Ein Mann demonstrierte während der Coronazeit in Ingolstadt mit etwa 100 weiteren Versammlungsteilnehmern gegen die Regierungspolitik unter dem Motto "Endgültiges Maßnahmenaus". Er trug ein Plakat mit den Gesichtern von Nancy Faeser, Olaf Scholz und Robert Habeck, die hinter Gittern abgebildet waren. Sie wurden als "Totengräber der Demokratie" und "Volksverbrecher" bezeichnet. Während Frau Faeser noch im Einzelnen der Volksvernichtung bezichtigt wurde und an die fehlende Vaterlandsliebe Habecks erinnert wurde, stand unter dem Konterfei des Bundeskanzlers "Volksschädling" geschrieben.
Die Politiker stellten keine (rechtzeitigen) Strafanträge. Dennoch wurde der Demonstrant wegen Beleidigung angeklagt. Sowohl das AG als auch das LG sprachen den Demonstranten frei. Die Staatsanwaltschaft erhob die Revision zum BayObLG, weil sie wollte, dass wenigstens hinsichtlich der Bemerkung zu Olaf Scholz eine Verurteilung erfolgt – ohne Erfolg.
Konkrete Auswirkungen mitentscheidend für Strafbarkeit
Der 6. Strafsenat (Urteil vom 06.03.2025 – 206 StRR 433/24) hält den Freispruch aufrecht. Er verneint schon eine Formalbeleidigung nach § 185 StGB des Bundeskanzlers, weil im Hinblick auf die Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG nicht ausgeschlossen sei, dass Scholz mit "Volksschädling" nicht persönlich gekränkt werden, sondern im Gesamtzusammenhang des Plakats und der Versammlung sachliche Machtkritik geäußert werden sollte.
Auch der Tatbestand des § 188 Abs. 1 StGB (Beleidigung unter anderem gegenüber Personen des politischen Lebens) sei nicht erfüllt, weil es an der Eignung der Tat fehle, das öffentliche Wirken von Scholz erheblich zu erschweren. Während der BGH noch zur Vorgängervorschrift hierzu allein auf den Inhalt der Äußerung abgestellt hatte, verlangt der BayObLG nun eine Berücksichtigung der Gesamtumstände und deren konkreten Auswirkungen. Die Münchener Richterinnen und Richter stützten sich dabei vor allem auf den Wortlaut der Strafvorschrift.
Allein die Bezeichnung "Volksschädling" dürfe wohl kaum geeignet sein, irgendwelche Auswirkungen auf das öffentliche Wirken des Bundeskanzlers haben. Anders als etwa falsche Tatsachenbehauptungen dürfte sie wirkungslos verpuffen. Außerdem hätten nur etwa 100 Personen davon Kenntnis genommen.
Der Ansicht des OLG Zweibrücken, es sei gesetzgeberischer Wille gewesen, allein die Äußerung zum Maßstab zu machen, erteilten die Bayern eine klare Absage: Bei der Ausweitung des Straftatbestands auf Beleidigungen von Politikern im Jahr 2021 sei den Abgeordneten nicht klar gewesen, dass die Anforderungen der §§ 186, 187 StGB (üble Nachrede und Verleumdung), die bereits zuvor in § 188 StGB aufgeführt wurden, ganz andere seien als die der Beleidigung. Das schloss der 6. Strafsenat aus der Gesetzesbegründung.