Tücken der Technik
Ungewohnt für alle Beteiligten war der Verzicht auf physische Teilnahme im Saal, auf persönliche Kontakte in der Kaffeepause oder bei Abendveranstaltungen. Die Tücken der Technik zeigten sich etwa bei der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen, die die größeren Notensprünge nach oben von Männern als von Frauen im mündlichen Examen beleuchteten – sofern nicht mindestens eine weibliche Prüferin mit an Bord war. Ein Vorurteil widerlegte dieser Livestream, nämlich jenes über Frauen und Technik. Während die vier Damen auf dem Panel in Bild und Ton makellos rüberkamen, hatten alle drei Herren auf dem digitalen Podium mehr oder minder große Schwierigkeiten mit Webcam oder Software. In einem Fall musste sich sogar die humorvolle Moderatorin Christina Dillenburg, Anwältin in Essen, die Ohren zuhalten, weil beim Wortbeitrag eines Diskutanten ein ohrenbetäubendes Echo ertönte. "Erst sieht man Sie nicht, jetzt hört man Sie nicht", sagte Dillenburg zu dem Mann, der vorher über lange Strecken ganz vom Bildschirm verschwunden war.
Neue Formen der Interaktion
Dennoch kam eine muntere Diskussion zustande. Mit Daumen-Recken gelang es etwa dem Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen, seiner Mitdiskutantin Maria Wersig – Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes und Hochschullehrerin – spontan Beifall zu zollen. Wer zu Wort kommen wollte, meldete sich brav wie in der Schule und kam auch dran. Und Geschäftsführerin Tanja Brexl speiste die ausgesprochen lebhafte Chat-Diskussion, die nebenher lief, immer wieder in die Runde ein.
Auch in einer anderen Session wurde deutlich, dass digitale Formate Präsenzveranstaltungen nicht gleichwertig ersetzen können. Ein Streitgespräch zur anwaltlichen Berufsethik war deutlich weniger lebhaft und kontrovers als erwartet, was vor allem daran lag, dass die Moderatorin und die beiden Diskutanten über die Konferenzsoftware nicht so unmittelbar interagieren konnten, als wenn sie sich gegenüber gesessen hätten. Hier gab es übrigens eine Tonstörung besonderer Art: Mitten in der Diskussion brauste eine Feuerwehrkolonne mit Martinshorn an der Kanzlei eines Teilnehmers vorbei.
Aperitif, Yoga und Musik
Ein umfangreiches Begleitprogramm gab es auch – trotz des Ausweichens in die Digitalwelt des Internet. So veranstalteten mehrere Bundestagsfraktionen abendliche Diskussionsrunden. Die Anwältinnen luden wie üblich zum Frühstücksempfang, allerdings verbunden mit der Anregung, sich selbst einen Aperitif für das Treffen vor dem eigenen Monitor zu besorgen. Für die Gesundheitsbewussteren gab es einen morgendlichen Yoga-Kurs, der frühzeitig ausgebucht war. Zum abendlichen Ausklang wiederum gab es zur Entspannung etwa den Filmklassiker "Der Fall Paradin" von Alfred Hitchcock oder eine recht frische Aufzeichnung von Georges Bizets "Carmen" aus der Berliner Staatsoper. Und der Münchener Rechtsanwalt und Kabarettist Dominik Herzog – spätestens bekannt geworden durch seinen mit der Ukulele begleiteten "beA-Song"– bot im Netz die Premiere seines Covid-19-Lieds, natürlich (ab und an) mit Maske und Corona-App.
Positive Bilanz und Ausblick
Der Deutsche Anwaltverein zeigte sich am Ende des virtuellen Branchentreffens sehr zufrieden: Man habe aus der Not eine Tugend gemacht und dem Bedürfnis in der Anwaltschaft nach Fortbildung und Austausch Rechnung getragen, sagte DAV-Präsidentin Edith Kindermann. Zudem habe man mit dem virtuellen Format auch viele Kolleginnen und Kollegen erreicht, für die es selbst ohne Pandemie schwierig gewesen wäre, zum Anwaltstag zu kommen – sei es wegen der Entfernung, des Zeitaufwands oder anderer Hinderungsgründe.
Der Anwaltstag werde im kommenden Jahr aber trotz der positiven Erfahrungen wieder als Präsenzveranstaltung in Berlin stattfinden. "Wir wissen, dass der Anwaltstag auch von den persönlichen Begegnungen lebt. Deshalb setzen wir auf einen analogen Anwaltstag 2021 mit virtuellen Akzenten", so Kindermann. Der Verband feiert dann auf dem Branchentreffen sein 150-jähriges Bestehen.