch da am heutigen internationalen Tag der Menschenrechte eben jene gefeiert und nicht zu Grabe getragen werden sollen, lohnt es sich, nach dem zu suchen, was man kaum mehr zu finden glaubt: gute Neuigkeiten im Jahr 2024.

Polens Weg zurück zum Rechtsstaat

Die erste findet sich in der unmittelbaren deutschen Nachbarschaft, in Polen. Die dortige Demokratie schien als eine der ersten im Westen im Sterben zu liegen, nachdem die populistische Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Prawo i Sprawiedliwosc: PiS) in den Parlamentswahlen 2015 und 2019 Siege davongetragen hatte und begann, die demokratischen Institutionen anzugreifen, nicht zuletzt das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht. Die Regierung missachtete zudem Urteile internationaler Gerichte (EuGH und EGMR) und Mahnungen der EU-Kommission, was ihr einen offenen Konflikt mit Brüssel einbrachte.

Doch die Polinnen und Polen ließen sich all das nicht mehr bieten. Eine Initialzündung war ein Urteil des politisch neu geformten Verfassungsgerichts im Oktober 2020, das Abtreibungen selbst aufgrund schwerer und unheilbarer Schäden des Fötus als verfassungswidrig einstufte. In der Folge gingen im Rahmen der sogenannten Frauenproteste Zehntausende auf die Straße. Bei der Parlamentswahl 2023 schließlich verlor die PiS-Partei nach acht Jahren ihre Mehrheit in beiden Parlamentskammern an die Koalition des früheren konservativen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Die Wahlbeteiligung lag mit 74,38% auf einem Rekordhoch. Seither versucht die neue Regierung, die autokratischen Verwerfungen der vergangenen Jahre zurückzudrehen. "Das Beispiel Polen zeigt, dass man sich etablierenden autoritären Nationalismus auch wieder zurückdrängen kann" meint Michael Windfuhr. Das sei jedoch kein Selbstläufer: "Wir müssen in jedem Land darum kämpfen, uns diesen Kräften nicht zu ergeben."

Freiheit für Julian Assange

Ebenfalls in Europa, aber im Grunde weltweit spielt der Fall von Julian Assange. Der Wikileaks-Gründer wurde von den USA verfolgt. Der Vorwurf: Mit der Whistleblowerin Chelsea Manning habe er geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht. Assanges Unterstützer hingegen sehen ihn als Opfer einer politischen Verfolgung, weil er für die Amerikaner unbequeme Wahrheiten veröffentlicht habe, nämlich Kriegsverbrechen ihrer Soldatinnen und Soldaten. Bei einer Verurteilung in den USA hätten Assange wegen Spionage bis zu 175 Jahre Haft gedroht.

Über mehrere Jahre versuchte Assange, sich einer Auslieferung an die USA zu entziehen, sieben Jahre lang lebte Assange allein im Schutz der ecuadorianischen Botschaft in London, bevor ihm dieser nach einem Regierungswechsel in Quito entzogen und er durch die britische Polizei verhaftet wurde. Diese hatte ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen, die Anschuldigungen wurden aber später aus Mangel an Beweisen fallengelassen. Menschenrechtlerinnen, Politiker und Aktivistinnen hatten immer wieder seine Freilassung verlangt. 2021 erklärte auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands Frank Überall: "Julian Assange verdient nicht mehrfach lebenslänglich, sondern einen Orden". Die Aufdeckungen der US-Kriegsverbrechen durch Wikileaks seien zeitgeschichtlich unverzichtbar gewesen.

Nach seiner Verhaftung lebte Assange weitere fünf Jahre in einer Zelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, sein Gesundheitszustand galt als schlecht. Im Juni dieses Jahres kam dann recht überraschend die Nachricht, dass die USA zugestimmt hatten, die Strafverfolgung Assanges einzustellen. Im Gegenzug bekannte er sich der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen. Ganz gleich, wie man zu Assange persönlich stehen mag: Dass diese Art der Verfolgung in seinem Fall nun ein Ende hat, ist eine gute Nachricht für die Menschenrechte.

Sieg der "Klimaseniorinnen" in Straßburg

Über die Art und Weise, wie Klimaschutz zu betreiben ist, lässt sich streiten, wie es unter anderem die deutsche Politik vormacht. Braucht es radikale Einschnitte oder reicht es, auf technologischen Fortschritt zu setzen? Worüber sich jedoch die meisten einig sind: Es muss etwas getan werden, auch und gerade im Interesse der Menschen. Mit dieser simplen Botschaft zogen die "Klimaseniorinnen", ein Schweizer Verein, dessen Mitglieder – allesamt Frauen – ein Durchschnittsalter von 73 Jahren haben, vor den EGMR. Dort argumentierte er unter anderem mit dem hohen Lebensalter seiner Mitglieder, die deshalb besonders durch den Klimawandel gefährdet seien, beispielsweise wegen extremer Hitzewellen.

Ihre Klage richtete sich gegen ihr Heimatland, das nicht genug unternehme, um das im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Vor dem EGMR gab es dann einen für viele überraschenden Erfolg für die "Klimaseniorinnen": Das Gericht entschied, dass es die Schweizer Regierung versäumt habe, ausreichende Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, was die betroffenen Frauen in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK verletze. Noch bedeutsamer war aber, dass der EGMR erstmals ein Verbandsklagerecht anerkannte, das es Vereinen wie den "Klimaseniorinnen" ermöglicht, individuelle Menschenrechtsverletzungen zu rügen – im Kampf für die europäischen Menschenrechte ein riesiger Schritt.

Thailand legalisiert Ehe für alle

Gute Nachrichten für die Menschenrechte gab es in diesem Jahr auch an ferneren Orten. So hat Thailand im Juni die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet und folgte damit Deutschland lediglich sieben Jahre später in dieser Hinsicht nach.

Die thailändische Regierung hatte die Ehe für alle zuvor zu einem Ziel ihrer Legislaturperiode erklärt, Menschenrechtler und Aktivisten hatten dafür geworben. Mit dem Gesetz, das im Parlament mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde, genießen homosexuelle Paare nun die gleichen gesetzlichen Privilegien und Pflichten wie heterosexuelle Paare, etwa beim Eigentum, Erbschaften oder Adoption. Thailand ist damit das erste Land in Südostasien und erst das dritte Land in ganz Asien, welches die Ehe für alle eingeführt hat. Für ein Land, das Amnesty International in seinem Report für das Jahr 2023 noch wegen rigider Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, sowie für Folter und das Verschwinden von Menschenrechtsaktivisten kritisierte, ein bemerkenswerter Fortschritt.

Simbabwe schafft Todesstrafe ab

Schließlich gibt es auch aus Afrika gute Neuigkeiten: Simbabwe, das laut Amnesty-Report ebenfalls viel Nachbesserungsbedarf in Sachen Menschenrechte hat, ist in einem Punkt nun weiter als etwa die USA. Im Februar dieses Jahres votierte das dortige Parlament für die Abschaffung der Todesstrafe. Bereits zuvor hatte seit 2005 ein faktisches Moratorium gegolten, es wurde in dieser Zeit keine Todesstrafe mehr vollstreckt. Nun verabschiedete sich das Land auch formal von diesem Relikt aus Zeiten der britischen Kolonialherrschaft.

"Menschenrechte müssen erkämpft werden"

All das sind – aus einer menschenrechtlichen Perspektive – gute Neuigkeiten, aber doch Einzelfälle. Und sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die allgemeine Entwicklung, gerade in der westlichen Welt, in den vergangenen Jahren zum Autoritarismus und Nationalismus tendierte. Für Windfuhr vom Institut für Menschenrechte ist das allerdings nicht überraschend und muss auch nicht von Dauer sein: "Die weltweite Situation bei der Umsetzung der Menschenrechte ist ein stetiges Auf und Ab", erläutert er. "Menschenrechte werden nicht bloß einmal erkämpft und sind dann gesichert. Es gab vor dem Fall der Mauer viel Unterdrückung in Osteuropa, in den 60er und 70er Jahren hatten wir immer noch das Apartheidregime in Südafrika, in den 80er Jahren brutale Militärdiktaturen in Südamerika." Wichtig sei, so Windfuhr, dass Strukturen und Mechanismen geschaffen würden, um Freiheit zu garantieren.

Tatsächlich habe sich in den vergangenen Jahren viel bewegt: "Wir haben viel erreicht, mit Blick auf internationale Institutionen, wie das UN-Hochkommissariat, oder national, wie die nationalen Menschenrechtsinstitutionen, außerdem in der Normentwicklung oder -präzisierung, der Rechtswahrnehmung. Nehmen sie nur die UN-Konventionen zu Kinderrechten oder die Wahrnehmung von Rechten indigener Völker oder das Thema Wirtschaft und Menschenrechte." Auch würden in vielen Ländern des globalen Südens heute sexuelle Übergriffe auf Frauen und Kinder nicht mehr toleriert. "Das wird zu mehr Freiheitsrechten führen", so Windfuhr. Doch all das vollziehe sich nicht von selbst, sondern die Rechte müssten immer wieder erstritten werden. "Und es ist nichts, was man von außen durchsetzen kann. Menschenrechte müssen in den Gesellschaften selbst erfochten werden." Der Kampf geht also weiter, aber verloren ist er nicht.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 10. Dezember 2024.