Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF), der sich als Vertretung der über 120.000 Jurastudierenden in Deutschland versteht, befragt regelmäßig jene, die das Erste Examen gepackt haben, nach ihren Erfahrungen. Am Dienstag veröffentlichten die Ehrenamtler ihre jüngste Auswertung – fast 200 Seiten dick. Aus dem Wust an Ergebnissen ragt eine Angabe besonders heraus: Nur 33,8% der 1.384 Antwortenden antworteten mit Ja auf die Frage: "Würdest Du das Jurastudium generell weiterempfehlen?" Erschwerend kommt hinzu: Weitere 43,9% entschieden sich für ein verzagtes: "Weiß nicht".
Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Stephan Klawitter kommentierte das auf Twitter gallig so: "Bei jedem Dienstleister würde der Baum brennen, wenn lediglich 33% der Kunden die Leistung weiterempfehlen würden – bei uns heißt es stattdessen: 'Habt euch mal nicht so, wir mussten da auch durch!'" Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) veranlasste dieses Ergebnis in seinem Grußwort zu der Bemerkung, solche Ergebnisse "lassen einen nachdenklich werden".
"Das Ergebnis, am Ende Jurist zu sein, ist es nicht wert, sich so viele Jahre lang zu quälen", schrieb jemand zur Begründung und bedauerte insbesondere "die investierte Lebenszeit / Depressionen / Erkrankungen und das ständige Versagensgefühl". Das Studium sei "an zu vielen Stellen reformbedürftig, extrem fordernd und psychisch zu sehr belastend", lautete eine andere Stimme. "Viel zu viel Prüfungsstoff und ein überaltetes Notensystem – das System ist von vorne bis hinten absolut überarbeitungsbedürftig", so eine weitere Äußerung. Und kategorisch brachte ein erfolgreicher, aber frustrierter Absolvent es auf den Punkt: "Auch ein Jahr nach dem Juraabschluss bekomme ich Tränen in den Augen, wenn ich an diese stressige Zeit denke."
Immer mehr Studierende studieren "anders Jura"
Natürlich muss man sich fragen, ob die Ergebnisse ganz und gar repräsentativ sind: Wer gut durch seine Studienjahre gekommen ist, verspürt vielleicht weniger Antrieb, sich den Mühen einer Befragung zu unterziehen. Doch cum grano salis entspricht das Stimmungsbild jenem, das man von vielen Seiten gespiegelt bekommt – auch aus den Reihen der Hochschullehrenden.
Dass immer mehr junge Menschen dem traditionellen Ausbildungssystem verloren gehen, zeigt sich auch an einer anderen Stelle: Vor 20 Jahren gab es in Deutschland 3.000 Jurastudierende an Fachhochschulen – mittlerweile sind es um die 20.000, wie der Juraprofessor und Anwaltsforscher Matthias Kilian im August auf Twitter anmerkte. Und fragte, was denn Justizminister zu den Gründen dafür sagten, dass "immer mehr Abiturienten mit Interesse an Jura das Staatsexamen meiden und anders Jura studieren".
Personalverantwortliche fürchten denn auch die Schwindsucht von Rechtsberatung und Rechtspflege – zumal die Bundesländer im Wettbewerb miteinander dazu übergehen, Universitäten die Vergabe eines Bachelor-Abschlusses an jene zu ermöglichen, die die hochschulinternen Prüfungen bestanden haben, auch wenn sie durch den staatlichen Teil der Ersten Prüfung gerasselt sind (oder diese Mühen gar nicht mehr auf sich nehmen wollten).
Für die Volljuristen-Berufe verloren
Justizminister Buschmann nennt es hingegen beruhigend, dass sich 94% der Befragten auch dann zur Ersten Juristischen Prüfung melden würden, wenn sie bereits einen integrierten Bachelor-Abschluss hätten. "Dies zeigt, dass der Bachelor-Abschluss keine Konkurrenz zur Ersten Prüfung darstellt", folgert er.
Für immer mehr Hochschüler bietet er aber eine echte Alternative: ein akademischer Titel, der ihnen – wie auch den an manchen Fachhochschulen ausgebildeten Wirtschaftsjuristen – durchaus Einstiege etwa in Compliance-Abteilungen großer Unternehmen oder auf Datenschutz spezialisierte Anwaltskanzleien eröffnet. Den Berufen, die den Volljuristen vorbehalten sind, gehen sie damit jedoch verloren. Das wiederum führt zumindest in Wirtschaftskanzleien zu einem astronomischen Anstieg schon der Einstiegsgehälter der Volljuristinnen und -juristen, in der Justiz zur Absenkung der geforderten Noten.
Die Studierendenlobby vom BRF versteht ihre Umfrage zugleich als Beitrag zu Reformen der Ausbildung und hat aus dem Zahlenberg 15 Thesen herausdestilliert. So lautet eine Erkenntnis: Wer sein Notenziel im Ersten Staatsexamen erreichen will, muss an einem kommerziellen Repetitorium teilnehmen, setzt sich allerdings ein weniger ehrgeiziges Ziel als jene, die das nicht tun – und empfiehlt sein Fach hinterher besonders selten weiter. Und wer zuerst den universitären Teil besucht, erzielt bessere Ergebnisse im staatlichen Teil. Für jene, die noch nicht am Ziel angekommen sind, mögen sich auch andere Thesen als Ratschläge eignen.
Dieser Beitrag basiert auf dem Newsletter "Diese Woche in der NJW". Interessierte können den NJW-Newsletter kostenlos hier abonnieren.