Auf der Zielgeraden? Diese Gesetze könnten noch kommen
© katatonia / Adobe Stock

Mit dem Ampel-Ende stehen viele politische Pläne vor dem Aus. Welche Gesetze es noch über die Ziellinie schaffen, hängt - neben passenden Mehrheiten - auch davon ab, in welchem Beratungsstadium sie sind. Ein Blick ins Gesetzgebungsverfahren wichtiger rechtspolitischer Vorhaben von Judith C. Nikolay.

Beim Schlagabtausch am Mittwoch im Bundestag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Abgeordneten insbesondere der Union aufgefordert, wichtige Gesetze noch vor den Neuwahlen zu beschließen. "Wir sind nicht die Auswechselspieler für Ihre auseinandergebrochene Regierung", konterte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Doch von der CDU/CSU- sowie der FDP-Bundestagsfraktion als Oppositionsfraktionen gibt es Aussagen, dass ausgewählte Gesetzentwürfe die parlamentarische Mehrheit erhalten könnten.

Die aktuelle Minderheitsregierung hat keine parlamentarische Mehrheit, ist aber nicht per se handlungsunfähig. Auch nach dem Aus der Ampel-Koalition und den nun auf den 23. Februar datierten Neuwahlen wird der amtierende Bundestag voraussichtlich etwa bis Mitte März 2025 Beschlüsse fassen können.

Bis dahin sind den Plenarkalendern noch acht Sitzungswochen des Bundestags zu entnehmen. Ein genauer Blick anhand einzelner Schritte im Gesetzgebungsprozess innerhalb des Bundestages auf ausgewählte rechtspolitische Gesetzentwürfe zeigt, was noch kommen kann.

Das Organ bleibt

Bundeskanzler Scholz hat am 13. November 2024 in seiner Regierungserklärung angekündigt, den verfassungsrechtlich nötigen Antrag zur Vertrauensfrage am 11. Dezember 2024 zu stellen. Über diese soll dann am 16. Dezember 2024 im Bundestag abgestimmt werden.

Nach der sich wahrscheinlich anschließenden Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten um die Weihnachtstage herum läge der derzeit avisierte Wahltermin am 23. Februar 2025 innerhalb der verfassungsrechtlichen 60-Tage-Frist für vorgezogene Neuwahlen. Der "neue" Bundestag muss sich dann innerhalb der nächsten 30 Tage konstituieren.

Da es keine sogenannte parlamentslose Zeit geben darf, ist der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen Bundestags in Amt und Würden. Das gilt auch bei vorzeitiger Auflösung des Bundestags im Fall einer auflösungsgerichteten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers.

Für den Bundestag als verfassungsrechtliche Institution besteht insofern Organkontinuität, für die Abgeordneten des alten Bundestages gilt jedoch die personelle Diskontinuität. Sie alle verlieren mit der Bundestagswahl ihr aktuelles Mandat. Auch sämtliche Organe und Gremien des Bundestages wie Ausschüsse müssen für den neuen Bundestag neu gebildet werden (organisatorische Diskontinuität).

Menschen und Gesetzentwürfe gehen

Die Ämter des Bundeskanzlers und der Bundesminister und -ministerinnen enden zwar mit dem Zusammentritt des neuen Bundestags, jedoch bleibt die Bundesregierung geschäftsführend bis zur Wahl bzw. Ernennung der Nachfolge-Bundesregierung im Amt. Auch die Bundesregierung arbeitet damit über die Bundestagswahl hinaus faktisch weiter.

Gesetzentwürfe und andere Vorlagen, die der alte Bundestag noch nicht beschlossen hat, unterfallen der sachlichen Diskontinuität. Sie sind am Ende einer Wahlperiode erledigt und leben in der neuen Wahlperiode nicht wieder auf. Dies gilt jedoch nicht für Petitionen und diejenigen Vorlagen, die einer Beschlussfassung nicht bedürfen wie etwa Mitteilungen der Bundesregierung an die Parlamentarier, für die ausschließlich Kenntnisnahme vorgesehen ist.

Die Gesetzgebungsverfahren, die durch das vorzeitige Ende der Ampel-Koalition vor dem Aus stehen, sind zahlreich. Für Plenarsitzungen vereinbart üblicherweise der fraktionsübergreifend zusammengesetzte Ältestenrat die Tagesordnungen nach einem zu Beginn der Wahlperiode zwischen den Koalitions- und Oppositionsfraktionen vereinbarten sogenannten "Klipp-Klapp-Schema". Weil die FDP-Bundestagsfraktion nun nicht mehr den Koalitionsfraktionen angehört, ist das aktuelle Klipp-Klapp-Schema nicht mehr anwendbar. Der Ältestenrat muss jetzt daher "schemalos" die Tagesordnung vereinbaren. Und mangels Mehrheit können auch SPD- und Grünen-Bundestagsfraktion keine Tagesordnung durchsetzen – selbst hierfür benötigen sie punktuelle Unterstützung seitens mindestens einer Oppositionsfraktion.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Gesetze vor dem Ende der Wahlperiode noch beschlossen werden können, hängt neben dem parteiübergreifenden politischen Willen auch von dem Stadium ab, das sie bis jetzt erreicht haben.

Vor der ersten Lesung: V-Leute und Vaterschaftsanerkennungen

Auch wenn die politischen Diskussionen zu dem jeweiligen Thema ggf. schon länger geführt werden: Gesetzentwürfe, die dem Bundestag vorliegen, aber die erste Lesung noch nicht erreicht haben, sind noch ganz am Anfang des parlamentarischen Prozesses. Die Wahrscheinlichkeit, dass Entwürfe, die nicht von besonderem politischem Interesse sind und sich in diesem Stadium befinden, der Diskontinuität unterfallen, ist daher äußerst hoch.

Dieses Schicksal wird wahrscheinlich die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur besseren Verhinderung missbräuchlicher Anerkennungen der Vaterschaft sowie die Neuregelung über den Einsatz Verdeckter Ermittler und Vertrauenspersonen ereilen.

Etwas anderes gilt möglicherweise für (ggf. noch kommende) Entwürfe, die als eilbedürftig und politisch sehr wichtig eingestuft werden. Unter Abkürzung sämtlicher Fristen und Sondersitzungen von Ausschüssen kann ein komplettes Gesetzgebungsverfahren binnen einer Sitzungswoche durchgeführt werden. So wurden beispielsweise Änderungen der Insolvenzordnung 2008 zur Bewältigung der Finanzkrise binnen einer Woche vom Bundestag in 1., 2. und 3. Lesung beraten und beschlossen.

In den Ausschüssen: Ein resilienteres BVerfG

Die Beratung in den Ausschüssen ist der wichtigste Schritt im parlamentarischen Verfahren. Wurden Gesetzentwürfe nach der 1. Lesung in die Ausschüsse überwiesen, ringen dort - auch wenn davon, abgesehen von öffentlichen Anhörungen, wenig nach außen dringt - die für den Gesetzentwurf zuständigen Abgeordneten in nicht-öffentlichen Beratungen um Änderungen und konkrete Formulierungen. In Zeiten einer Minderheitsregierung, die auf die Unterstützung von Oppositions-Abgeordneten angewiesen ist, ist das kein leichtes Unterfangen. Ohne deren Stimmen ist eine Verabschiedung im Plenum in 2. und 3. Lesung unwahrscheinlich.

Dieses Stadium haben die beiden Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes und weiterer Gesetze zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts erreicht; und diese erfordern zusätzlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Vieles spricht dafür, dass diese Gesetzentwürfe dennoch rechtzeitig beschlossen werden. Zum einen der zeitliche Aspekt, denn hierzu fand am 13. November 2024 die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss statt. Auch die Expertinnen und Experten sprachen sich dafür aus, die Entwürfe noch zu verabschieden. Es verbleibt genug Zeit, um eventuelle Änderungsanträge zügig zu vereinbaren und diese dem Plenum in 2./3. Lesung rechtzeitig zur Abstimmung vorzulegen.

Zum anderen gibt es hier eine besondere politische Komponente: Beide Gesetzentwürfe wurden gemeinsam parteiübergreifend initiiert von den Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, die notwendige parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit lag schon bei Einbringung der Gesetzentwürfe vor. Auch wenn die Union sich gegenüber weitergehenden Änderungen skeptisch zeigt, haben alle initiierenden Fraktionen bereits signalisiert, dass sie an einer Verabschiedung interessiert sind.

Und die CSRD-Umsetzung, eine digitalere ZPO und neue Schiedsverfahren?

Ein Gegenbeispiel könnte eventuell das CSRD-Umsetzungsgesetz sein. Dessen Umsetzung ist zwar besonders eilig, da die Umsetzungsfrist aus Brüssel bereits am 6. Juli 2024 abgelaufen ist. Noch ist jedoch unsicher, ob sich im Bundestag ausreichende Mehrheiten finden werden. Eventuell werden sich die neue Bundesregierung und der neue Bundestag sehr kurzfristig nach der Wahl mit diesem Gesetz erneut befassen dürfen.

Auch zwei Gesetzentwürfe, die für die Rechtswelt eine große Rolle spielen, könnten zum Ende der Legislatur der Diskontinuität unterfallen: Das Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit und der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrecht sind politisch über die Rechtspolitik hinaus wahrscheinlich einfach nicht wichtig genug.

Mit Beschlussempfehlung der Ausschüsse: Bauernhöfe und Spezial-TKÜ

Gesetzentwürfe, zu denen die Ausschüsse schon eine Beschlussempfehlung abgegeben haben, haben die wichtigste Hürde bereits genommen und warten auf ihre Verabschiedung. Um rechtzeitig verabschiedet zu werden, müssten sie aktuell aber von besonderer politischen Wichtigkeit sein. Zwar ist es auch in "normalen Zeiten" durchaus üblich, Gesetzesbeschlüsse in 2./3. Lesung auch ohne Plenardebatte zu fassen.

Diese Möglichkeit für möglichst viele Gesetzesbeschlüsse zu nutzen, erscheint derzeit aber weniger wahrscheinlich, da es am entsprechenden Willen der parlamentarischen Mehrheit mangelt – und auch mit Blick auf die Verfassung wenig opportun.

In diesem Stadium befand sich bis zum heutigen Donnerstagmorgen eine Änderung der Höfeordnung. Es geht um den Wert von Bauernhöfen, aufgrund eines BVerfG-Urteils besteht Gesetzgebungsbedarf vor dem 31. Dezember 2024. Am Donnerstag wurde dieser Gesetzentwurf – als einzige Gesetzesdebatte auf der Tagesordnung – in der 2./3. Lesung mehrheitlich beschlossen.

Die Union hat auch aus einem anderen Grund zugestimmt: In einem sogenannten Omnibusverfahren - eine Gesetzesänderung, die zu einem anderen Gesetzentwurf hinzugepackt wird, mit dem sie inhaltlich nichts zu tun hat – wurde eine Änderung des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens aufgenommen. Eine zunächst bis Dezember 2024 befristete Möglichkeit, Telekommunikation von Verdächtigen von Wohnungseinbruchdiebstählen zu überwachen, wurde verlängert. So schnell kann es gehen.

In 2. & 3. Lesung beschlossen

Gesetzentwürfe, die in 2. und 3. Lesung vom Bundestag beschlossen wurden, haben es meistens geschafft: Sie werden anschließend dem Bundesrat zugeleitet. Anders als der Bundestag ist der Bundesrat nicht an Legislaturperioden gebunden, sondern als "immerwährendes Verfassungsorgan“ seit 1949 ununterbrochen existent. Gesetzentwürfe, die vom Bundestag abschließend behandelt wurden, können damit den Bundesrat unabhängig von der Bundestagswahl passieren.

Einer dieser Gesetzentwürfe wäre der Gesetzentwurf zur Hauptverhandlungsdokumentation gewesen – wenn der Bundesrat nicht den Vermittlungsausschuss eingeschaltet hätte.

Vermittlungsausschuss angerufen: Keine Dokumentation der Hauptverhandlung

Denn: Anders verhält es sich mit Gesetzentwürfen, zu denen der Bundesrat oder der Bundestag den Vermittlungsausschuss (VA) angerufen hat. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie so umstritten sind, dass sie der Vermittlung bedürfen. Auch der VA hört vielmehr mit dem Ende einer Wahlperiode des Bundestages auf zu bestehen, da er paritätisch mit Mitgliedern des Bundesrates und Mitgliedern des Bundestages besetzt ist.

Das Diskontinuitätsprinzip gilt zudem im VA auch in materieller Hinsicht: Alle Gesetzentwürfe, die zu diesem Zeitpunkt noch im VA anhängig sind, gelten am Ende der Bundestagswahlperiode als erledigt. Dieses Schicksal wird aller Voraussicht nach den Entwurf des Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes ereilen.

Und was passiert mit Referentenentwürfen?

Zur fachlichen und politischen Diskussion stehen aktuell auch viele sogenannte Referentenentwürfe (RefE) der verschiedenen Bundesministerien. So aktuell der BMJ-RefE zur Modernisierung des Computerstrafrechts, der BMAS-RefE zur Tarifreue oder der BMAS-RefE zur Arbeitszeiterfassung.

Da zu diesen Entwürfen zwischen den Bundesministerien noch Gespräche laufen und kein Beschluss der Bundesregierung vorliegt, kann man davon ausgehen, dass sie weit überwiegend vor der Bundestagswahl nicht mehr beschlossen werden. Wahrscheinlich ist aber auch, dass sie in der ein oder anderen veränderten Form das Licht der Gesetzgebungswelt nach der Bundestagswahl erneut erblicken. So wie der immer wiederkehrende Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes.

Nach der Wahlperiode ist eben vor der Wahlperiode.

Judith C. Nikolay ist Volljuristin sowie Gründerin und Inhaberin von JCN Consulting, einer Beratungsagentur für Public und Regulatory Affairs. Sie begleitet seit 20 Jahren rechtspolitische und unternehmensbezogene Gesetzgebungsverfahren sowie politische Diskussionen und Prozesse auf Bundesebene.

Redaktion beck-aktuell, Judith C. Nikolay, 14. November 2024.