BGH: Kostenlose Verteilung presseähnlich aufgemachten kommunalen "Stadtblattes" unzulässig

Eine Kommune ist nicht berechtigt, ein kommunales Amtsblatt kostenlos im gesamten Stadtgebiet verteilen zu lassen, wenn dieses presseähnlich aufgemacht ist und redaktionelle Beiträge enthält, die das Gebot der "Staatsferne der Presse" verletzen. Dies hat der Bundesgerichtshof auf die Klage eines privaten Verlagsunternehmen klargestellt (Urteil vom 20.12.2018, Az.: I ZR 112/17).

Privater Verlag stört sich an kostenloser Verteilung eines "Stadtblattes"

Die Klägerin gibt unter anderem eine kostenpflichtige Tageszeitung und ein kostenloses Anzeigenblatt heraus. Beide Publikationen erscheinen auch im Stadtgebiet der Beklagten. Die Beklagte veröffentlicht seit 1968 unter dem Titel "Stadtblatt" ein kommunales Amtsblatt, das aus einem amtlichen, einem redaktionellen und einem Anzeigenteil besteht. Der wöchentliche Vertrieb erfolgte zunächst kostenpflichtig im Abonnement sowie im Einzelhandel. Seit dem 01.01.2016 lässt die Beklagte das "Stadtblatt" kostenlos verteilen.

Unterlassungsklage in ersten beiden Instanzen erfolgreich

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht hat der Beklagten untersagt, das "Stadtblatt" in seiner konkreten Gestaltung wöchentlich gratis an alle Haushalte der Gebietskörperschaft der Beklagten zu verteilen oder verteilen zu lassen. Das Berufungsgericht hat die Berufung im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, im Hinblick auf das Gebot der Staatsferne der Presse dürfe in einem kommunalen Amtsblatt im Grundsatz ausschließlich über das eigene (hoheitliche) Verwaltungshandeln der betreffenden Gemeinde berichtet werden.

Auch BGH bejaht Verstoß gegen Gebot der Staatsferne der Presse

Der BGH hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Diese sei zur Unterlassung verpflichtet, weil sie mit der kostenlosen Verteilung des "Stadtblatts" gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot der Staatsferne der Presse verstoße. Bei diesem Gebot handele es sich um eine Marktverhaltensregelung. Die Verletzung einer solchen Regelung sei wettbewerbswidrig und begründe Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern. Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse seien bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der daraus folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits sowie der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits zu bestimmen.

Äußerungsrechte von Kommunen begrenzt

Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden fänden ihre Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, insbesondere in der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Die darin liegende Ermächtigung zur Information der Bürger erlaube den Kommunen allerdings nicht jegliche pressemäßige Äußerung mit Bezug zur örtlichen Gemeinschaft. Kommunale Pressearbeit finde ihre Grenze in der institutionellen Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Verfassungsbestimmung garantiere als objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt.

Pressemäßige Berichterstattung über gesellschaftliches Leben in Gemeinde unzulässig

Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen sind laut BGH deren Art und Inhalt sowie eine wertende Gesamtbetrachtung maßgeblich. Danach müssten staatliche Publikationen eindeutig – auch hinsichtlich Illustration und Layout – als solche erkennbar sein und sich auf Sachinformationen beschränken. Inhaltlich auf jeden Fall zulässig seien die Veröffentlichung amtlicher Mitteilungen sowie die Unterrichtung über Vorhaben der Kommunalverwaltung und des Gemeinderats. Unzulässig sei eine pressemäßige Berichterstattung über das gesellschaftliche Leben in der Gemeinde. Dieser Bereich sei originäre Aufgabe der lokalen Presse und nicht des Staates.

Wertende Gesamtbetrachtung erforderlich

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung sei entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden. Je stärker die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung überschreitet und bei den angesprochenen Verkehrskreisen – auch optisch – als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt, desto eher sei das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt.

"Stadtblatt" mit presseähnlichem Layout und Artikeln außerhalb gemeindlichen Zuständigkeitsbereichs unzulässig

Das "Stadtblatt" der Beklagten gehe mit seinen redaktionellen Beiträgen über ein danach zulässiges staatliches Informationshandeln hinaus, stellt der BGH fest. Die Publikation weise nicht nur ein presseähnliches Layout auf. Eine Vielzahl von Artikeln überschreite auch den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich, sei es in sachlicher oder in örtlicher Hinsicht.

BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 112/17

Redaktion beck-aktuell, 20. Dezember 2018.