Hamburger Protokoll: Vier Thesen für eine Reform des Jurastudiums
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Dass eine Reform der juristischen Ausbildung dringend erforderlich ist, ist inzwischen unbestritten. Im "Hamburger Protokoll" sprechen sich erstmals rund 15 Jurafakultäten sowie weitere Interessenvertretungen für vier Reformvorschläge aus.

"Wir müssen jetzt handeln. Die Vorschläge zeigen, dass wir auch handeln können", heißt es am Ende des Hamburger Protokolls. Insgesamt 15 Jurafakultäten diskutierten im Dezember 2023 auf Einladung der Bucerius Law School in Hamburg über eine Reform des Jurastudiums. Im Kern ging es dabei um den Staatsteil der ersten juristischen Prüfung und mögliche Verbesserungen. Am Workshop nahmen auch der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) als bundesweite Studierendenvertretung und das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung, iur.reform, teil.

Über die Ausgangslage waren sich dabei laut Hamburger Protokoll alle einig: "Die erste juristische Prüfung ist reformbedürftig: Immer weniger Studieninteressierte entscheiden sich für einen juristischen Staatsexamensstudiengang und schließen diesen erfolgreich ab." Gleichzeitig aber steige der Bedarf an jungen Juristinnen und Juristen sowohl in der Justiz und beim Staat als auch in der Rechtsanwaltschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Hinzu komme, dass sich durch Digitalisierung, Klimawandel und globale Krisen die Anforderungen veränderten.

Das Staatsexamen ist reformbedürftig! Nur wie?

Doch was tun? In der Vergangenheit waren diverse Reformvorschläge immer wieder an den ganz unterschiedlichen Auffassungen von Studierenden, Lehre, Praxis und Politik gescheitert. So lagen iur.reform über 200 Zeitschriftenbeiträge zur Reform der juristischen Ausbildung aus den letzten 20 Jahren vor, aus denen für die iur.reform-Studie rund 40 Vorschläge zur Abstimmung gestellt wurden.

Ausgangspunkt der Arbeitssitzung im Dezember auf Einladung von Prof. Dr. Michael Grünberger, Präsident der Bucerius Law School, waren deswegen auch die Thesen der iur.reform-Studie. Grünberger ist jetzt das fast Unmögliche gelungen. Alle Beteiligten einigten sich im Rahmen des Workshops nach einer ausführlichen Diskussion auf vier Kernforderungen – und weitere Ideen – zur Reform der juristischen Ausbildung: Das sogenannte Hamburger Protokoll.

Grünberger betonte, dass "sich eine sehr heterogene Gruppe auf vier Kernforderungen und einen weiteren Maßnahmenkatalog" einigen konnte. "Wir sind überzeugt davon, dass dessen Umsetzung das Staatsexamen besser und moderner machen wird – und dass die Attraktivität dieses Studiengangs wieder steigt", erläutert Grünberger. Das Hamburger Protokoll bildet damit den größtmöglichen Konsens zwischen allen Beteiligten ab. Es dient außerdem dazu, den aktuellen Stand der Diskussion aufzuzeigen und konkrete Lösungsansätze vorzuschlagen.

Reduzierung des Examensstoffs und integrierter Bachelor

Die Teilnehmenden sprachen sich dafür aus, den Pflichtfachstoff des ersten Staatsexamens zu reduzieren. Dabei sollen jedoch nicht einfach ganze Rechtsgebiete gestrichen werden, sondern der Stoff soll aus dem Staatsexamen in das Studium vorverlagert werden, beispielsweise in studienbegleitende Prüfungen oder den integrierten Bachelor. So käme es zu keinem Bedeutungsverlust der Fächer und auch keinen Ressourcenkürzungen. Gleichzeitig nähme das Vorgehen den Studierenden aber den Druck, da nicht mehr der gesamte Stoff im Staatsexamen präsent sein muss. Umgesetzt werden soll dies, indem man sich auf einen Streichkatalog einigt.

Eine weitere Kernforderung ist die Einführung eines integrierten Bachelors. "Der (vollständig oder teilweise) in den Staatsexamensstudiengang integrierte LL.B. findet als Baustein, um das Jurastudium attraktiver zu machen, zunehmend Verbreitung", heißt es im Hamburger Protokoll. Auch die Teilnehmenden waren sich deswegen sicher, dass die Integration eines LL.B. in den Staatsexamensstudiengang eine attraktive Ergänzung und eine flexiblere Ausbildungsmöglichkeit für angehende Juristinnen und Juristen bietet. "So können die im Studium erbrachten Leistungen ihren Wert behalten – auch, aber längst nicht nur – als Auffangnetz im Falle des endgültigen Nichtbestehens der ersten Prüfung. Der integrierte Bachelor ist nicht zuletzt mit Blick auf die Vielfalt juristischer Berufsbilder auch jenseits der traditionellen regulierten Tätigkeiten eine wichtige Ergänzung zum – aber keine Ersetzung – des Staatsexamens."

Die Verantwortung für die Einführung eines integrierten LL.B sowie die Kompetenz für die Umsetzung könnten dabei unmittelbar beim Landesgesetzgeber oder aber auch flexibler bei den Universitäten selbst liegen. Beide Lösungen hätten gewisse Reize.

Ansprechstellen und Monitoring

Letztendlich fordert das Hamburger Protokoll niedrigschwellige Ansprechstellen für die Prüflinge bei den Justizprüfungsämtern und Fakultäten, die sämtliche Fälle von vermeidbaren Konflikten im Rahmen von (mündlichen) Prüfungssituationen abdecken. Eine Dokumentation der Fälle soll die Missbrauchs- und Diskriminierungsanfälligkeit der (mündlichen) Prüfungen offenlegen und vermeiden.

Da es bisher keine institutionell sichergestellte, dauerhaft und empirisch angelegte Überprüfung der ersten juristischen Prüfung gibt, soll außerdem ein Monitoring erfolgen, in das auch das Jurastudium an sich einbezogen wird. Das Monitoring dient damit direkt der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung.

Grünberger begrüßt die Thesen des Hamburger Protokolls: "Wir müssen sicherstellen, dass das erste juristische Staatsexamen endlich moderner wird und viel von seinem abschreckenden Potential verliert. Nie waren der Bedarf und die Chance, das Examen zu reformieren, so groß wie heute: Mängel und Anpassungsbedarfe werden immer sichtbarer, die Anzahl erfolgreicher Studienabschlüsse immer geringer. Wir müssen jetzt handeln."

Wie soll es weitergehen?

Grünberger hofft, dass die Kernthesen an vielen Universitäten gelesen und diskutiert werden. Dabei sieht er die Bucerius Law School als Stiftungshochschule in einer Vorreiterrolle mit besonderem Gestaltungsauftrag. Aber auch die Multiplikatoren, die an der Arbeitssitzung teilgenommen haben, werden in nächster Zeit in intensive Gespräche mit ihren zuständigen Justizprüfungsämtern und der Politik gehen.

"Viele der Thesen sind – da es um die erste Staatsprüfung geht – weniger eine Frage der Umsetzung an den Fakultäten. Es bedarf der intensiven Zusammenarbeit aller Stakeholder:innen, darunter auch der Justizprüfungsämter. An diese haben wir das Hamburger Protokoll weitergeleitet. Das ist auch eine Einladung, dass Justizministerien, Justizprüfungsämter und Fakultäten – zusammen mit den Studierendenorganisationen – gemeinsam ins Gespräch kommen und gemeinsam über die notwendigen Änderungen im staatlichen Teil der ersten Prüfung sprechen", betont Grünberger.

Zudem hoffen die Initiatoren des Hamburger Protokolls, dass die Thesen auch ihren Weg in die Justizministerkonferenz (JuMiKo) und den Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung (KOA) finden werden. Letzterer befasst sich gerade auch mit dem Projekt "Juristin und Jurist der Zukunft", über das im Rahmen der kommenden Justizministerkonferenz im Frühjahr berichtet wird.

Gehen die Thesen nicht weit genug?

Doch einigen gehen die Reformvorschläge nicht weit genug. Insbesondere hat die iur.reform-Studie hohe Zustimmungswerte aller beteiligter Gruppen bei insgesamt sechs Thesen ergeben. Neben einer Verringerung des Prüfungsstoffes und dem Monitoring sprach sich eine Mehrheit auch für die verdeckte Zweitkorrektur im Staatsexamen, die Einführung des E-Examens, einen besseren Betreuungsschlüssel an den Universitäten und die Zulassung anderer Prüfungs- und Unterrichtsformen neben Klausur und Vorlesung aus. Diese Punkte werden im Hamburger Protokoll – wenn überhaupt – nur nachrangig betrachtet.

So heißt es zur verdeckten Zweitkorrektur im Hamburger Protokoll, dass diese den Kostenaufwand "drastisch erhöhe" und der "Aufwand nicht im Verhältnis zum Ziel" stehe. Doch darf man die grundrechtlich gewährleistete berufliche Zukunft von Studierenden wirklich einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterziehen? Die Frage der bundesweiten Einführung des E-Examens sieht das Hamburger Protokoll hingegen als bereits entschieden an. Dass es Bundesländer gibt, die bei dieser Einführung weit hinterherhinken, bleibt unerwähnt.

Andere fordern eine noch radikalere Herangehensweise. So genüge es nicht, lediglich Mikroeingriffe in die bestehende Prüfungspraxis vorzunehmen. Ein Umdenken und moderne, mutige Ansätze seien gefragt, beispielsweise das Einfließen von Zwischennoten in die Endnote. "Es sollte generell darüber nachgedacht werden, universitäre Prüfungen dahingehend auszurichten, dass diese einen gewissen Anteil der Endnote der ersten juristischen Prüfung bilden. Eine Gewichtung von Universitätsprüfungen – Schwerpunktstudium – Examensprüfungen von jeweils einem Drittel würde dazu führen, dass im Sinne einer in der psychologischen Leistungsdiagnostik standardmäßig bevorzugten Verlaufsdiagnostik die juristischen Fähigkeiten valider abgebildet werden könnten“, schreibt der Rechtsreferendar Max Walter Kinninger auf LinkedIn.

Prof. Roland Schimmel und Prof. Jörn Griebel sprachen sich in der Vergangenheit hingegen für eine ebenso einfache wie geniale Lösung aus, um den Studierenden die Angst vor dem Durchfallen zu nehmen und die Quote der erfolgreichen Jurastudierenden zu erhöhen: Eine unbegrenzte Anzahl an Prüfungsversuchen. Denn spielt es für die Qualität der Jurisprudenz wirklich eine Rolle, ob ein Kandidat die Prüfung im ersten oder im fünften Versuch besteht – wenn er jedenfalls irgendwann das erforderliche Wissen besitzt und es in gewünschter Form anwenden kann?

Das Hamburger Protokoll zeigt also auch, dass das letzte Wort bei den Reformbemühungen noch nicht gesprochen ist. Der Erklärung müssen jetzt außerdem Taten folgen – die zeitnahe Umsetzung zumindest der vier Kernforderungen ist unabdingbar.

Die Autorin Jannina Schäffer ist Gründerin und Chefredakteurin des Online Magazins "JURios – kuriose Rechtsnachrichten". Die Volljuristin promoviert berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei.

Redaktion beck-aktuell, Jannina Schäffer, 28. Februar 2024.