Kein Teilverzicht: Ein bisschen weniger Zeugnisverweigerungsrecht geht nicht
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Verweigert die Schwester des Angeklagten das Zeugnis in der Hauptverhandlung, erlaubt aber die Verwertung ihrer vorherigen Aussagen gegenüber einer Sachverständigen, darf das Gericht laut BGH trotzdem auch diese Aussagen nicht verwerten.

Ein junger Mann war unter anderem wegen fünffacher Vergewaltigung zu einer Einheitsjugendstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt worden. Das Urteil stützte sich auch auf die Aussage seiner Schwester, die zwar im Prozess von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, es dem Gericht aber gestattet hatte, davon hinsichtlich ihrer Angaben gegenüber der aussagepsychologischen Gutachterin abzusehen.

Die Jugendkammer verwertete daraufhin ihre Aussage gegenüber dem Ermittlungsrichter sowie die gegenüber der Sachverständigen. Dagegen wandte sich der Mann mit seiner Revision zum BGH – mit Erfolg (Beschluss vom 18.10.2023 – 1 StR 222/23). Der BGH, der erstmalig über den Teilverzicht entschieden hat, will Zeugen keinen so großen Einfluss auf das Verfahren einräumen.

Zeuge entscheidet nur begrenzt über den Verfahrensstoff

Eine Zeugin, die ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung wahrnimmt, kann zwar erlauben, dass entgegen § 252 StPO ihre vorherigen Aussagen in die Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden. Dabei kann sie sich dem 1. Strafsenat zufolge aber nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Tue sie es dennoch, seien alle vorherigen Aussagen unverwertbar.

Das Zeugnisverweigerungsrecht diene dem Schutz von Zeugen, sie sollten nicht gezwungen werden, einen Angehörigen zu belasten. Ein Zeuge kann aber den Bundesrichterinnen und -richtern zufolge auf die Sperrwirkung hinsichtlich seiner vorherigen Aussagen verzichten, also Angaben aus früheren Vernehmungen doch für verwertbar erklären und so zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. Die Beweise müssten dann zwar vorsichtig gewürdigt werden, so der 1. Strafsenat, schließlich entzögen Zeuginnen und Zeugen sich so der konfrontativen Befragung in der Hauptverhandlung, doch möglich sei das. Eine Ausnahme bilde lediglich die richterliche Vernehmung, nachdem der Zeuge über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden ist – diese Aussage sei immer verwertbar.

Teilweise aber will der Senat das Beweisverwertungsverbot nach § 252 StPO nicht gelten lassen. Die Zeugin kann den Karlsruher Richterinnen und Richtern zufolge nur darüber entscheiden, ob sie sich als Beweismittel zur Verfügung stellt oder nicht. Über den Umfang der Verwertung ihrer vorherigen Aussagen aber entscheide nicht sie, weil sie daran kein schützenswertes Interesse habe, so der BGH klar. Es liege vielmehr im Interesse der Allgemeinheit und auch in dem des oder der Angeklagten, die Einflussmöglichkeiten des Zeugen auf das Strafverfahren zu beschränken. Deshalb habe, auch wenn die Schwester das für sich anders entschieden und ausdrücklich kommuniziert hatte, das LG sein Urteil zwar auf die Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter, nicht aber auf Aussagen aus dem Gespräch mit der aussagepsychologischen Gutachterin stützen dürfen, so der BGH, der das Urteil aufhob.

BGH, Beschluss vom 18.10.2023 - 1 StR 222/23

Redaktion beck-aktuell, rw, 2. Januar 2024.