Der Bundesrat feiert Jubiläum. Vor 75 Jahren – am 7. September 1949 – fand die konstituierende Sitzung der Länderkammer in Bonn statt. Als Gegenentwurf zum NS-Unrecht, in dem alle staatliche Macht zentralisiert war, wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes sicherstellen, dass kein Bundesgesetz ohne die Mitwirkung der Bundesländer entstehen kann. Die starke Stellung des Bundesrats verankerten sie in Art. 50 GG. Die Mitwirkung der Länder am Gesetzgebungsprozess ist zudem in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 GG festgehalten. Noch heute – 75 Jahre später – ist der Bundesrat als Staatsorgan weltweit einzigartig.
Darum heißt der Bundesrat auch "das ewige Organ"
Der Bundesrat trägt den Beinamen "ewiges Organ" und bildet damit ein Gegengewicht zum turnusmäßigen Wechsel der Mehrheiten im Bundestag. Denn der Bundesrat kennt keine Legislaturperioden. Er setzt sich aus den Mitgliedern der demokratisch gewählten Landesregierungen zusammen – also den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, Ministern und Ministerinnen der Länder bzw. den Bürgermeistern sowie Senatorinnen der Stadtstaaten. Die Besetzung des Bundesrats ändert sich fortwährend im Rhythmus der Landtagswahlen.
Auch die jährliche Wahl des Bundesratspräsidenten bzw. der -präsidentin sollte frei von politischen Erwägungen sein, um die Interessen aller Bundesländer – ob groß oder klein – zu wahren. So einigten sich 1950 die damaligen Ländervertreter im sogenannten Königsteiner Abkommen auf eine feste Reihenfolge, die bis heute besteht. Zuerst sollte das Land mit den meisten Einwohnern (Nordrhein-Westfalen) den Präsidenten stellen, dann das zweitgrößte und so weiter, bis zuletzt das kleinste Bundesland (Bremen) an der Reihe ist. Danach beginnt der Turnus von Neuem. So ist beispielsweise schon heute klar, dass im Jahr 2034 das Land Berlin den Bundesratspräsidenten oder die Bundesratspräsidentin stellen wird.
Dem Bundesratspräsidenten bzw. der Bundestagspräsidentin stehen zwei Vizepräsidentinnen oder -präsidenten zur Seite, die ebenfalls einem festgelegten Zyklus folgen: Erster Vizepräsident ist stets der Präsident des Vorjahrs, der zweite Vize kommt aus dem Land, das im Folgejahr den Präsidenten oder die Präsidentin stellen wird. So erreicht der Bundesrat einen nahtlosen Übergang der Amtszeiten.
Auch der Diskontinuitätsgrundsatz des Bundestags gilt für den Bundesrat nicht. Gesetzesinitiativen, die es nicht bis zum Ende der Legislaturperiode ins Gesetzblatt geschafft haben, kann der Bundesrat dennoch auf den Weg bringen, sofern sie im Bundestag abschließend behandelt wurden. Oder er kann sie als sogenannte Reprise dem neuen Bundestag vorlegen.
Wie die Abstimmung funktioniert – oder eben nicht
Auch wenn es im Bundesrat keine politischen Rangeleien um den Vorsitz oder das Präsidentenamt gibt, folgt das Abstimmungsverhalten der Länder – etwa über Gesetzentwürfe – doch ganz eigenen politischen Regeln. Aktuell hat der Bundesrat 69 Mitglieder. Jedes Land entsendet abhängig von seiner Größe zwischen drei und sechs Vertreterinnen und Vertreter aus den Reihen der Koalitionspartner der Landesregierungen. Damit ein Vorhaben im Bundesrat erfolgreich ist, braucht es die absolute Mehrheit, also 35 Stimmen – eine Änderung des Grundgesetzes bedarf sogar einer Zweidrittelmehrheit, also 46 Stimmen. Dabei werden während der Abstimmung nur die Ja-Stimmen gezählt.
Gemäß Art 51 Abs. 3 GG dürfen die Länder ihre Stimmen allerdings nur einheitlich abgeben, denn ihre Stimmen sollen sich nicht gegenseitig aufheben. Stimmen die Vertreterinnen und Vertreter eines Bundeslands dennoch unterschiedlich ab, wird die gesamte Landesstimme für ungültig erklärt. Der politische Showdown findet also in aller Regel schon vor der Abstimmung im Plenum statt, weil die Länderkoalitionen sich geeinigt haben müssen. Aber nicht immer, wie ein Fall aus dem Jahr 2002 zeigt:
Das Zuwanderungsgesetz 2002 war im Bundestag von einer rot-grünen Mehrheit beschlossen worden, es hatte im Bundesrat allerdings nicht nur Fans. Das Zünglein an der Waage war das Land Brandenburg – seine Stimmen sollten das zustimmungsbedürftige Gesetz zum Erfolg oder Scheitern führen. Doch in Brandenburg war man sich ebenfalls uneinig. Der SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe wollte das Gesetz durchwinken, sein Koalitionspartner CDU war dagegen. Entgegen einer Bundesratsklausel im Koalitionsvertrag – also der Absprache, sich im Falle von Uneinigkeit zu enthalten – stimmte Stolpe während der Bundesratssitzung für das Gesetz ab. Sein CDU-Kollege Jörn Schönbohm stimmte dagegen – jedenfalls einmal, denn auf die Nachfragen des damaligen Bundesratspräsidenten, Klaus Wowereit, schwieg er schlicht beharrlich. Das kostete das Gesetz letztlich seine Gültigkeit, denn obwohl Wowereit die Ja-Stimme Brandenburgs gelten ließ, wurde es später vom BVerfG einkassiert (Urt. v. 18.12.2002 - 2 BvF 1/02). Es habe nicht die nötige Zustimmung erhalten, so die Karlsruher Richterinnen und Richter, und hätte deshalb in den Vermittlungsausschuss gehen müssen.
Zustimmungsgesetz oder Einspruchsgesetz: So wird’s entschieden
Dass Gesetzentwürfe entweder als Zustimmungs- oder Einspruchsgesetze ausgestaltet sein können, hat wohl jeder schon einmal gehört. Dabei kann bei einem Einspruchsgesetz das Veto des Bundesrats vom Bundestag überstimmt werden. Stimmt der Bundesrat jedoch endgültig gegen ein Zustimmungsgesetz, scheitert das Vorhaben. Doch wie entscheidet sich, in welche Kategorie ein Gesetz gehört?
Grundsätzlich findet sich die Antwort auf diese Frage im Grundgesetz. Wenn Gesetzesvorhaben die Finanzen oder die Verwaltungsaufgaben der Länder betreffen, das Grundgesetz ändern sollen oder in Angelegenheiten der Europäischen Union eingreifen, ist die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. So finden sich über das ganze GG verteilt immer wieder Artikel, die eine solche Beteiligung der Länder vorsehen. Welche Gesetze die Zustimmung des Bundesrates brauchen, regelt das GG dabei abschließend (Enumerationsprinzip), das heißt, alle Gesetzesvorhaben, die nicht im GG als Zustimmungsgesetze benannt werden, sind Einspruchsgesetze.
Ganz eindeutig ist das in der Praxis aber nicht immer. Aktuell werden knapp 40% aller Gesetze als zustimmungsbedürftig eingestuft. Darüber entscheiden die Autorinnen und Autoren der Entwürfe, also in der Regel die sachlich zuständigen Bundesministerien. Aktuell wird die Einstufung als Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz in der Eingangsformel des Entwurfs in der Regel nur knapp genannt. Eine ausführliche Begründung ist nicht vorgesehen, § 43 Abs. 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien verbietet es sogar, die Zustimmungsbedürftigkeit in der Gesetzesbegründung zu erörtern.
Diese Praxis haben zuletzt auch Ländervertreterinnen und -vertreter kritisiert. So fassten die Justizministerinnen und -minister bei der JuMiKo im Juni 2024 einen Beschluss, der auf eine Änderung des § 43 hinwirkt. Die Abgrenzung zwischen Zustimmungs- und Einspruchsgesetz solle begründet werden, forderten sie. Insbesondere bei Einspruchsgesetzen sollten die Entwürfe erklären, warum infrage kommende Zustimmungstatbestände nicht griffen. Dass die Begründung zu knapp ausfalle, monierten die Ministerinnen und Minister vor allem bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung, die aktuell etwa 78% aller Gesetzesvorhaben ausmachen.
Bei der Anhörung der Länder kann der Bundesrat darauf hinweisen, dass er ein Gesetz für zustimmungsbedürftig hält. In der Praxis wird dann häufig der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags eingeschaltet, um die Frage zu klären. Bleibt die Zustimmungsbedürftigkeit umstritten, kann auch der Bundespräsident vor Ausfertigung des Gesetzes darüber entscheiden, Stellungnahmen der Ministerien einholen, das BVerfG mit einem Gutachten beauftragen und ggf. sogar die Ausfertigung verweigern. Das ist in der Vergangenheit auch schon mehrmals vorgekommen. So hat 1951 Theodor Heuss das "Gesetz zur Durchführung des Artikels 108 Abs. 2 des Grundgesetzes" nicht ausgefertigt, 1976 verweigerte Walter Scheel die Ausfertigung des "Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes". Final kann aber nur das BVerfG über die Zustimmungsbedürftigkeit entscheiden.
Dabei kommt es manchmal auf Details an. Schon eine einzige zustimmungsbedürftige Norm kann das Gesetz als Ganzes zustimmungsbedürftig machen. Deshalb arbeitet der Gesetzgeber zuweilen mit einem – umstrittenen, aber inzwischen vom BVerfG abgesegneten – Kniff: Er spaltet ein zustimmungsbedürftiges Gesetz in zwei Teile auf, ein Zustimmungsgesetz und ein Einspruchsgesetz. So stellt er sicher, dass jedenfalls ein Teil des Vorhabens auch tatsächlich Gesetz werden kann.
75 Jahre haben gezeigt, dass seine Sonderstellung im Grundgesetz den Bundesrat zu einem mächtigen, aber verlässlichen Staatsorgan gemacht hat. Er verhilft dem föderalen System zur Geltung und setzt dem politischen Geschehen des Bundestags unaufgeregte, geordnete Abläufe entgegen – nach seinen ganz eigenen Spielregeln.