FG Münster Urt. v. 10.10.2024 – 10 K 3000/21 K, G (Revision zugelassen)
Müssen Verbindlichkeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr beglichen werden, etwa weil der Gläubiger auf eine Eintreibung verzichtet, so stellen sie keine wirtschaftliche Belastung mehr dar; es gilt ein steuerliches Passivierungsverbot. Doch was genau ist mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gemeint? Mit dieser Frage hat sich nun das Finanzgericht (FG) Münster in einem Urteil befasst.
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Problemstellung
Im Ausgangsfall geht es um Darlehensforderungen gegen eine GmbH, welche sich in der Insolvenz befand. Aufgrund spezifischer Besonderheiten im Ausgangsfall nahm die Gläubigerin die Anmeldung der Darlehensforderungen zur Insolvenztabelle zurück. Ein genereller Verzicht auf die Forderung wurde aber nicht erklärt.
Aus Sicht des Finanzamts stellte die Darlehensforderung aufgrund der Austragung aus der Insolvenztabelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine wirtschaftliche Belastung mehr für die GmbH dar. Bei der zu erwartenden niedrigen Insolvenzquote sei mit einer Inanspruchnahme nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu rechnen. Das Finanzamt nahm bei der Steuerberechnung der GmbH daher eine gewinnerhöhende Auflösung der Rückstellung vor.
Lösung
Wie auch die Klägerin widerspricht das FG Münster der Auffassung des Finanzamts. Unstreitig liegt im Ausgangsfall kein wirksamer Forderungsverzicht vor. Es besteht also eine zeitliche Durchsetzungssperre, welche aber nicht zu einem rechtlichen Untergang der Forderung führt.
Bei einem normalen Verlauf des Insolvenzverfahrens bedeutet dies: Die Forderung konnte erst zu einem Zeitpunkt wieder geltend gemacht werden, in dem so gut wie kein Vermögen mehr bei der GmbH vorhanden sein und die GmbH in kurzer Zeit gelöscht werden würde. Auch dies führt aber nicht dazu, dass der rechtliche Anspruch der Forderung erlischt. Eine Insolvenz bietet immer auch die Möglichkeit einer Sanierung. Überdies ist es möglich, dass nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens und Löschung der Gesellschaft noch Vermögen auftaucht. Selbst im Falle einer Vermögenslosigkeit der GmbH nach Abschluss des Insolvenzverfahrens hat die Darlehensforderung weiterhin rechtlichen Bestand. Entscheidend ist, dass der Gläubiger im Ausgangsfall gerade nicht auf die Forderung verzichtet hat. Es ist somit wahrscheinlich, dass die Forderung auch weiter geltend gemacht wird.
Auch das steuerbilanzielle Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 2a EStG greift im Ausgangsfall nicht, weil die Verbindlichkeit nicht nur aus künftig anfallenden Einnahmen oder Gewinnen, sondern auch aus sonstigem Vermögen zu tilgen ist.
Somit besteht im Ausgangsfall keine rechtliche Grundlage für eine gewinnerhöhende Auflösung der Verbindlichkeit.
Verbindlichkeiten und Rückstellungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftige Einnahmen oder Gewinne anfallen – je nach Vereinbarung brutto oder netto –, dürfen erst dann angesetzt werden, wenn die Einnahmen oder Gewinne tatsächlich angefallen sind (Passivierungsaufschub gemäß § 5 Abs. 2a EStG). Grund: Es liegt keine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung vor (einnahmen- und gewinnabhängige Verbindlichkeiten, bis die Einnahmen bzw. Gewinne – auch handelsbilanzielle Jahresüberschüsse – künftig anfallen). Von dieser Regelung können insbesondere Verbindlichkeiten betroffen sein, die Gegenstand von (bestimmten) Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung einer Überschuldung sind. Denkbar sind auch spezifische Kaufpreisklauseln bei Unternehmenskäufen, bei denen Teile des Kaufpreises von bestimmten Ertragsvoraussetzungen abhängen. Eine Besserungsabrede ist – trotz § 5 Abs. 2a EStG – als Verbindlichkeit dann auszuweisen, wenn eine Tilgung aus sonstigem freien Vermögen vereinbart wurde. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Risk Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 12/2024
BC20241219