Praxis-Info!
Bisher wurde davon ausgegangen, dass der Vorjahresurlaub regelmäßig zum 31. März des Folgejahres verfiel. Diesen Automatismus hat das BAG nun in zwei Urteilen aufgehoben. Hiernach setzt ein Verfall des Urlaubsanspruchs ein aktives Mitwirken das Arbeitgebers voraus. Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmerin bzw. den Arbeitnehmer über den jeweils konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehren. Unterbleibt diese Belehrung, so kommt es auch nicht zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs. Die generelle Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt dabei auch erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Hierbei muss dem Arbeitnehmer auch die Möglichkeit eingeräumt werden, den Urlaub zu nehmen. Da ohne Belehrung die Verjährung gehemmt ist, können sich hohe Resturlaubsguthaben bilden.
In den dem Urteil 9 AZR 245/19 zugrunde liegenden Ausgangsfall hatte die fehlende konkrete Belehrung zur Folge, dass eine Arbeitnehmerin nach Beendigung ihres 21-jährigen Arbeitsverhältnisses die Auszahlung von über 100 Arbeitstagen aufgelaufenen Urlaubs erfolgreich einklagen konnte. Dies entspricht fast einem halben Jahresgehalt und zeigt die Brisanz der aktuellen BAG-Rechtsprechung.
In dem Urteil 9 AZR 266/20 ging es um die Frage, ob eine längere Krankheit Auswirkung auf die Verjährung hat. Im Ausgangsfall konnte der Arbeitnehmer vom Dezember 2014 bis mindestens 2019 krankheitsbedingt nicht arbeiten. Umstritten war, ob noch Ansprüche auf den Jahresurlaub 2014 bestanden. In dem Urteil kommt das BAG wiederum zu dem Schluss, dass der Resturlaub des Jahres 2014 aufgrund der fehlenden Belehrung durch den Arbeitgeber bislang nicht verfallen ist.
Praxisüberlegungen
Im Lichte der aktuellen BAG-Rechtsprechung sollte die Buchhaltung mit der Personalabteilung klären, ob die Arbeitnehmer routinemäßig über den Verfall ihres Jahresurlaubs informiert wurden. Ist dies nicht der Fall, so ist zu prüfen, ob aufgelaufener Urlaub vorhanden ist. Sollte Vorjahresurlaub automatisch ohne Belehrung zum 31. März des Folgejahres gestrichen worden sein, ist er zu reaktivieren und in der Urlaubsrückstellung zu berücksichtigen. Sofern sich wie im Ausgangsfall größere kumulierte Urlaubsguthaben von über 100 Tagen für einzelne Arbeitnehmer ergeben, ist fraglich, ob die Rückstellung für ausstehenden Urlaub wirklich nur einen 12-Monatszeitraum umfasst oder ob eine Abzinsung vorzunehmen ist.
Fraglich ist auch, wie mit Ansprüchen von Mitarbeitenden umzugehen ist, die bereits ausgeschieden sind. Hier ist nunmehr unter Umständen eine kurzfristige Verbindlichkeit zu erfassen und bis zur Verjährung der Ansprüche zu bilanzieren.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 2/2023
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