LSG Nordrhein-Westfalen: Freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung nach Insolvenz des Arbeitgebers

SGB IV § 28e; SGB V §§ 223, 250, 252; SGB XI § 59, 60; InsO §§ 130, 133

Hat die Kasse Kenntnis von Umständen, die auf eine Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens schließen lassen, ist sie gem. § 130 InsO verpflichtet, dem Insolvenzverwalter aufgrund Anfechtung auch die Beiträge zu erstatten, die seitens des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer als dessen Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung überwiesen wurden. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.03.2018 - L 16 KR 520/17, BeckRS 2018, 14659

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 16/2018 vom 17.08.2018

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Pflicht des Klägers, für die Vergangenheit Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zu zahlen. Der Kläger war von 2010 bis 2011 als Arbeitnehmer bei einer Firma F freiwillig krankenversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Die Arbeitgeberin führte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zusammen mit den Renten-/Arbeitslosenversicherungsbeiträgen ab und verminderte das dem Kläger auszuzahlende Arbeitsentgelt entsprechend. Die Arbeitgeberin hatte der beklagten Kasse eine Einzugsermächtigung erteilt, bei der es im Jahre 2011 mehrfach zu Rückbuchungen kam. Nachdem die Arbeitgeberin die Schulden beglichen hat, hat eine andere Krankenkasse Insolvenzantrag gestellt, auf den das Amtsgericht hin am 07.10.2011 das Insolvenzverfahren eröffnete. Unter anderem den von der Insolvenzschuldnerin gezahlten Beitrag für den Monat März 2011 hat der Insolvenzverwalter angefochten. Die beklagte Kasse erstattete diesen Beitrag und verlangt nun vom Kläger durch Bescheid die Zahlung des vollen Beitrags zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für diesen Zeitraum. Der Kläger wendet ein, dass von seinem Arbeitsverdienst die Beiträge abgezogen worden seien, so dass gemäß SG Dresden vom 12.02.2014 (BeckRS 2014, 67470) die Beitragsschuld als erfüllt anzusehen ist. Die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter berühre die Erfüllungswirkung nicht mehr.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben, welches die Klage abgewiesen hat. Die Beitragsforderungen seien zwar zunächst durch die Zahlung der Insolvenzschuldnerin erfüllt worden, seien durch die vom Insolvenzverwalter erklärte Anfechtung aber mit nachfolgender Zahlung durch die beklagte Kasse an den Insolvenzverwalter wiederaufgelebt (Hinweis auf § 144 Abs. 1 InsO). Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der erneut darauf verweist, dass gemäß Urteil des SG Dresden vom 12.02.2014 die Beitragsschuld durch Zahlung des Arbeitgebers erloschen sei. Der Arbeitnehmer erfahre oftmals gar nicht, ob er von der Pflichtversicherung in die freiwillige Versicherung wechsle. Dem freiwillig versicherten Arbeitnehmer dann aber das volle Insolvenzrisiko seines Arbeitgebers aufzuerlegen, stelle eine unangemessene Ungleichbehandlung und verstoße gegen Art. 3 GG.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung des Klägers zurück. Der Anspruch auf Zahlung der freiwilligen Beiträge ergibt sich aus § 223 SGB V bzw. §§ 59, 60 SGB XI. Zwar sind zunächst die Beiträge für den Monat März 2011 mit Erfüllungswirkung von der Arbeitgeberin des Klägers an die Beklagte gezahlt worden. Der Beitragsanspruch ist jedoch nach Auskehrung der Beitragszahlung an den Insolvenzverwalter infolge dessen Anfechtung wiederaufgelebt. Dazu verweist das LSG auf BGH vom 22.11.2012 (NZS 2013, 300). Die Anfechtung konnte nach § 130 InsO erfolgen, denn die beklagte Kasse hatte Kenntnis von zahlreichen Rückbuchungen bzw. Rückgaben von Lastschriften im Zeitraum Januar 2010 bis April 2011.

Soweit der Kläger meint, die Zahlung sei nicht aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin erfolgt, vermag diese Argumentation den Senat ebenfalls nicht zu überzeugen. Eine Vorab-Aussonderung aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin in Höhe der für den Kläger zu zahlenden Beiträge sei nicht erfolgt. Die Zahlung erfolgte zweifelsfrei aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin. Das verkenne das SG Dresden.

Folge der Anfechtung der Beitragszahlung für den Monat März und der Rückgewähr der entsprechenden Zahlung ist das Wiederaufleben der Forderung. Dies verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Das Risiko der Insolvenz des Arbeitgebers trägt der freiwillig Versicherte deshalb, weil das Gesetz ihn zur Begleichung der sozialversicherungsrechtlichen Beiträge gegenüber der Einzugsstelle verpflichtet. Diese Regelung ist aufgrund des insoweit bestehenden weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums auch deshalb nicht zu beanstanden, weil insoweit der Heterogenität der potentiellen Regelungsadressaten Rechnung zu tragen ist.

Praxishinweis

1. Das LSG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Dies zu recht: Die vom LSG vorgenommene Prüfung anhand Art. 3 GG überzeugt nicht. Allein der Hinweis auf eine nicht nachvollziehbare „Heterogenität der potentiellen Regelungsadressaten“ rechtfertigt es in keiner Weise, Arbeitnehmer, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind, weiterhin bei der gleichen Kasse verbleiben und durch unmittelbaren Lohnabzug für eine kontinuierliche und fristgerechte Beitragszahlung sorgen, anders zu behandeln als Arbeitnehmer, die pflichtversichert sind.

2. Nach § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV werden Sozialversicherungsbeiträge aus dem Vermögen des Versicherten bezahlt. Was hier für den Fall des Pflichtmitglieds geregelt wurde, gilt erst recht für freiwillige Mitglieder, die ihrem Arbeitgeber gestatten, den KV-/PV-Beitrag unmittelbar an die Kasse abzuführen. Im Ergebnis bereichert der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse um Finanzmittel, die dem Arbeitgeber niemals zugestanden haben, so dass hier von einer „Gläubigerbenachteiligung“ nicht die Rede sein kann. Es nützt nichts, diesen Personenkreis darauf hinzuweisen, sie könnten ja selbst für die Beitragszahlung Sorge tragen. Ein wenig überzeugender und schon gar nicht praktikabler Vorschlag (so aber Rein, NZI 2016, 729). Vielmehr sind die Grundsätze anzuwenden, die die Rechtsprechung aufgestellt hat für Bargeschäfte (dazu auch Plagemann, Anm. zu SG Dresden, FD-SozVR 2014, 357884).

Redaktion beck-aktuell, 24. August 2018.