Im Bundestag konstituierten sich am heutigen Mittwoch die Ausschüsse. Doch die AfD wird, obwohl stärkste Oppositionspartei, keinen von ihnen leiten. Die für die Leitung des Haushaltsausschusses vorgeschlagene AfD-Politikerin Ulrike Schielke-Ziesing erhielt bei dessen konstituierender Sitzung in Berlin keine Mehrheit, auch der Finanzausschuss hat am Mittwoch keinen Vorsitzenden gewählt, da der von der AfD vorgeschlagene Kay Gottschalk keine Mehrheit erhielt.
Für den Rechts- und Verbraucherschutzausschuss hatte die AfD ebenfalls das Vorschlagsrecht, doch auch der dortige Kandidat Stefan Möller fiel bei der Wahl durch, wie der Bundestag mitteilte. Da stellvertretende Vorsitzende noch nicht gewählt sind, übernimmt bis auf Weiteres jeweils das dienstälteste Mitglied des Bundestags im jeweiligen Ausschuss. Die Leitung des Rechtsausschusses übernimmt demnach vorübergehend Carsten Müller von der CDU.
Auch in weiteren Ausschüssen, für die die AfD das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Vorsitze bekommen hatte, fielen ihre Abgeordneten durch. Im Ausschuss für Arbeit und Soziales bekam die von der AfD-Fraktion für den Vorsitz vorgeschlagene Abgeordnete Gerrit Huy nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen, im Petitionsausschuss fiel der von der AfD vorgeschlagene Abgeordnete Manfred Schiller durch. Ein ähnliches Vorgehen wird auch im Innenausschuss erwartet.
Mini-Parlamente für die Gesetzesarbeit
Der aktuelle Bundestag hat 24 Ausschüsse. Die auf verschiedene Themenfelder spezialisierten Gremien spielen eine zentrale Rolle in der Gesetzesarbeit. In ihnen sitzen entsprechend den Mehrheitsverhältnissen des Bundestags wie in einem Mini-Parlament Fachpolitikerinnen und -politiker der verschiedenen Fraktionen. Sie bereiten die Gesetzesbeschlüsse vor, die später im Plenum getroffen werden, hören dafür Experten und Expertinnen an und kommen in Krisensituationen zu Beratungen zusammen. Die Ausschussvorsitzenden berufen die Sitzungen ein, bereiten diese vor, leiten sie und repräsentieren den Ausschuss nach außen.
Welche Fraktion für welchen Ausschuss einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende nominieren kann, wird in einem sogenannten Zugriffsverfahren entschieden. Je nach Stärke der Fraktion darf diese eine bestimmte Anzahl an Ausschüssen "greifen". Das passiert Ausschuss für Ausschuss in einer bestimmten Reihenfolge, die sich ebenfalls nach der Fraktionsstärke richtet. Der Haushaltsausschuss geht traditionell an die stärkste Oppositionsfraktion - in diesem Fall die AfD. Auch den Vorsitz des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz hat die AfD in diesem Sinne - wie schon in der vergangenen Legislaturperiode - gezogen.
Früher wurden entsprechend diesem Vorschlagsrecht bei den konstituierenden Sitzungen die Vorsitze im Konsens bestimmt. Das änderte sich mit dem Einzug der AfD in den Bundestag. Nachdem der Rechtsausschussvorsitz im Jahr 2018 an den AfD-Abgeordneten Stefan Brander gegangen war, der dann im Jahr 2019 wegen mehrerer Entgleisungen abgewählt wurde, wurden in der vergangenen Wahlperiode in den Ausschüssen, die der AfD zufielen, Wahlen über den Vorsitz beantragt. Die AfD-Bewerberinnen und -Bewerber wurden dann von den Abgeordneten nicht gewählt.
BVerfG hat das Wahlverfahren bestätigt
Dass ihre Kandidaten und Kandidatinnen jetzt erneut nicht gewählt wurden, bezeichneten die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla am Mittwoch als Ausgrenzung und Diskriminierung der größten Oppositionskraft. "Wir fordern endlich die anderen Parteien auf, diese Spielchen zu beenden", sagte Chrupalla. Man habe "hochqualifizierte und untadelige Persönlichkeiten aufgestellt", sagte Weidel. Diese würden im Akt einer parteipolitischen Willkür nicht gewählt.
Die CDU wies das zurück. Jede Fraktion habe das gute Recht, ihre Kandidatinnen und Kandidaten vorzustellen, sagte Fraktionsvize Sepp Müller im Fernsehsender Welt. Diese bräuchten dann aber eine Mehrheit. "Ich weiß nicht, was da undemokratisch ist. Im Gegenteil: Das höchste demokratische Gut ist eine Wahl im jeweiligen Ausschuss", sagte Müller.
Mit dieser Argumentation können die demokratischen Parteien sich auf das BVerfG stützen. Die AfD hatte schon einmal vor dem BVerfG geklagt, gestützt auf ihre Rechte auf Gleichbehandlung als Fraktion. Doch die Karlsruher Richterinnen und Richter wiesen im September 2024 sowohl die Klage gegen die Abwahl Brandners als auch die gegen die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitze in anderen Ausschüssen ab.
Die Ausgestaltung des Besetzungsverfahrens sei eine innere Angelegenheit des Parlaments, die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitze wie auch die Abwahl vom Vorsitz des Rechtsausschusses bewegten sich im Rahmen der dem Bundestag zustehenden Geschäftsordnungsautonomie (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG), entschied der Zweite Senat. Weil es nicht um spezifische Statusrechte der Abgeordneten und Fraktionen, sondern allein um die Teilhabe an erst durch die Geschäftsordnung eingeräumten Rechtspositionen gehe, sei der alleinige verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab das Willkürverbot. In Anlehnung an seine Entscheidung zur Besetzung des Bundestagspräsidiums stellte das BVerfG zudem klar, dass es mit dem Mittel der freien Wahl unvereinbar wäre, wenn die AfD-Fraktion ein Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Die Geschäftsordnung könne von den Ausschüssen so ausgelegt werden, dass sie den Fraktionen nur ein Vorschlagsrecht und einen Anspruch auf ordnungsgemäße Durchführung der Wahl verleihe.
AfD-Debatte in der Union
Nach der Bundestagswahl, bei der die AfD ihren Stimmenanteil verdoppelt hatte, war es in der Union zu einer Debatte über den künftigen Umgang mit der Partei im Bundestag gekommen. Der CDU-Politiker Jens Spahn - inzwischen Unionsfraktionschef - hatte sich dafür ausgesprochen, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien und damit eine Kontroverse ausgelöst.
Nach der Hochstufung der AfD zur "gesichert rechtsextremistischen Bestrebung" Anfang Mai durch den Bundesverfassungsschutz hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gesagt, für ihn sei es jetzt "unvorstellbar, dass Abgeordnete im Deutschen Bundestag AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden wählen".
Vor den Ausschusssitzungen sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese: "Wir wählen Abgeordnete der AfD nicht zu Ausschussvorsitzenden heute." Ähnliche Töne kamen aus der Union. Man empfehle den Unionsabgeordneten, die Kandidatinnen und Kandidaten der AfD nicht zu wählen, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger (CDU) im Deutschlandfunk und führte zur Begründung an, die AfD werde "auch im Bundestag immer radikaler, immer extremer".
Doch es gibt auch Kritik in den schwarz-roten Reihen: Er stelle sich in den Dienst dieser gemeinsamen Entscheidung von Union und SPD, sagte Hendrik Hoppenstedt (CDU), einer der anderen parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion. "Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass wir damit das AfD-Problem nicht an der Wurzel packen." Er fügte hinzu: "Die AfD nutzt jede Gelegenheit, um sich als Opfer hinzustellen. Diese Möglichkeit möchte ich ihnen gern nehmen."