Damit ist offen, ob über das Vorhaben nochmal neu verhandelt werden muss, obwohl es im Dezember eigentlich bereits einen Kompromiss zwischen Unterhändlern der beiden Institutionen gab. Deutschland enthielt sich am Mittwoch bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten. In dem Gremium wirkt das wie eine Nein-Stimme. In der Bundesregierung drängte die FDP darauf, dass Deutschland nicht zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.
Mit dem Gesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind.
Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die geplante EU-Version würde über dessen Vorgaben hinausgehen. So ist auf EU-Ebene vorgesehen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind, was im deutschen Gesetz ausgeschlossen ist. Zudem hätten mehr Unternehmen von der EU-Regelung betroffen sein sollen als vom deutschen Gesetz.
Norddeutsche Wirtschaft begrüßt Absage an EU-Lieferkettengesetz
Die norddeutschen Industrie- und Handelskammern haben die Stimmenthaltung Deutschlands beim EU-Lieferkettengesetz als positives Signal gewertet. Viele Unternehmen in den vom Außenhandel geprägten Küstenländern ächzten bereits unter den Lasten des deutschen Lieferkettengesetzes. "Grundsätzlich wäre eine europäische Regelung begrüßenswert – jedoch nicht unter den aktuellen Bedingungen, die insbesondere für mittelständische Unternehmen mit umfangreichen und tiefen Lieferketten direkt und indirekt erhebliche Lasten verursachen", warnte IHK Nord-Geschäftsführer Alexander Anders am Mittwoch.
Es müsse in der Frage der Grundsatz "Sorgfalt vor Eile" gelten. "Für eine starke europäische Wirtschaft, die die menschenrechtliche und ökologische Situation in den Lieferketten effektiv verbessern soll, brauchen wir eine praktikable, unbürokratische und vor allem rechtssichere europäische Regelung", betonte Anders.
Auch Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, begrüßt die Entscheidung: "Bauunternehmen müssen von überzogenen und nicht zu rechtfertigenden Belastungen verschont bleiben. Dies gilt sowohl für die direkte Betroffenheit von Betrieben durch das Gesetz sowie für die mittelbare Betroffenheit durch das Abwälzen vertraglicher Pflichten innerhalb der Wertschöpfungsketten", sagte er.
Umwelthilfe: "Schwarzer Tag für Menschenrechte, Umwelt und Klima"
"Das EU-Lieferkettengesetz würde jenen den Rücken stärken, die sich in den Produktionsländern für verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen. In intensiven Verhandlungen wurde im Dezember eine Einigung erzielt, die auf erprobten, zumutbaren und wirksamen Pflichten für Unternehmen basiert“, betonte dagegen Eva-Maria Reinwald, Referentin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte des Bonner Südwind-Instituts. Dass diese erst durch Deutschland und dann durch weitere Mitgliedsstaaten "mit Klientelpolitik, Kuhhandel, aus der Luft gegriffenen Forderungen und Falschbehauptungen" derart torpediert werde, frustriere jeden, der mit fachlichen Argumenten die Politik überzeugen wolle, kritisiert sie.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wertet den EU-Ratsentscheid gegen das EU-Lieferkettengesetz als katastrophale Niederlage für den Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima. Dass die "Sabotagehaltung der FDP und ihre massive Einflussnahme auf andere Mitgliedsstaaten" zu einem Scheitern des Gesetzes im EU-Rat geführt habe, bezeichnet DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner als "Sargnagel für ein zentrales Projekt für mehr Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umweltauflagen in den Lieferketten".