Die Juristische Ausbildung ist seit mehr als 100 Jahren nicht grundlegend verändert worden. Von den Jura-Fachschaften über die Fakultäten bis hin zu Forschungsgruppen fordern viele Seiten deshalb seit Jahren umfassende Reformen. In der Kritik stehen – neben dem großen Stoffumfang der Examina, der mangelnden Digitalisierung und dem hohen psychischen Druck für die Studierenden – auch immer wieder einzelne Maßnahmen der Bundesländer. So strich etwa Baden-Württemberg die Ruhetage zwischen den Examensprüfungen, Bayern reduzierte die Prüfungsstandorte und Schleswig-Holstein führte zusätzliche Examensklausuren ein. Erst in der vergangenen Woche wurde zudem bekannt, dass NRW plant, hunderte Referendariatsplätze zu streichen.
Nun steht die Juristenausbildung auf der Tagesordnung der aktuellen JuMiKo, die am 5. und 6. Juni in Hannover* stattfindet. Doch über große Reformen soll bei der Konferenz nicht gesprochen werden. Im Gegenteil: Die Berichterstatter Nordrhein-Westfalen und Berlin empfehlen in ihrem Beschlussvorschlag die Formulierung: "Die Justizministerinnen und Justizminister […] sind sich einig, dass grundlegender Reformbedarf nicht besteht."
Studierendenvertretung ruft zur Demonstration auf
Im Vorhinein der JuMiKo hatte der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) zu einer Demonstration "für eine bessere juristische Ausbildung" aufgerufen. Es ist bereits die dritte Demonstration dieser Art. Mit dabei ist auch das Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung (iur.reform). Beide machen seit Jahren auf Reformbedarf in Jurastudium und Referendariat aufmerksam und untermauern ihre Forderungen mit Studien und Befragungen.
"Aktuell würde laut unserer fünften bundesweiten Absolvent:innenbefragung nur etwa jede:r Dritte das Jurastudium weiterempfehlen – kurz: Das Studium muss attraktiver werden", erklärt die stellvertretende Vorsitzende des BRF Emilia De Rosa auf beck-aktuell-Anfrage. "Mit der Demonstration möchten wir erreichen, dass der Reformbedarf der juristischen Ausbildung endlich auch von den Justizminister:innen anerkannt und in Angriff genommen wird. Ein wichtiger erster Schritt dabei wäre die Einsetzung eines Sachverständigen-Ausschusses – bestehend aus Personen in Ausbildung, Ausbilder:innen, Praktiker:innen und Personen aus den Justizprüfungsämtern und Justizministerien – der Vorschläge für eine Reform der juristischen Ausbildung erarbeiten soll."
NRW und Berlin: Mehr Austausch – aber keine großen Reformen
Bei der aktuellen JuMiKo wird vor allem der Bericht des länderübergreifenden Koordinationsausschusses vorgestellt. Er soll die Attraktivität der volljuristischen Ausbildung, die Kompetenz- und Qualitätsanforderungen an angehende Juristinnen und Juristen sowie zukünftige Herausforderungen untersuchen. Berichterstatter sind die Länder NRW und Berlin.
Der Ausschuss teilt die Bedenken nach einer Befragung von 90 Studierenden und Berufsträgerinnen und -trägern nicht. Auf beck-aktuell-Anfrage erklärt ein Sprecher des Justizministeriums NRW: "Der Bericht hebt im Ergebnis hervor, dass sich die volljuristische Ausbildung bewährt hat und insgesamt gut geeignet ist, den Absolventinnen und Absolventen die wesentlichen Kompetenzen zu vermitteln, die für eine Tätigkeit in den volljuristischen Berufen erforderlich sind und auch künftig erforderlich sein werden. Grundlegender Reformbedarf wird nicht gesehen." Man wolle zwar über Verbesserungen in der Ausbildung nachdenken und dafür insbesondere mit den juristischen Fakultäten in Austausch treten, bestätigte der Sprecher des NRW-Justizministeriums, doch "etwaige Forderungen des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fachschaften stehen nicht auf der Tagesordnung der Justizministerkonferenz."
Der Beschlussvorschlag der JuMiKo-Berichterstatter beschränkt sich im Wesentlichen darauf, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Der BRF hofft allerdings auf mehr Verständnis aus den Reihen der Bundesländer. "Der Koordinierungsausschuss ist in der Vergangenheit leider vor allem durch seine geringe Handlungs- und Innovationsbereitschaft aufgefallen. Daher wundert es uns nicht, dass auch im Bericht festgestellt wird, dass kein grundlegender Reformbedarf besteht. Wir hoffen jedoch, dass sich die JuMiKo dieser unzutreffenden Behauptung nicht blind anschließen wird", kommentiert De Rosa.
Die Beschlüsse der Justizministerinnen und -minister haben in der Regel erheblichen Einfluss auf den bundesweiten rechtspolitischen Diskurs. Sie werden am Donnerstag in einer Pressekonferenz bekanntgegeben.
Jurastudierende für umfangreiche Reformen
Die Debatte um Reformen im Jurastudium und Referendariat wird bereits seit Jahren geführt. Besonders Vertreterinnen und Vertreter der Studierenden fordern Änderungen und untermauern diese mit regelmäßigen Befragungen. So führt der BRF jedes Jahr eine Absolventenbefragung zum Thema Ausbildung durch. Bei etwa 1.000 Teilnehmenden gab im vergangenen Jahr nur ein Drittel an, das Studium weiterzuempfehlen. Mehr als drei Viertel empfanden die Stoffmenge und die Anzahl der Rechtsgebiete im Staatsexamen als zu umfangreich.
Neben dem BRF hat die Forschungsgruppe iur.reform im Jahr 2022 eine Studie mit 11.842 Teilnehmenden zum Thema Reformbedarf in der Ausbildung durchgeführt. Dabei zeigte sich eine Mehrheit der Teilnehmenden unzufrieden mit dem Jurastudium in seiner jetzigen Form (52%). 84% der Studierenden hielten es für emotional belastend. Unter anderem wünschten sich die studentischen Teilnehmenden eine unabhängige Zweitkorrektur der schriftlichen Examensprüfungen (90%), die Einführung des E-Examens (76%), neue Lerninhalte nur bei Streichung von Bestehenden (78%) sowie regelmäßiges Monitoring des Jurastudiums im Hinblick auf etwaigen Reformbedarf (82%).
Im Dezember 2023 haben zudem Vertreterinnen und Vertreter von 16 Jura-Fakultäten im sogenannten Hamburger Protokoll die erste juristische Prüfung für reformbedürftig erklärt. Immer weniger Studieninteressierte entschieden sich für einen juristischen Staatsexamensstudiengang und schlössen diesen erfolgreich ab, heißt es im Protokoll. Gleichzeitig steige der Bedarf an Nachwuchskräften überall. Die Erklärung lobt zugleich auch die Qualitäten und das ungebrochen hohe Ansehen des juristischen Staatsexamens. "Daher muss eine Reform zweierlei leisten: Sie muss die zu Recht kritisierten Punkte des gegenwärtigen Systems adressieren und zugleich die positiven Faktoren beibehalten."
Der Sprecher des Justizministeriums betont allerdings, dass in NRW unabhängig von der JuMiKo bereits Erleichterungen für die Studierenden umgesetzt worden seien. So habe man etwa die Regelstudienzeit verlängert, das E-Examen eingeführt und auf die Streichung der Ruhetage im Examen verzichtet.
* Anm. d. Red: In einer früheren Version hieß es zunächst, der Veranstaltungsort sei Berlin (geändert am Tag der Veröffentlichung, 17.10 Uhr).