EU-Parlament billigt europäisches Lieferkettengesetz

Das EU-Parlament hat das umstrittene europäische Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte angenommen. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Mittwoch in Straßburg für das Vorhaben. Das Gesetz hatte zuletzt auch für Streit in der Bundesregierung gesorgt.

Die Neuregelung soll gewährleisten, dass Unternehmen künftig vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverstößen in ihren Lieferketten profitieren. Die neuen Regeln verpflichten die Betriebe sowie ihre vor- und nachgelagerten Partner – darunter Zulieferer und Partner in den Bereichen Herstellung und Vertrieb –, negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt vorzubeugen, sie abzumildern oder zu beheben. Das betrifft nach Angaben des EU-Parlaments unter anderem Sklaverei, Kinderarbeit, Ausbeutung von Arbeitskräften, Artenschwund, Umweltverschmutzung und die Zerstörung von Naturerbe.

Betroffen von den neuen EU-Regeln sind – vor allem wegen Bedenken unter den EU-Staaten – weniger Unternehmen als ursprünglich vorgesehen. Das Lieferkettengesetz soll nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde auf 1.000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben. In den ersten Jahren sind beide Schwellen sogar noch höher.

Dennoch würde die neue Regelung in bestimmten Aspekten über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen. Es war 2023 zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden in Kraft getreten, seit 2024 gilt es für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmenden. Das deutsche Lieferkettengesetz schließt eine zivilrechtliche Haftung explizit aus.

Mitgliedstaaten müssen Aufsichtsbehörden schaffen

Die betroffenen Unternehmen sind nach der jetzt beschlossenen Neuregelung künftig verpflichtet, die Sorgfaltspflicht in ihrer Unternehmenspolitik zu berücksichtigen. Sie müssen etwa entsprechende Investitionen tätigen, vertragliche Zusicherungen ihrer Partner einholen oder ihren Geschäftsplan verbessern. Zudem müssen sie, wenn nötig, kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen, unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen nachkommen können. Darüber hinaus sind die Unternehmen verpflichtet, einen Übergangsplan auszuarbeiten, damit ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel des Übereinkommens von Paris, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, vereinbar ist.

Die Mitgliedstaaten müssen Online-Portale einrichten, die die Leitlinien der Kommission enthalten und den Unternehmen ausführliche Informationen über die Sorgfaltspflicht bieten. Außerdem müssen sie eine Aufsichtsbehörde schaffen oder benennen, die Untersuchungen durchführt und Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten, Strafen auferlegt. Solche Strafen können zum Beispiel namentliche Anprangerung oder Geldstrafen in Höhe von bis zu 5% des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens sein. Um Zusammenarbeit zu fördern und den Austausch bewährter Verfahren zu ermöglichen, will die Kommission ein europäisches Netz der Aufsichtsbehörden einrichten. Die Unternehmen haften nach den Plänen des EU-Parlaments für Schäden, die durch die Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten entstehen, und müssen die Betroffenen vollständig entschädigen.

Neuregelung wurde kontrovers diskutiert

Verhandlungen über das Vorhaben waren von kontroversen Debatten auch in der deutschen Bundesregierung geprägt. Während Wirtschaftsvertreter und in der Bundesregierung die FDP vor einer zu großen Belastung von Unternehmen warnen, sehen Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen im EU-Lieferkettengesetz einen großen Gewinn für den Schutz von Menschenrechten. Denn wenn beispielsweise große Modeunternehmen ihre Pullis und Hosen von Kindern in Asien nähen lassen, sollen die Opfer solcher Ausbeutung nach dem neuen Lieferkettengesetz künftig auch Schadensersatz verlangen können.

Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben noch offiziell zustimmen, das gilt aber als Formsache. Denn Mitte März hatte im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ihre Zustimmung signalisiert. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich auf Drängen der FDP enthalten hatte. Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat den jetzigen Beschluss des Europäischen Parlaments begrüßt. "Das freut
mich, weil es gut ist für Menschenrechte, aber weil es auch fairen Wettbewerb für Unternehmen schafft", sagte er am Mittwoch in Berlin. Nun würden die Rechtstexte ausgewertet. "Wir haben vereinbart, in der Koalition dafür zu sorgen, dass das deutsche Lieferkettengesetz und die europäische Regelung im Übergang nicht zu doppelten Berichtspflichten führen." Gesetzgeberisch werde die Ampel also dafür sorgen, dass Bürokratie beschränkt werde und die Unternehmen den Standard, nach dem sie ihre Berichte erstellen, auswählen können.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte geht davon aus, dass das EU-Gesetz das deutsche Lieferkettengesetz stärken wird. Künftig könnten sich Menschen, deren Rechte verletzt wurden, sowohl in verwaltungsrechtlichen Verfahren über die Verstöße gegen die unternehmerischen Sorgfaltspflichten beschweren als auch vor Zivilgerichten klagen, so Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Instituts. "Für Betroffene wird es leichter sein, ihre Ansprüche zivilrechtlich durchzusetzen, unter anderem durch Beweiserleichterungen, gesenkte Verfahrenskosten und eine Frist von fünf Jahren zur Geltendmachung von Ansprüchen", so Windfuhr weiter. "Stellen Unternehmen menschenrechtliche Risiken fest, schreibt die Richtlinie vor, dass eine Priorisierung hinsichtlich der Schwere der Verletzung erfolgen kann. Das gibt wichtigen Spielraum und macht die Umsetzung für Unternehmen handhabbar."

Redaktion beck-aktuell, ew, 24. April 2024 (ergänzt durch Material der dpa).