Manchmal wissen die Medien früher von einem Strafverfahren als die Betroffenen selbst – und die erfahren das dann erst aus der Presse. Viele Quellen können dahinter stecken, wenn etwas an die Presse durchgestochen wird: Nicht selten sind es beispielsweise Polizeibeamte, die stolz auf ihren mutmaßlichen Ermittlungserfolg sind – oder sogar Rechtsanwälte. Doch oft sind es Staatsanwälte, die ganz offiziell mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gehen.
Das schilderte Tobias Gafus aus der Kanzlei Redeker Sellner Dahs jetzt auf einer Tagung der "Jungen Gesellschaft für Presse- und Persönlichkeitsrecht" an der Universität Potsdam. Er nannte als Beispiel aus seiner Mandantschaft anonym einen zu Unrecht verdächtigten Hirnchirurgen, der massiv unter den Vorwürfen zu leiden hatte. Die kernige, wenngleich unter den Teilnehmern des Kongresses nicht unwidersprochene Botschaft von Gafus: "Staatsanwälte sind grundsätzlich nicht berechtigt, Informationen nach außen zu geben!"
Zu viel Rechtsunsicherheit
Der Jurist deklinierte die Voraussetzungen durch, an die seiner Ansicht nach die staatlichen Strafverfolger mindestens genauso gebunden sind wie Zeitungen, Funk und Fernsehen, wenn sie über den Verdacht einer Straftat berichten. Das sind: ein Mindestbestand an Verdachtstatsachen (die Einleitung eines Verfahrens ist dies laut Gafus noch nicht!); bei Identifizierbarkeit der Person ein legitimes Interesse an der Bekanntmachung aufgrund der Position des Betroffenen oder der besonderen Art der angenommenen Tat; keine Vorverurteilung (auch nicht "zwischen den Zeilen"); sowie eine sogenannte Konfrontationspflicht mit dem Beschuldigten vorab mit einer nicht zu knappen Frist für dessen Antwort. "Das gilt auch für Staatsanwälte", befand er.
Gafus bedauerte, dass es da noch immer viel Rechtsunsicherheit gebe – trotz des Informationsanspruchs von Journalisten nach den Landespressegesetzen und dem Medienstaatsvertrag. Der gelte aber nur auf Anfrage, nicht für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwälten. Wenngleich diese in der Rechtsprechung als "privilegierte Quelle" gelten, deren Angaben Reporter ohne weitere eigene Recherchen wiedergeben dürfen. Zwar gebe es außerdem die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), aber die seien nur eine Verordnung.
Integrität des Strafverfahrens wahren
Das Fazit des Medienrechtlers aus der Kanzlei, die schon viele Prominente vertreten hat: "Das oberste Interesse ist die Integrität des Strafverfahrens." Die StPO sehe vor, dass Ermittlungen prinzipiell geheim zu führen seien. Eine Vorfestlegung der Anklagebehörde setze diese selbst unter Zugzwang, um nicht ihr Gesicht zu verlieren: "Damit ist normalerweise eine Einstellung mangels Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 S. 1 StPO) vom Tisch." Auch wittert Gafus eine Beeinflussung selbst der Berufsrichter zumindest bei der Festsetzung des Strafmaßes; ferner einen Bedeutungsverlust der Hauptverhandlung durch eine "Medienhatz". Er pochte auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 iVm. Art. 1 GG) und das Gebot des fair trial (Art. 6 MRK).
All dies sei mit der Medienfreiheit und dem Recht auf öffentliche Meinungsbildung (Art. 5 GG) zum Ausgleich zu bringen. Aber bei Ermittlern gelten ihm zufolge strengere Maßstäbe als bei Journalisten, denn Erstere könnten sich als Teile des Staates nicht auf eigene Grundrechte berufen. Daher dürften sie keine "Wasserstandsmeldungen" über ihre jeweils aktuellen Einschätzungen vors "Tribunal der Öffentlichkeit" tragen – mit teils schlicht unpräzisen oder gar falschen Behauptungen und verheerender Wirkung für die Betroffenen. Denen blieben zur Not nur anschließend Klagen wegen Amtspflichtverletzung oder (wenn möglich) Anträge auf vorbeugenden Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht. Damit es nicht so weit kommt, müssen nach Gafus' Ansicht Strafverfolger eine geplante Pressemitteilung vorab den Beschuldigten vorlegen.
Sonderrecht für Politiker
Den vom Gesetzgeber unlängst verschärften Ehrschutz für Politiker beleuchtete Maxi Schäfer aus der Kanzlei Krause & Kollegen. Die jetzige Fassung des § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) war im Zuge eines Gesetzespakets gegen "Rechtsextremismus und Hetze" reformiert worden: Die Mindest- und Höchststrafen wurden erhöht und erstmals auch Kommunalpolitiker einbezogen; zudem ist seltener ein Strafantrag Betroffener erforderlich. Früher habe das BVerfG diesen besonderen Qualifikationsbestand der Grunddelikte Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung für Volksvertreter in seiner ursprünglichen Fassung eher zurückhaltend betrachtet, so Schäfer: Schließlich hätten die sich freiwillig in eine Machtposition begeben und müssten sich demokratischer Kontrolle stellen.
Doch sei die Justiz seit der Verrohung in den sozialen Medien strenger geworden, wie die Anwältin anhand von Beispielen wie Altkanzlerin Angela Merkel (CDU), Ex-Kanzler Olaf Scholz und der früheren Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) schilderte. "Dumme Schlampe" als Beleidigung Merkels, "Volksschädling" als Invektive gegen Scholz und ein Meme, das ein Faeser-Foto mit einem Falschzitat darstellte, haben die Justiz zwar weiterhin in diffizile Abwägungsprobleme gebracht. Selbst vulgäre Beschimpfungen der Grünen-Politikerin Renate Künast, die wörtlich wiederzugeben in Potsdam schwer fiel, wurden erst vom BVerfG endgültig als unzulässig eingestuft. Die vermeintliche Anonymität im Netz und auf Klickraten ausgerichtete Algorithmen befeuern diesen Trend laut Schäfer. Sie könnten überdies dazu führen, dass sich gerade auf Kommunalebene Ehrenamtliche aus Angst aus ihrem Engagement zurückziehen.
Gefahren für Meinungsfreiheit und Machtkontrolle
Leiden nun die Meinungsfreiheit und die Wachsamkeit gegenüber Politikern? Immerhin, so wurde auf dem Campus am brandenburgischen Griebnitzsee in Erinnerung gerufen, war Ex-Vizekanzler Robert Habeck nicht nur Rekordhalter in der Ampelregierung beim Erstatten von Anzeigen, sondern ließ sich das Material dafür von einer Agentur besorgen. Die satirische Verfremdung einer Shampoo-Reklame zur Bezeichnung des Grünen-Politikers als "Schwachkopf" war zumindest einer der Auslöser für eine Hausdurchsuchung bei dem Postenden. Auch gehen Behörden aufgrund eigener Beobachtungen mitunter selbst auf Politiker zu und fragen diese, ob sie gegen jemanden vorgehen sollten. Ein "Balanceakt" für die Justiz, so Schäfer. Doch schwinge das Pendel mittlerweile offenbar etwas in Richtung Strenge. Zumal die Urfassung der Norm noch von schriftlichen Äußerungen ausgegangen sei, wogegen viele Menschen sich heutzutage im Internet eher spontan und unüberlegt zu Äußerungsdelikten hinreißen ließen.
Rechtsdogmatisch umstritten sei vor allem ein Tatbestandsmerkmal, das den § 188 zum abstrakten Gefährdungsdelikt mache: die Eignung der Tat, das öffentliche Wirken des Beschimpften "erheblich zu erschweren". Da stellt der BGH der Strafverteidigerin zufolge allein auf den Inhalt ab, während die unteren Instanzen dies etwa bei einer geringen Zahl von Followern auf Facebook verneinten. Die speziellen Beweggründe im subjektiven Tatbestand ließen ebenfalls viel Spielraum für Auslegungen.
Kein Freibrief für Influencer und Organisationen
All das kann auch Influencer treffen. Dennis Jennessen und Miriam Schlossarczyk aus der Kanzlei Irle Moser wollten für sie nicht generell das hergebrachte Laienprivileg für Privatleute gelten lassen, die gutgläubig Presseberichte aufgreifen, weil heutzutage jeder leicht mit eigenen Botschaften im Netz viral gehen könne. Ihnen werde viel Vertrauen entgegengebracht, obwohl es Fake News sowie gezielte Desinformationskampagnen aus bestimmten Staaten sowie rechtspopulistische Portale gebe. Angesichts dieser Meinungsmacht postulierten die beiden Medienanwälte einen gestuften Sorgfaltsmaßstab und differenzierten zwischen verschiedenen Gruppen von Internet-Selbstdarstellern: News-Influencer mit großer Reichweite, die beispielsweise zu Kanzler Friedrich Merz (CDU) Stellung nehmen, müssen sich demnach prinzipiell an dieselben Regeln wie Journalisten halten. Schlossarczyk warnte: Eine Anfrage an eine KI wie ChatGPT mit ihren gelegentlichen Halluzinationen ersetze keine vollständige Recherche, sondern müsse gegengecheckt werden – am besten beim Betroffenen selbst. Sonst drohten Gegendarstellungen und Maßnahmen der Medienanstalten.
Tendenziell gelte das auch für solche Meinungsmacher, die – wenngleich vielleicht nur für ein kleines Nischenpublikum – etwa als Ärzte ein besonderes Vertrauen für Ernährungsempfehlungen genießen. Reine Personality-Influencer wollten Jennessen und Schlossarczyk dagegen milder beurteilen, weil es sich meist bloß um eine Art persönliches Tagebuch handele. Und Corporate-Influencer nahmen sie weitgehend von diesen Restriktionen aus, weil der Gesetzgeber dabei Online-Medien vor Augen gehabt habe statt Lobbyisten oder Marketingleute.
Dass auch Verbraucherschutzorganisationen, NGOs und Aktivistengruppen nicht ungezügelt Personen oder Unternehmen schlechtmachen dürfen, verdeutlichte schließlich Lukas Gerhardinger von DLA Piper. Der Einfluss von Einrichtungen wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Stiftung Warentest oder Foodwatch verpflichte sie zu besonderer Verantwortung und Sorgfalt. Schließlich hätten sie eine öffentliche Aufgabe und großen Einfluss, wirkten auf die Meinungsbildung ein und bekämen viel Vertrauen entgegengebracht, so der Presse- und Äußerungsrechtler. Vor schwerwiegenden Vorwürfen müssten sie die jeweiligen Unternehmen anhören – nicht nur bei Tatsachenbehauptungen, sondern ebenso bei bloßen Meinungsäußerungen. Zumal hier anders als bei Medien kein tagesaktueller Zeitdruck herrsche. Auf Gruppierungen wie "Fridays for Future" ist dieses ganze Normengerüst nach Einschätzung von Gerhardinger allerdings nicht "eins zu eins" übertragbar.


