Interview
„Solidargemeinschaft der Anwaltschaft“
Interview
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© DAV/Andreas Burkhardt
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Der Deutsche Anwaltstag findet in diesem Jahr wegen der Coronakrise virtuell statt. Eine Absage kam für den DAV nicht in Frage – gerade jetzt ist der Bedarf nach Information und Austausch besonders groß. Außerdem soll der Anwaltstag auch in virtueller Form rechtspolitisch etwas bewegen und den Zusammenhalt fördern, wie DAV-Präsidentin Edith Kindermann im Interview mit der NJW betont.

7. Mai 2020

NJW: Wegen der Coronakrise findet erstmals ein Anwaltstag virtuell statt. Haben Sie auch eine Absage erwogen?

Kindermann: Uns war klar, dass es nach wie vor ein Bedürfnis nach Information, Austausch und Fortbildung gibt. Daher ist es uns wichtig, hierfür auch dann eine Lösung zu bieten, wenn wir uns in diesem Jahr nicht persönlich treffen können. Wir wollen, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auch in der Krisenzeit die Möglichkeit haben, an dem Know-how unserer Arbeitsgemeinschaften und Ausschüsse teilzuhaben und rechtspolitische Diskussionen zu führen.

NJW: Warum haben Sie sich für die digitale Durchführung entschieden? Und ist das vielleicht auch ein Modell für die Zukunft?

Kindermann: Der virtuelle Anwaltstag kann und soll den analogen Anwaltstag nicht ersetzen. Die Entscheidung darüber ist uns deswegen auch nicht leicht gefallen. Der Anwaltstag lebt vom direkten Austausch und der unmittelbaren Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen. Aber es geht auch ganz konkret darum, eine Teilhabe am Know-how und den aktuellen rechtlichen Themen im Wege der Fortbildung zu ermöglichen. Mit einem virtuellen Anwaltstag soll gerade auch denjenigen Kolleginnen und Kollegen ein Fortbildungsangebot unterbreitet werden, die aufgrund der derzeitigen Situation vor besonderen finanziellen oder zeitlichen Herausforderungen stehen.

NJW: Weshalb ist das diesjährige Motto „Die Kanzlei als Unternehmen“ gerade jetzt besonders wichtig?

Kindermann: Die Anwaltschaft steht in der Pandemie vor großen Herausforderungen, auch was die Kanzleiführung und -organisation betrifft. Darüber hinaus stärkt es den Zusammenhalt zwischen dem DAV, den örtlichen Anwaltvereinen, den Landesverbänden, den Arbeitsgemeinschaften und den Ausschüssen des DAV, wenn wir unsere gemeinsame jährliche Veranstaltung trotz der Krise, wenn auch etwas abgewandelt, durchführen. Wir sind die Solidargemeinschaft der Anwaltschaft, die für die Anwaltschaft auch in der Krise da ist.

NJW: Die Anwaltstage haben immer auch rechtspolitische Impulse gesetzt. Kann das auch bei einer virtuellen Veranstaltung gelingen?

Kindermann: Der DAV ist vielfältig rechtspolitisch aktiv. Nehmen Sie in unserem originären Bereich der Interessenvertretung das Thema Vergütung und die dringend erforderliche Reform des Berufsrechts. Auch das Einstehen für Grund- und Menschenrechte sowie den liberalen Rechtsstaat ist Teil unserer satzungsgemäßen Arbeit. Bestrebungen, politisches Gehör zu finden, laufen nicht nur während dieser drei Tage, sondern das ganze Jahr über. Natürlich ist der Anwaltstag eine besondere Gelegenheit, um unsere Forderungen gezielt zu adressieren – auch dank der gesteigerten Aufmerksamkeit von Politik und Presse. Daher planen wir neben Fortbildung auch rechtspolitische Diskussionen. 

NJW: Das Thema Fortbildung treibt die Fachanwälte auch im Hinblick auf die FAO um. Wurde mal darüber nachgedacht, die Fortbildungsverpflichtung für dieses Jahr zu reduzieren oder zu modifizieren?

Kindermann: Die Bitte, der DAV möge sich für eine Modifizierung oder gar eine Aussetzung der Fortbildungspflicht im Jahr 2020 einsetzen, wurde schon an uns herangetragen. Eine Aussetzung für 2020 erscheint mir aber mit Blick auf die Gründe, die zur Einführung einer Fortbildungspflicht geführt haben, als zu weitgehend. Zahlreiche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben zudem bereits vor Beginn der Kontaktbeschränkungen viele oder sogar alle Fortbildungsstunden für das laufende Jahr absolviert. Nach § 15 II FAO können zudem die Fortbildungsstunden nicht nur in Präsenzveranstaltungen, sondern sogar vollständig in Webinaren erbracht werden. Von den 15 Stunden je Fachanwaltschaft können darüber hinaus nach § 15 IV FAO bis zu fünf Stunden im Wege eines Selbststudiums mit Lernerfolgskontrolle nachgewiesen werden. Wir müssen uns außerdem im Klaren sein, dass dies letztlich ein Thema für die Satzungsversammlung ist, denn diese beschließt die Regelungen der FAO im Rahmen von Plenumssitzungen. Die nächste Satzungsversammlung findet voraussichtlich im November 2020 statt. Danach müssten Beschlüsse noch an die Aufsichtsbehörde, das BMJV, weitergeleitet werden und – falls dort keine Einwände bestehen – eine Veröffentlichung in den BRAK-Mitteilungen erfolgen. Eine etwaige Änderung der FAO könnte also allenfalls im Jahr 2021 in Kraft treten.

NJW: Gibt es genug anerkannte digitale Angebote, um die Vorgaben zu erfüllen?

Kindermann: Alle Fortbildungsanbieter vergrößern momentan ihr digitales Angebot. Sowohl Anwaltvereine als auch Arbeitsgemeinschaften des DAV, die Deutsche Anwaltakademie und andere Anbieter halten ihre ursprünglich als Präsenzseminare geplanten Veranstaltungen derzeit vermehrt als Webinare ab. Weil Reiseaufwand entfällt, ist damit letztlich sogar ein vielfältigeres Angebot für den Einzelnen erreichbar. Darüber hinaus bieten die Verlage seit Jahren ihren Abonnenten im Rahmen der Fachzeitschriften in vielen Fällen über das Jahr verteilt die Möglichkeit, fünf Stunden durch das Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle zu absolvieren.

NJW: Der Deutsche Anwaltverein hat mehrfach auf die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise für die Anwälte hingewiesen. Ist auch der Verband betroffen? Allein die Absage des Anwaltstages dürfte ein größeres Loch in Ihren Etat reißen?

Kindermann: Die Durchführung des Deutschen Anwaltstages ist für den DAV eine wichtige ideelle Aufgabe und kein Business Case. Natürlich wird auch beim Anwaltstag gewirtschaftet, der Anwaltstag ist aber im Saldo nicht auf Gewinn ausgelegt. Wir können die Absage daher finanziell gut verkraften und nun sogar noch ein virtuelles Angebot schaffen.

NJW: Werden sich Anwaltschaft und Rechtsdienstleistungsmarkt durch die Pandemie verändern?

Kindermann: Die Pandemie hat viele absehbare Entwicklungen schon jetzt beschleunigt. Wer zuvor noch zögerlich beim Elektronischen Rechtsverkehr war, hat in den letzten Wochen begonnen, sich etwa mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu beschäftigen, trotz der ärgerlichen Störungen gerade zu Beginn der Pandemie. Angebote zur digitalen Mandantenkommunikation, auch Videokonferenzen, werden stärker nachgefragt, und IT-Anschaffungen werden vorgezogen. Auch die Justiz nutzt vermehrt die seit Jahren bestehende Möglichkeit, mündliche Verhandlungen als Videokonferenz abzuhalten.

NJW: Zum Schluss müssen wir natürlich noch die Anpassung der Anwaltsgebühren thematisieren: Sie haben mit den Ländern einen Kompromiss erzielt, der Ihre Mitglieder vermutlich nicht befriedigen wird?

Kindermann: Bei einem Kompromiss gibt jeder nach. Eine zeitnahe Lösung ist für alle Beteiligten wichtig.

NJW: Ist denn die Umsetzung dieser Kompromisslösung in dieser Legislaturperiode gesichert oder kann noch etwas schiefgehen?

Kindermann: Es gibt einen allseitigen, festen Willen zur Umsetzung in dieser Legislaturperiode. Das Vertrauen in eine Umsetzung, die auf den 1.1.2021 gewollt ist, gründet sich darauf, dass die Arbeiten auch in diesen Wochen fortgesetzt worden sind. Sicher im Rechtssinne ist alles erst, wenn es im Bundesgesetzblatt steht.

Interview: Tobias Freudenberg.