Es war der Wunsch der Bundesländer: Die zuständigen Mitglieder des Vermittlungsausschusses möchten erst einmal eine fiktive Gerichtsverhandlung durchspielen, um die Möglichkeiten der vorgesehenen Transkriptionssoftware zu prüfen. Nachdem der Termin hierfür bereits einmal verschoben wurde, soll die Aktion nun am Nachmittag des 27.5. ab 16 Uhr – ausdrücklich mit "open end" – in Räumen des Bundesjustizministeriums stattfinden. In Absprache mit Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) galt zunächst "mit Blick auf das besondere Setting" ein Präsenztermin als "absolut vorzugswürdig". Nun heißt es in der Einladung, die im Namen von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verschickt wurde, die entsprechenden Mitglieder von Parlament und Länderkammer könnten nebst ihrer Begleitung, statt vor Ort zu erscheinen, auch virtuell teilnehmen.
Dementsprechend gibt es noch keinen Termin für eine neue Zusammenkunft des Kompromissgremiums. In einem ersten Treffen dazu war im Februar das Thema nicht einmal diskutiert worden (und auch zum "Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten" fand sich bei der Beratung kein Konsens, sondern die Beschlussfassung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt). Ein zweiter Termin des Gremiums dazu wurde ganz abgeblasen.
Lange Liste von Einwänden
Die Einwände der Länder und großer Teile der Justiz gegen das "Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG)" sind zahlreich. Dessen Idee: Richter, Verteidiger und Staatsanwälte sollen eine elektronische Gedächtnisstütze erhalten. Strafprozesse, die in erster Instanz vor einem LG oder OLG beginnen, sollen künftig aufgezeichnet werden. Die Tonaufnahmen sollen mit einer Transkriptionssoftware automatisch in eine schriftliche Fassung umgewandelt werden und das traditionelle rein formale Protokoll ergänzen. Neben den Ampelparteien SPD, Grüne und FDP stimmte im Bundestagsplenum in letzter Lesung Mitte November auch die damalige Linksfraktion zu; CDU/CSU votierten dagegen, die AfD enthielt sich. Zuvor hatte das Regierungsbündnis einen Rückzieher gemacht: Ursprünglich hatte Ressortchef Buschmann eine digitale Aufzeichnung nicht nur mit Mikrofonen, sondern auch mit Kameras vorschreiben wollen. Letztere sollte nun nur noch in willigen Bundesländern eingeführt werden.
Doch das Plenum der Länderkammer machte am 15.12.23 "erhebliche, grundlegende und tiefgreifende fachliche Bedenken" geltend. Stichwortartig listet der Beschluss auf: Gefahren für die Wahrheitsfindung, eine Beeinträchtigung des Opferschutzes, die Gefahr von Verzögerungen des Verfahrens, die optionale Bildaufzeichnung der Hauptverhandlung, das Inkrafttreten der Regelung zur Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den LG am 1.1.2030 (an den Staatsschutzsenaten der OLG sollte der Starttermin in einer "Pilotierungsphase" früher liegen) sowie das Verhältnis von dem personellen, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand und Mehrwert. "Die in der Strafprozessordnung vorgesehene Art der Dokumentation der erstinstanzlichen strafgerichtlichen Hauptverhandlung vor den Land- und Oberlandesgerichten hat sich nach ganz überwiegender Ansicht der justiziellen Praxis bewährt", heißt es darin weiter.
"Einschüchterung von Zeugen"
Allein das Wissen um eine Aufzeichnung und die damit einhergehende Möglichkeit der missbräuchlichen Verbreitung könne sowohl Zeugen als auch Angeklagte einschüchtern und mindestens unbewusst in ihrer Aussagefähigkeit und Aussagebereitschaft beeinflussen; dies könne auch die Wahrheitsfindung beeinträchtigen. Opferzeugen bedürften zur Vermeidung einer Retraumatisierung eines möglichst weitgehenden Schutzes vor der unbefugten Weitergabe von Aufzeichnungen ihrer Aussage. Zudem: Um die Nutzung der Tonaufzeichnung für Verfahrensverzögerungen möglichst auszuschließen, fehle es an Regelungen, die es dem Gericht ermöglichten, vom Rückgriff auf die Tonaufzeichnung zum Zwecke des Vorhalts absehen zu können, bemängeln die Länder weiter.
Ferner: "Die optionale Bildaufzeichnung begegnet als erheblicher Persönlichkeitseingriff durchgreifenden opferschutz- und datenschutzrechtlichen Bedenken." Damit drohe zudem eine regionale Zersplitterung von Regelungen des Strafprozesses. Und schließlich sei die vorgesehene Frist zur Beendigung der Einführungs- und Pilotierungsphase und zur flächendeckenden Umsetzung der Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den LG viel zu kurz bemessen. "Die Planung, Ausgestaltung und Umsetzung eines derartigen Großvorhabens bedarf – gerade in Flächenländern – im Hinblick auf die notwendig werdenden baulichen Veränderungen der Sitzungssäle, die erforderliche IT-Infrastruktur, die Beschaffung der Hard- und Software, die Ausstattung der Sitzungssäle mit Aufzeichnungs- und Transkriptionstechnik sowie die Inbetriebnahme und Pilotierung zur Gewährleistung eines funktionsfähigen, möglichst störungsfreien Betriebs der einzusetzenden Technik eines deutlich längeren planerischen Vorlaufs, da dadurch erhebliche personelle und sachliche Ressourcen gebunden werden."