beck-aktuell: Herr Professor Uhle, Sie verantworten den Schwerpunktbereich "Recht der Politik", der ab dem Wintersemester an der Universität Leipzig angeboten wird. Was werden Jurastudierende dort lernen können?
Uhle: In den Pflichtfächern wird es um die rechtliche Regulierung der politischen Willensbildung und die Transformationsleistungen der Verwaltung zwischen Politik und Gesellschaft gehen. Etwas konkreter: Der Gegenstand des Schwerpunktbereichs wird sich vom Recht politischer Parteien bis hin zum Wahlrecht und vom Parlamentsrecht bis zum Recht der Regierung erstrecken. Abgedeckt wird damit der gesamte rechtliche Rahmen des politischen Prozesses, also das Recht der Politik in seiner Gesamtheit.
Das umfasst einerseits die verfassungsrechtlichen Grundlagen wie Art. 20 Abs. 2, Art. 21, Art. 38 ff. und Art. 62 ff. Grundgesetz, andererseits subkonstitutionelle Regelungswerke wie das Parteiengesetz, das Bundeswahlgesetz, das Abgeordnetengesetz oder die Geschäftsordnungen von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Diese Regelungen sind nicht Teil des Verfassungsrechts im engeren Sinne, wohl aber Teil des Staatsrechts.
beck-aktuell: Die Inhalte des Schwerpunktbereichs gehen also über das hinaus, was man im Staatsrecht in den ersten Semestern ohnehin lernt?
Uhle: Unbedingt, der Schwerpunktbereich innerhalb des rechtswissenschaftlichen Studiums setzt ja voraus, dass man die Einführungsvorlesungen zum Staatsrecht gehört hat. Doch in den Einführungsveranstaltungen bleibt nicht zuletzt aus Zeitgründen manches notgedrungen an der Oberfläche, vor allem die vielfältigen Normen unterhalb des Grundgesetzes können dort häufig nur angerissen werden. Dabei geben gerade sie die Regeln für die politische Praxis vor.
Diese Bestimmungen werden daher im Schwerpunktbereich zukünftig vertieft, um ein besseres Verständnis der politischen Abläufe zu vermitteln. Nicht zuletzt wird auf diese Weise die Verzahnung der verfassungsrechtlichen Grundlagen mit den einfachgesetzlichen oder geschäftsordnungsrechtlichen Regelungen verdeutlicht, so dass auf diese Weise ein Gesamtbild des Rechts der Politik entsteht.
"Für Interessierte an einer Karriere in Ministerium, Verwaltungsgericht oder NGO"
beck-aktuell: An wen richtet sich der Schwerpunktbereich?
Uhle: Grundsätzlich an alle Leipziger Jurastudentinnen und -studenten, die mindestens das Grundstudium absolviert haben und über den Stoff des Pflichtfachstudiums hinaus Kenntnisse erwerben wollen. Besonders interessant ist er aber sicherlich für diejenigen, die sich eine Karriere in Ministerien, Parlamenten oder Behörden vorstellen können. Aber auch, wer eine Tätigkeit in Verwaltungsgerichten, in der Rechtsberatung im öffentlichen Recht, in Parteien oder NGOs anstrebt oder eine fachjournalistische Tätigkeit favorisiert, wird sicher nachhaltig von den vermittelten Kenntnissen profitieren.
beck-aktuell: Wie ist der Schwerpunktbereich aufgebaut?
Uhle: Es gibt Pflichtfächer und Wahlfächer. Die Pflichtfächer gliedern sich auf in drei Vorlesungen: erstens das Recht der Parteien und das Wahlrecht, zweitens das Parlamentsrecht und das Recht der Bundesregierung und drittens das Recht des exekutivischen Handelns sowie die Transformationen der Verwaltung.
Ergänzt werden diese Pflichtfächer um verschiedene Wahlfächer, die den Blick nochmals weiten: Von der Verfassungstheorie bis hin zum sächsischen Verfassungsrecht und vom Staatskirchenrecht bis hin zum Einwanderungs- oder auch zum Informationsrecht. Außerdem wird es eine Übung im Recht der Politik geben. Dieses Angebot wird noch um weitere Wahlfächer ergänzt werden.
beck-aktuell: Ähnliche Schwerpunktbereiche gibt es in Düsseldorf und vor allem in Berlin schon. Braucht man das in Leipzig nochmal?
Uhle: Wir gehen mit unserem neuen Schwerpunktbereich vor allem auf das stetig wachsende Interesse unserer Studentinnen und Studenten an der Leipziger Juristenfakultät ein. Sie wollen wissen, wie der politische Prozess organisiert, rechtlich reglementiert und begrenzt wird. Diesem Interesse entsprechen wir mit drei aufeinander bezogenen Grundlagenveranstaltungen, den bereits erwähnten drei Vorlesungen zum Recht der Politik.
Bereits aufgrund dieser Konzeption unterscheidet sich die inhaltliche Ausgestaltung unseres Schwerpunktbereiches ganz erheblich von den Angeboten anderer Universitäten. Anders gesagt: Den Prozess der politischen Willensbildung werden Sie in dieser Breite und Tiefe nur in unserem neuen Schwerpunktbereich finden.
beck-aktuell: Gibt es aktuell ein besonderes Bedürfnis unter angehenden Juristinnen und Juristen, den Prozess der politischen Willensbildung besser zu verstehen, vielleicht auch besser erklären zu können?
Uhle: Ein Interesse gibt es daran auf Seiten der Studentinnen und Studenten schon seit Jahren, wir hatten bisher lediglich nicht die Ressourcen, diesem zu entsprechen. Nachdem die Staatsregierung das rechtswissenschaftliche Ausbildungsangebot für den Freistaat Sachsen jetzt in Leipzig konzentriert hat und damit nunmehr entsprechende Lehrkapazitäten zur Verfügung stehen, können wir diesem Wunsch ab dem kommenden Wintersemester entsprechen.
Gleichwohl ist sicher auch richtig: Das Auseinanderstreben politischer Ansichten hat das Bedürfnis gesteigert, den rechtlichen Rahmen zu verstehen, innerhalb dessen die politische Willensbildung erfolgt. Ich habe die Hoffnung, mit dem neuen Schwerpunktbereich hierbei nicht zuletzt vermitteln zu können, dass sich das Recht auf eine Rahmenordnung beschränkt. Es setzt einen Rahmen, innerhalb dessen sich die politische Willensbildung grundsätzlich frei entfalten kann und die Entwicklung politischer Alternativen und unterschiedlicher Lösungen möglich ist. Das sensibilisiert für die meines Erachtens wichtige Erkenntnis, dass es die manchmal behauptete politische "Alternativlosigkeit" politischer Konzepte in aller Regel nicht gibt.
beck-aktuell: Kann man einen solchen Schwerpunktbereich in diesen Zeiten unpolitisch gestalten - und ist das überhaupt beabsichtigt?
Uhle: Unpolitisch muss und wird unser Schwerpunktbereich in dem Sinne sein, dass er den rechtlichen Rahmen der politischen Willensbildung abbildet, das Recht der Politik also als Rahmenordnung begreift und behandelt. Gegenstand werden die Regelungen sein, die den politischen Prozess ermöglichen, organisieren und einhegen. So betrachtet wird es weniger um konkrete politische Vorhaben gehen. Das Grundgesetz geht ja nicht von einem vorgegebenen Gemeinwohlkonzept aus. Politik stellt keinen bloßen Verfassungsvollzug dar.
Gleichwohl wird der Bereich sicherlich auch politisch werden. Wer den rechtlichen Rahmen der Politik beleuchtet, setzt einerseits das Interesse an politischen Zusammenhängen voraus und fördert es andererseits. Und selbstverständlich werden auch politisch relevante Materien behandelt wie etwa das Migrationsrecht oder das Staatskirchen- und Religionsverfassungsrecht.
beck-aktuell: Wenn Sie als Verantwortlicher sich Ihre Wunsch-Studierenden für den Schwerpunktbereich "Recht der Politik" backen könnten: Wer sollte sich anmelden?
Uhle: Politisch interessierte Studentinnen und Studenten, die offen dafür sind, immer auch politische Alternativen für denkbar zu halten und die über das Wissen verfügen, dass es in einer pluralen Gesellschaft einen rechtlichen Rahmen braucht, um letztlich zu einer für alle verbindlichen Regelung zu kommen. Und die verstehen, dass am Ende eines komplexen politischen Willensbildungsprozesses dabei auch ein Ergebnis stehen kann, das sich der Einzelne vielleicht nicht gewünscht hätte, das aber jetzt Geltung beansprucht. Ich freue mich schon jetzt auf alle, die sich zum kommenden Wintersemester für eine Teilnahme an unserem neuen Schwerpunktbereich entscheiden werden!
Prof. Dr. Arnd Uhle ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Universität Leipzig sowie Richter des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs. Er verantwortet die Koordinierung des neuen Schwerpunktbereichs.
Das Interview führte Pia Lorenz.