Trotz fehlender Deutschkenntnisse Entziehungsanstalt möglich

Ein Strafgericht darf fehlende deutsche Sprachkenntnisse einer Unionsbürgerin nicht alleine zum Anlass nehmen, ihr die Drogenentwöhnungstherapie im Maßregelvollzug zu versagen. Der Bundesgerichtshof betonte, dass bei einer therapiewilligen und -fähigen Straftäterin die Messlatte "fehlende Erfolgsaussicht" sehr hoch zu hängen sei. So müssten die Richter ausloten, ob in dem betreffenden Bundesland die Therapie nicht auch in einer anderen ihr geläufigen Sprache angeboten werden könne.

Abhängige Portugiesin schmuggelte Betäubungsmittel

Eine 36 Jahre alte Frau war seit vielen Jahren heroinabhängig. Um ihren Konsum zu finanzieren, überquerte sie im Juli 2020 mit fast zwei Kilogramm Kokain die niederländisch-deutsche Grenze mit dem Zug und wurde erwischt. Im Gefängnis begann sie, die deutsche Sprache zu erlernen, sie beherrschte außer ihrer Muttersprache portugiesisch auch ganz gut englisch und spanisch. Das Landgericht Köln verurteilte sie wegen der Tat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von viereinhalb Jahren. Die Unterbringung zur Drogenentwöhnung lehnten die Kölner Richter wegen fehlender Erfolgsaussichten ab, weil die Frau kaum deutsch spreche und als Ausländerin erfahrungsgemäß sowieso vorzeitig abgeschoben werde. Dagegen wehrte sich die Drogenabhängige vor dem Bundesgerichtshof - mit Erfolg.

Gefangene mit positiver Behandlungsprognose sollen therapiert werden

Der Gesetzgeber habe § 64 StGB von einer Ist- in eine Soll-Vorschrift umgewandelt, um die Behandlungseinrichtungen von Gefangenen zu entlasten, bei denen die Therapie von vorneherein erkennbar aussichtslos sei. Ein bloßes Risiko des Scheiterns genüge für eine Versagung aber nicht. Wenn sich jemand von der Sucht befreien wolle, der auch kognitiv dazu in der Lage ist, sei nur in besonderen Ausnahmefällen von der Unterbringung abzusehen. Dieser Sonderfall müsse ausführlich begründet werden. "In jedem Fall sind die entsprechenden maßgeblichen Umstände für das Revisionsgericht nachprüfbar im Urteil darzulegen", so die Karlsruher Richter.

Fehlende Sprachkenntnisse und Abschiebungsgefahr genügen nicht

Das Landgericht habe einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angenommen: Allein die Sprachunkundigkeit könne nicht zur Ablehnung der Unterbringung führen. Bei einer Therapiewilligen und -fähigen wäre zu erörtern gewesen, ob der nordrhein-westfälische Maßregelvollzug therapeutische Hilfe auch in englischer oder spanischer Sprache anbieten kann. Soweit sich das Landgericht auf eine drohende Abschiebung bezog, bemängelte der 2. Strafsenat, dass die Portugiesin eine Unionsbürgerin ist und für sie damit günstigere ausländerrechtliche Regeln als vom Kölner Landgericht angenommen gelten.

BGH, Beschluss vom 08.06.2021 - 2 StR 91/21

Redaktion beck-aktuell, 29. Juli 2021.