Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Der Inlandsgeheimdienst teilte mit, der Verdacht, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolge, habe sich bestätigt und in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet.
"Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar", teilte die Sicherheitsbehörde mit. Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen. "Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern als nicht gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes", heißt es in der Mitteilung des Inlandsgeheimdienstes.
Dieses ausgrenzende Volksverständnis sei Ausgangspunkt und ideologische Grundlage für eine kontinuierliche Agitation gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, mit der diese pauschal diffamiert und verächtlich gemacht sowie irrationale Ängste und Ablehnung ihnen gegenüber geschürt würden. Das zeige sich in der Vielzahl fortlaufend getätigter fremden-, minderheiten- sowie islam- und muslimfeindlicher Äußerungen von führenden Funktionärinnen und Funktionären der Partei. Insbesondere die fortlaufende Agitation gegen Geflüchtete beziehungsweise Migrantinnen und Migranten befördere die Verbreitung und Vertiefung von Vorurteilen, Ressentiments und Ängsten gegenüber diesem Personenkreis. Die Abwertung der vorgenannten Personengruppen zeige sich auch in der pauschalisierenden Verwendung von Begriffen wie "Messermigranten" oder in der generellen Zuschreibung einer ethnokulturell bedingten Neigung zu Gewalt durch führende Mitglieder der AfD.
Äußerungen und Positionen der Partei und führender AfD-Vertreter verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, erklärten die Vizepräsidenten der Behörde, Sinan Selen und Silke Willems. Dies sei maßgeblich für die nun getroffene Einschätzung.
Drei Landesverbände bereits zuvor gesichert rechtsextremistisch
Grundlage der nun getroffenen Entscheidung ist ein 1.110 Seiten starkes Gutachten des BfV, das nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt ist. Eine Veröffentlichung des internen Arbeitspapiers, in das auch Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf eingeflossen sind, ist nicht vorgesehen.
Die Landesämter für Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die jeweiligen AfD-Landesverbände bereits zuvor als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.
Nachdem Medien im Februar 2021 über eine mutmaßliche Einstufung der Gesamtpartei als sogenannter Verdachtsfall berichtet hatten, musste der Verfassungsschutz auf Geheiß des VG Köln noch rund ein Jahr warten, bis er diese Einschätzung publik machen und die Partei entsprechend beobachten konnte. Im Mai 2024 hatte das OVG Münster entschieden, dass der Verfassungsschutz die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft hat. Der Rechtsstreit geht noch weiter.
Einsatz von V-Leuten möglich
Auch bei einer Beobachtung als Verdachtsfall ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bereits erlaubt. Zu diesen zählt etwa der Einsatz von sogenannten V-Leuten. Auch Observationen oder Bild- und Tonaufnahmen sind erlaubt. Bei Auswahl und Einsatz der Mittel muss allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Bei einem als gesichert extremistisch eingestuften Beobachtungsobjekt sinkt die Schwelle für den Einsatz solcher Mittel. Mit einem Parteiverbot hat die Beobachtung durch das BfV zwar vordergründig nichts zu tun. Denn das Verbot kann nur von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim BVerfG beantragt werden. Eines der drei Verfassungsorgane könnte sich aber durch die neue Einschätzung des Inlandsnachrichtendienstes ermutigt fühlen, einen solchen Antrag zu stellen.
Rufe nach AfD-Verbot werden lauter
Mehrere Politikerinnen und Politiker nahmen das Gutachten zum Anlass für Forderungen nach einem Verbot der Partei. Der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte aber vor einem "Schnellschuss".
Die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, der Inlandsnachrichtendienst habe die Entscheidung zur neuen Einstufung der AfD eigenständig getroffen. "Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben", versicherte Faeser.
Anders sehen das die beiden AfD-Vorsitzenden, Tino Chrupalla und Alice Weidel. Sie schrieben in einer Mitteilung, die AfD als Oppositionspartei werde nun "kurz vor dem Regierungswechsel öffentlich diskreditiert und kriminalisiert". Das sei erkennbar politisch motiviert. Die Partei werde sich weiter juristisch wehren. Zuständig ist dann in erster Instanz wieder das VG Köln, wo das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat.
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagte: "Das Verbotsverfahren gegen die AfD muss endlich auf den Weg gebracht werden." Man dürfe nicht akzeptieren, dass eine rechtsextremistische Partei die Demokratie "von innen bekämpft und zerstört". Etwas vorsichtiger formulierten Konstantin von Notz und Irene Mihalic von den Grünen. Sie erklärten, die Neubewertung sei "ein wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist".
Als Vertreter einer vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Partei sollten AfD-Abgeordnete aus Sicht von Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) keine repräsentativen Funktionen im Parlament bekleiden. "Als gesichert rechtsextremistische Gruppierung ist die AfD keine Partei wie jede andere", sagte Lindholz der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb solle sie auch nicht so behandelt werden - vor allem nicht im Parlament. "Jeder AfD-Abgeordnete muss sich vielmehr nun entscheiden, ob er zu unserer Grundordnung steht und aus der Partei austritt oder ob er prominenter Teil einer extremistischen Bestrebung sein will", fügte sie hinzu. Der designierte Unionsfraktionsvorsitzende, Jens Spahn (CDU), hatte sich dafür ausgesprochen, mit der AfD im Parlamentsbetrieb so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch.