Zu lang, praxisfern und am Ende auch noch das gefürchtete Staatsexamen – das traditionelle Jura-Studium steht schon seit längerem in der Kritik. Nach einer Umfrage des Bundesverbands rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) würde nur jeder dritte unter den Absolventinnen und Absolventen die Ausbildung in der jetzigen Form weiterempfehlen. Es gibt zahlreiche Reformideen, doch ihre Umsetzung gestaltet sich schwierig. Das zeigt nicht zuletzt die hitzig geführte Debatte um die Einführung eines integrierten Bachelors auf dem Weg zum Staatsexamen.
Viele entscheiden sich längst dafür, "anders" Jura zu studieren. Laut dem Soldan Institut hat seit der Jahrtausendwende die Zahl der Studierenden in Studiengängen, die nicht auf den Erwerb der traditionellen "volljuristischen" Qualifikation zielen, stark zugenommen. Der Anteil der Studienanfänger im Wirtschaftsrecht beispielsweise liege in der Fächergruppe Rechtswissenschaften seit einigen Jahren bei rund 20% – mit leicht steigender Tendenz.
Jura wird bei den alternativen Ausbildungswegen in der Regel mit einem oder mehreren anderen Fächern kombiniert, meistens mit Wirtschaft, aber auch mit Politikwissenschaften, Verwaltung, Sprachen oder Informatik. Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums, das in der Regel zwischen sechs und acht Semestern dauert, erhalten die Studierenden den akademischen Grad des Bachelor of Laws (LL.B.). Viele vertiefen ihr erworbenes Wissen anschließend mit einem Masterabschluss.
Schnittstellenkompetenz statt Befähigung zum Richteramt
Mit Studiengängen wie Informationsrecht an der Hochschule Darmstadt, Wirtschaftsrecht – Nachhaltigkeit und Ethik an der Hochschule Fulda oder Business & Law in Accounting & Taxation an der Hochschule RheinMain gibt es vor allem an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (früher Fachhochschulen) viele Möglichkeiten.
Doch auch viele Unis bieten inzwischen fächerübergreifende Jura-Studiengänge an. An mehreren Universitäten gibt es einen Bachelor in Recht und Politik und die Universität Rostock bietet etwa den LL.B. Good Governance – Wirtschaft, Gesellschaft, Recht an. Studierende können an einigen Unis neben dem deutschen LL.B. in einem länderübergreifenden Doppelstudium gleich noch einen ausländischen Abschluss miterwerben, zum Beispiel an der Universität Bayreuth einen deutsch-spanischen oder an der Universität Hamburg einen deutsch-türkischen.
Die Vorteile der interdisziplinären LL.B.-Studiengänge liegen auf der Hand: Absolventen und Absolventinnen können Schnittstellen-Kompetenz vorweisen, früh in den Beruf einsteigen und das ungeliebte Staatsexamen entfällt. Arbeitgeber im Ausland können mit dem akademischen Titel LL.B., der den Vorgaben des europäischen Bologna-Prozesses zur Vereinheitlichung der Studienabschlüsse entspricht, in der Regel mehr anfangen als mit dem deutschen Staatsexamen.
Es gibt allerdings auch einen großen Nachteil: Wer sich für ein LL.B.-Studium entscheidet, kann in Deutschland nicht Rechtsanwalt, Richter, Staatsanwalt oder Notar werden. Diese klassischen juristischen Berufe stehen nur Volljuristen offen. Wer eine solche Karriere ohnehin nicht plant, hat mit einem Jura-Bachelor auf dem Arbeitsmarkt aber gute Aussichten.
Wirtschaftsrecht: Vom "Halbjuristen" zum gefragten Experten
Das Studium des Wirtschaftsrechts ist der Pionier unter den alternativen Jura-Studiengängen. Es vermittelt seit knapp 30 Jahren nicht nur juristisches, sondern auch betriebswirtschaftliches Know-how. "Die Nachfrage nach den Absolventen ist groß", sagt Andreas Bücker, Professor an der Hochschule Wismar und Sprecher der Wirtschaftsjuristischen Hochschulvereinigung. Das Berufsbild habe sich schon lange am Arbeitsmarkt etabliert. Längst seien die Zeiten vorbei, in denen Wirtschaftsjuristinnen und -juristen noch als "Juristen light" oder "Halbjuristen" verunglimpft wurden. Immer mehr Absolventen und Absolventinnen beginnen bereits nach dem Bachelor-Abschluss ihre berufliche Laufbahn und absolvieren den Master berufsbegleitend nebenbei.
Wirtschaftsjuristinnen und -juristen arbeiten beispielsweise in Rechts- und Personalabteilungen, in der Finanzverwaltung, als Datenschutzbeauftragte, als Assistenz der Geschäftsführung, in der Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung oder in der Insolvenzverwaltung. Auch in den Großkanzleien haben sie ihren Platz gefunden. Im Vergleich zu Volljuristinnen und -juristen mit Staatsexamen und Anwaltszulassung sind die Einstiegsgehälter in der Regel niedriger und sie haben normalerweise keine Chance auf eine Partnerschaft. Allerdings haben einige Kanzleien mittlerweile spezielle Karrierewege für Bachelorabsolventinnen und -absolventen etabliert.
"Geschätzt wird bei Arbeitgebern die Praxisorientierung und die Ausbildung in betriebswirtschaftlichen Themenfeldern", sagt Bücker. So lernen Wirtschaftsjuristinnen und -juristen im Studium, Buchführung und Bilanzen zu lesen. Der Anteil der betriebswirtschaftlichen Inhalte beträgt etwa 30%. Zusätzlich umfasst die Ausbildung 10% Querschnittskompetenzen wie Lösungsorientierung oder Rhetorik. Etwa 60% des Studiums entfallen auf das Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt im Zivilrecht. Der Lehrplan beinhaltet zudem viele Rechtsgebiete, die für die Praxis in Unternehmen relevant sind. Dazu zählen Arbeitsrecht, Steuerrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Insolvenzrecht.
Zwischen den Welten: Juristisches Know-how trifft auf technisches Verständnis
Ein Vorteil der praxisnahen Hochschulen ist, dass sie mit ihren Studienprogrammen schnell auf Trends am Arbeitsmarkt reagieren können. Angesichts zahlreicher Rechtsänderungen gewinne etwa das Compliance-Management für Unternehmen zunehmend an Bedeutung, sagt Bücker. Aus diesem Grund würden die Themen Compliance und Wirtschaftsethik in den Studienprogrammen ausgebaut.
Auch die zunehmende Digitalisierung der juristischen Tätigkeiten eröffnet neue Karrierewege. Legal Tech ist in aller Munde. Das Thema soll laut Bücker künftig noch weiter in die Lehrpläne der wirtschaftsrechtlichen Studiengänge eingebunden werden, etwa durch Kurse zur Wirtschaftsinformatik oder zu Digital Ethics. Die Hochschule Wismar habe zudem jüngst einen Bachelorstudiengang mit dem Schwerpunkt Legal Tech entwickelt. In dem Programm stehen Informationstechnik und künstliche Intelligenz zur Automatisierung und Unterstützung juristischer Aufgaben im Zentrum. Der Studiengang wird ab dem Wintersemester 2024/2025 angeboten.
Ein Vorreiter in diesem Bereich ist die Universität Passau. Bereits zum Wintersemester 2020/2021 wurde hier erstmals in Deutschland ein LL.B. Legal Tech eingeführt, der technologisches Know-how und juristisches Wissen verknüpft. "Juristische Arbeit wird in der Praxis vermehrt mit computergestützten automatisierten Prozessen verbunden und vereinfacht", sagt Benedikt Karsten, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Passau und verantwortlich für die Fachstudienberatung des Bachelorprogramms. So erleichterten beispielsweise elektronische Aktenführung und Organisation den Kanzleialltag, Programme auf Kanzleiwebseiten prüften vorab Fälle potenzieller Mandantinnen und Mandanten, auch Vertragsentwürfe könnten automatisiert geprüft und auf Fehler gescannt werden. "Um die Zusammenhänge von Recht und Digitalisierung zu verstehen und selbst weiterzudenken, sind zumindest Grundkenntnisse in den technischen Gebieten hilfreich, oft sogar notwendig", sagt er.
Hier kommen Juristen mit Schnittstellenkompetenzen ins Spiel, die zwischen beiden Welten hin- und herwechseln können. Der LL.B. in Passau setzt dafür auf drei Modulgruppen: Jura, Wirtschaftsinformatik und Legal Tech. Der Bereich Rechtswissenschaften umfasst die klassischen juristischen Rechtsgebiete Privatrecht, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Strafrecht. In der Modulgruppe Wirtschaftsinformatik werden Kurse angeboten, die sich mit Mathematik, Organisation, Kostenrechnung und betrieblichen Anwendungssystemen befassen. Daneben gibt es Lehrveranstaltungen wie "Einführung in Internet Computing" oder "Datenbanken, Netzwerke, Sicherheit und Kommunikation". Im dritten Modulblock "Legal Tech" werden unter anderem in "Algorithmen und Recht" die Zusammenhänge von Künstlicher Intelligenz und Strafrecht vermittelt sowie IT- und Datenrecht gelehrt.
Bachelor und Staatsexamen an der Uni kombinieren
Da der Studiengang noch recht neu ist, gibt es bislang nur sehr wenige Absolventinnen und Absolventen. Die Berufsaussichten seien aber bestens, sagt Karsten. Der Abschluss eröffne verschiedene Karrierewege, etwa als Legal Engineer oder Consultant. In diesen Positionen sei man für die Gestaltung und Überwachung Legal-Tech-basierter Lösungen in Unternehmen oder Kanzleien zuständig. Zudem dürfe man Inkassodienstleistungen nach dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG) erbringen. Im Anschluss an ein Masterstudium sei auch eine Promotion möglich.
Wer sich trotz allem nicht entscheiden kann, ob er oder sie mit dem Bachelor-Abschluss Schnittstellenkompetenz erwerben oder doch lieber klassisch Jura studieren sollte, kann an der Uni Passau beides kombinieren. 60 der insgesamt 111 Studierenden im Programm Legal Tech nutzen diese Option. Ähnliche Doppelstudiengänge werden auch an anderen Unis angeboten, zum Beispiel in Mannheim der Kombinationsstudiengang Unternehmensjurist/in. Mit dem LL.B. erwerben die Studierenden in Passau zusätzlich zum Staatsexamen eine Qualifikation im Bereich Legal Tech, die sie von "normalen" Volljuristinnen und -juristen abhebt. Zudem verliert das Staatsexamen etwas von seinem Schrecken. Denn selbst wenn die Staatsprüfung nicht bestanden wird, steht man nicht ohne Abschluss da.