Ab­sol­ven­ten-Um­fra­ge: Ju­ra­stu­di­um "von vorne bis hin­ten über­ar­bei­tungs­be­dürf­tig"
© Andrii Yalanskyi / Adobe Stock

An­walts­kanz­lei­en, die Jus­tiz und über­haupt alle, die Ju­ris­tin­nen und Ju­ris­ten be­schäf­ti­gen, su­chen hän­de­rin­gend Nach­wuchs. Und Bes­se­rung zeich­net sich nicht ab – im Ge­gen­teil: Nur jeder drit­te Ab­sol­vent würde Ab­itu­ri­en­ten ein Ju­ra­stu­di­um emp­feh­len, wie eine jetzt ver­öf­fent­lich­te Um­fra­ge zeigt.

Der Bun­des­ver­band rechts­wis­sen­schaft­li­cher Fach­schaf­ten (BRF), der sich als Ver­tre­tung der über 120.000 Ju­ra­stu­die­ren­den in Deutsch­land ver­steht, be­fragt re­gel­mä­ßig jene, die das Erste Ex­amen ge­packt haben, nach ihren Er­fah­run­gen. Am Diens­tag ver­öf­fent­lich­ten die Eh­ren­amt­ler ihre jüngs­te Aus­wer­tung – fast 200 Sei­ten dick. Aus dem Wust an Er­geb­nis­sen ragt eine An­ga­be be­son­ders her­aus: Nur 33,8% der 1.384 Ant­wor­ten­den ant­wor­te­ten mit  Ja auf die Frage: "Wür­dest Du das Ju­ra­stu­di­um ge­ne­rell wei­ter­emp­feh­len?" Er­schwe­rend kommt hinzu: Wei­te­re 43,9% ent­schie­den sich für ein ver­zag­tes: "Weiß nicht".

Der Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter Ste­phan Kla­wit­ter kom­men­tier­te das auf Twit­ter gal­lig so: "Bei jedem Dienst­leis­ter würde der Baum bren­nen, wenn le­dig­lich 33% der Kun­den die Leis­tung wei­ter­emp­feh­len wür­den – bei uns heißt es statt­des­sen: 'Habt euch mal nicht so, wir muss­ten da auch durch!'" Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Marco Busch­mann (FDP) ver­an­lass­te die­ses Er­geb­nis in sei­nem Gruß­wort zu der Be­mer­kung, sol­che Er­geb­nis­se "las­sen einen nach­denk­lich wer­den".

"Das Er­geb­nis, am Ende Ju­rist zu sein, ist es nicht wert, sich so viele Jahre lang zu quä­len", schrieb je­mand zur Be­grün­dung und be­dau­er­te ins­be­son­de­re "die in­ves­tier­te Le­bens­zeit / De­pres­sio­nen / Er­kran­kun­gen und das stän­di­ge Ver­sa­gens­ge­fühl". Das Stu­di­um sei "an zu vie­len Stel­len re­form­be­dürf­tig, ex­trem for­dernd und psy­chisch zu sehr be­las­tend", lau­te­te eine an­de­re Stim­me. "Viel zu viel Prü­fungs­stoff und ein über­al­te­tes No­ten­sys­tem – das Sys­tem ist von vorne bis hin­ten ab­so­lut über­ar­bei­tungs­be­dürf­tig", so eine wei­te­re Äu­ße­rung. Und ka­te­go­risch brach­te ein er­folg­rei­cher, aber frus­trier­ter Ab­sol­vent es auf den Punkt: "Auch ein Jahr nach dem Ju­ra­ab­schluss be­kom­me ich Trä­nen in den Augen, wenn ich an diese stres­si­ge Zeit denke."

Immer mehr Stu­die­ren­de stu­die­ren "an­ders Jura"

Na­tür­lich muss man sich fra­gen, ob die Er­geb­nis­se ganz und gar re­prä­sen­ta­tiv sind: Wer gut durch seine Stu­di­en­jah­re ge­kom­men ist, ver­spürt viel­leicht we­ni­ger An­trieb, sich den Mühen einer Be­fra­gung zu un­ter­zie­hen. Doch cum grano salis ent­spricht das Stim­mungs­bild jenem, das man von vie­len Sei­ten ge­spie­gelt be­kommt – auch aus den Rei­hen der Hoch­schul­leh­ren­den.

Dass immer mehr junge Men­schen dem tra­di­tio­nel­len Aus­bil­dungs­sys­tem ver­lo­ren gehen, zeigt sich auch an einer an­de­ren Stel­le: Vor 20 Jah­ren gab es in Deutsch­land 3.000 Ju­ra­stu­die­ren­de an Fach­hoch­schu­len – mitt­ler­wei­le sind es um die 20.000, wie der Ju­ra­pro­fes­sor und An­walts­for­scher Mat­thi­as Ki­li­an im Au­gust auf Twit­ter an­merk­te. Und frag­te, was denn Jus­tiz­mi­nis­ter zu den Grün­den dafür sag­ten, dass "immer mehr Ab­itu­ri­en­ten mit In­ter­es­se an Jura das Staats­ex­amen mei­den und an­ders Jura stu­die­ren".

Per­so­nal­ver­ant­wort­li­che fürch­ten denn auch die Schwind­sucht von Rechts­be­ra­tung und Rechts­pfle­ge – zumal die Bun­des­län­der im Wett­be­werb mit­ein­an­der dazu über­ge­hen, Uni­ver­si­tä­ten die Ver­ga­be eines Ba­che­lor-Ab­schlus­ses an jene zu er­mög­li­chen, die die hoch­schul­in­ter­nen Prü­fun­gen be­stan­den haben, auch wenn sie durch den staat­li­chen Teil der Ers­ten Prü­fung ge­ras­selt sind (oder diese Mühen gar nicht mehr auf sich neh­men woll­ten).

Für die Voll­ju­ris­ten-Be­ru­fe ver­lo­ren

Jus­tiz­mi­nis­ter Busch­mann nennt es hin­ge­gen be­ru­hi­gend, dass sich 94% der Be­frag­ten auch dann zur Ers­ten Ju­ris­ti­schen Prü­fung mel­den wür­den, wenn sie be­reits einen in­te­grier­ten Ba­che­lor-Ab­schluss hät­ten. "Dies zeigt, dass der Ba­che­lor-Ab­schluss keine Kon­kur­renz zur Ers­ten Prü­fung dar­stellt", fol­gert er.

Für immer mehr Hoch­schü­ler bie­tet er aber eine echte Al­ter­na­ti­ve: ein aka­de­mi­scher Titel, der ihnen – wie auch den an man­chen Fach­hoch­schu­len aus­ge­bil­de­ten Wirt­schafts­ju­ris­ten – durch­aus Ein­stie­ge etwa in Com­pli­an­ce-Ab­tei­lun­gen gro­ßer Un­ter­neh­men oder auf Da­ten­schutz spe­zia­li­sier­te An­walts­kanz­lei­en er­öff­net. Den Be­ru­fen, die den Voll­ju­ris­ten vor­be­hal­ten sind, gehen sie damit je­doch ver­lo­ren. Das wie­der­um führt zu­min­dest in Wirt­schafts­kanz­lei­en zu einem as­tro­no­mi­schen An­stieg schon der Ein­stiegs­ge­häl­ter der Voll­ju­ris­tin­nen und -ju­ris­ten, in der Jus­tiz zur Ab­sen­kung der ge­for­der­ten Noten.

Die Stu­die­ren­den­lob­by vom BRF ver­steht ihre Um­fra­ge zu­gleich als Bei­trag zu Re­for­men der Aus­bil­dung und hat aus dem Zah­len­berg 15 The­sen her­aus­de­stil­liert. So lau­tet eine Er­kennt­nis: Wer sein No­ten­ziel im Ers­ten Staats­ex­amen er­rei­chen will, muss an einem kom­mer­zi­el­len Re­pe­ti­to­ri­um teil­neh­men, setzt sich al­ler­dings ein we­ni­ger ehr­gei­zi­ges Ziel als jene, die das nicht tun – und emp­fiehlt sein Fach hin­ter­her be­son­ders sel­ten wei­ter. Und wer zu­erst den uni­ver­si­tä­ren Teil be­sucht, er­zielt bes­se­re Er­geb­nis­se im staat­li­chen Teil. Für jene, die noch nicht am Ziel an­ge­kom­men sind, mögen sich auch an­de­re The­sen als Rat­schlä­ge eig­nen.

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Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 13. September 2023.

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