Prü­fe­rin­nen an die Front
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Frau­en schnei­den in bei­den Jura-Ex­amen mi­ni­mal schlech­ter ab als Män­ner. Geht es aber um einen Sprung nach oben auf der No­ten­ska­la (etwa zum Prä­di­kat), ge­lingt ihnen das bei glei­chen Vor­no­ten um be­mer­kens­wer­te 2,3 Pro­zent sel­te­ner als männ­li­chen Kan­di­da­ten – je­doch nur, wenn keine ein­zi­ge Frau im Prü­fungs­gre­mi­um sitzt. Was sich da­ge­gen tun lässt, hat am Mitt­woch nach­mit­tag der vir­tu­el­le Deut­sche An­walts­tag dis­ku­tiert.

Tü­cken der Tech­nik

Wenn die Ver­an­stal­tung der Ar­beits­ge­mein­schaft An­wäl­tin­nen im Deut­schen An­walt­ver­ein ein Vor­ur­teil wi­der­legt hat, war es jenes über Frau­en und Tech­nik. Wäh­rend die vier Damen auf dem Panel in Bild und Ton ma­kel­los rü­ber­ka­men, hat­ten alle drei Her­ren auf dem di­gi­ta­len Po­di­um mehr oder min­der große Schwie­rig­kei­ten mit Web­cam oder Soft­ware. In einem Fall muss­te sich sogar die hu­mor­vol­le Mo­de­ra­to­rin Chris­ti­na Dil­len­burg, An­wäl­tin in Essen, die Ohren zu­hal­ten, weil bei dem Wort­bei­trag eines Dis­ku­tan­ten ein oh­ren­be­täu­ben­des Echo er­tön­te. "Erst sieht man Sie nicht, jetzt hört man Sie nicht", sagte Dil­len­burg zu dem Mann, der vor­her über lange Stre­cken ganz vom Bild­schirm ver­schwun­den war und schlie­ß­lich von sei­nen Mit­ar­bei­tern eine neue Ka­me­ra zu­ge­wie­sen bekam.

Um­fang­rei­che Un­ter­su­chung

Die Stu­die für das Land Nord­rhein-West­fa­len, die DAV-Ge­schäfts­füh­re­rin Tanja Brexl und Ste­phan Ha­ckert vom Lan­des­jus­tiz­prü­fungs­amt Düs­sel­dorf vor­stell­ten, geht auf das Jahr 2018 zu­rück. Ein Wis­sen­schaft­ler-Trio aus dem Psy­cho­lo­gie­pro­fes­sor An­dre­as Glöck­ner von der Fern­uni Hagen, dem Ju­ra­pro­fes­sor Ema­nu­el V. Tow­figh von der EBS in Wies­ba­den und dem Öko­no­mie­pro­fes­sor Chris­ti­an Trax­ler von der Her­tie School of Go­ver­nan­ce hatte rund 20.000 Prüf­lin­ge aus dem Ers­ten und Zwei­ten Ex­amen unter die Lupe ge­nom­men.

"Ar­chai­sche Vor­stel­lun­gen"

Heike Stint­zing, Vi­ze­prä­si­den­tin der Rechts­an­walts­kam­mer Frank­furt a.M. und er­fah­re­ne Prü­fe­rin, wies in der Dis­kus­si­on noch­mals dar­auf hin: "Ins­ge­samt gibt es in den münd­li­chen Prü­fun­gen kaum einen Un­ter­schied zwi­schen Männ­lein und Weib­lein." Und dies sei der Un­ter­su­chung zu­fol­ge un­ab­hän­gig von der Zu­sam­men­set­zung der Prü­ferrun­de. Bei den No­ten­sprün­gen sah da­ge­gen auch Stint­zing ein Pro­blem. Wenn­gleich es dort keine be­wuss­ten Dis­kri­mi­nie­run­gen gebe: "Man­ches spricht dafür, dass Me­cha­nis­men am Werk sind, die nicht auf den ers­ten Blick zu er­ken­nen sind." Viel­leicht trau­ten sich Kan­di­da­tin­nen ein­fach mehr, wenn auch eine Prü­fe­rin als Role Model im Raum sei. Und viel­leicht be­stehe bei männ­li­chen Prü­fern mit­un­ter doch noch die ar­chai­sche Vor­stel­lung, dass Män­ner spä­ter im Beruf eine Fa­mi­lie er­näh­ren müss­ten und Frau­en nicht. 

Ein­heit­li­che Stan­dards ver­misst

Maria Wer­sig, Prä­si­den­tin des Deut­schen Ju­ris­tin­nen­bun­des und Hoch­schul­leh­re­rin, blick­te denn auch auf den Un­con­scious Bias, für den es gelte, "Awa­re­ness" zu schaf­fen. Aber zwei kon­kre­te Vor­schlä­ge hatte sie eben­falls parat. So müss­ten sich mehr Frau­en als Prü­fe­rin­nen zur Ver­fü­gung stel­len. Bei einer Um­fra­ge ihres Ver­ban­des hät­ten zwar alle Jus­tiz­prü­fungs­äm­ter er­klärt, dass sie sich darum be­müh­ten – aber wenig Kon­kre­tes ge­nannt, wie diese An­stren­gun­gen aus­sä­hen. Zudem plä­dier­te Wer­sig dafür, ein "ein­heit­li­ches Re­gime der Qua­li­täts­si­che­rung" zu eta­blie­ren. Si­cher – die Prü­fer seien nach dem Ge­setz un­ab­hän­gig. Doch mit Hand­rei­chun­gen oder Leit­fä­den lasse sich ei­ni­ges er­rei­chen.

Zu wenig Prü­fe­rin­nen

Auch der Ber­li­ner Jus­tiz­se­na­tor Dirk Beh­rendt be­dau­er­te, dass sich so wenig Frau­en als Prü­fe­rin­nen zur Ver­fü­gung stell­ten. Kürz­lich habe er zwar nach einem neu­er­li­chen Auf­ruf in­ner­halb einer Stun­de gleich zwei Zu­sa­gen er­hal­ten. Doch da noch immer le­dig­lich zwei Drit­tel aller Kom­mis­sio­nen ge­mischt seien (also zu­min­dest eine ein­zi­ge Frau an Bord hät­ten), blei­be "Luft nach oben", fand der Grü­nen-Po­li­ti­ker. Im­mer­hin habe er im Mai die Ent­gel­te dafür "merk­lich" er­höht, sagte Beh­rendt. Aber Frau­en leis­te­ten eben immer noch den grö­ße­ren Teil der Care-Ar­beit in der Fa­mi­lie und hät­ten daher we­ni­ger Lust, sich für eine münd­li­che Prü­fung einen gan­zen Tag "ans Bein zu bin­den". Zum Kor­ri­gie­ren von Klau­su­ren seien sie leich­ter zu ge­win­nen.

Angst der Prü­fer

"Den Un­ter­schied in der At­mo­sphä­re und der Stim­mung, wenn eine Frau dabei ist, merke ich selbst", be­rich­te­te Mar­tin W. Huff, Ge­schäfts­füh­rer der Köl­ner An­walts­kam­mer, von sei­nen ei­ge­nen Er­fah­run­gen aus Prü­fungs­ge­sprä­chen. Doch in der An­walt­schaft sei es be­son­ders schwer, Frau­en dafür zu fin­den – so wie oh­ne­hin An­wäl­te ge­gen­über Rich­tern und Ver­wal­tungs­be­am­ten in die­sen Gre­mi­en un­ter­re­prä­sen­tiert seien. Neben dem fi­nan­zi­el­len Aus­fall in der Kanz­lei sieht er als Grund eine "im­mense Angst", sich als Prü­fer vor an­de­ren Voll­ju­ris­ten selbst zur Über­prü­fung zu stel­len. Auch wenn die Kam­mer bei der Ver­gü­tung etwas drauf­le­ge – viele An­wäl­te seien an­ge­stellt und be­kä­men nicht so leicht frei für einen Tag im Prü­fungs­amt.

Sper­re für Chau­vis

Fazit: Eine mun­te­re Dis­kus­si­on. Mit Dau­men-Re­cken ge­lang es etwa Jus­tiz­se­na­tor Beh­rendt, sei­ner Mit­dis­ku­tan­tin Wer­sig spon­tan Bei­fall zu zol­len. Wer zu Wort kom­men woll­te, mel­de­te sich brav wie in der Schu­le und kam auch dran. Und Ge­schäfts­füh­re­rin Brexl speis­te die aus­ge­spro­chen leb­haf­te Chat-Dis­kus­si­on, die ne­ben­her lief, immer wie­der in die Runde ein. Be­schwer­de­stel­len oder Pro­to­koll­pflicht, Ab­leh­nungs­mög­lich­kei­ten bei Be­fan­gen­heit, Vi­deo­auf­zeich­nun­gen oder die Ab­schaf­fung in­di­vi­du­el­ler Vor­ge­sprä­che mit den Vor­sit­zen­den der Prü­fungs­gre­mi­en wur­den auf ihren mög­li­chen Wert hin ab­ge­klopft. "Macht­miss­brauch" und "se­xis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­run­gen" wur­den be­klagt. Doch Beh­rendt ver­si­cher­te: "Das ist kein Mas­sen­phä­no­men – aber wenn je­mand mehr­fach als Chau­vi auf­ge­fal­len ist, wür­den wir si­cher­lich über­le­gen, da­ge­gen vor­zu­ge­hen."

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 17. Juni 2020.

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