86 zusätzliche Prozesstage: Wirecard-Prozess verlängert sich um fast ein Jahr

Ursprünglich hatte das LG München I 100 Verhandlungstage für den mutmaßlich größten deutschen Bilanzbetrugsfall terminiert, deren letzter in der kommenden Woche am 10. Januar gewesen wäre. Weil es noch viel aufzuklären gibt, hat das Gericht nun 86 zusätzliche Prozesstage bis zum 19.12.2024 festgelegt.

Der Prozess vor dem Landgericht München I gegen den früheren Vorstandschef Markus Braun, den Kronzeugen Oliver Bellenhaus und den ehemaligen Chefbuchhalter des 2020 kollabierten damaligen Dax-Konzerns läuft bereits seit dem 08.12.2022. Für die Zeit nach dem 10. Januar waren jeweils Mittwoch und Donnerstag als Prozesstage angedacht, aber in der Ursprungsverfügung waren noch keine konkreten Termine für diesen Zeitraum geplant worden.

Wirecard war im Sommer 2020 zusammengebrochen, nachdem die Wirtschaftsprüfer 1,9 Milliarden Euro nicht ausfindig machen konnten, die in der Bilanz verbucht werden sollten. Laut Anklage existierte das Geld nie. Braun und Komplizen sollen demnach als kriminelle Bande Scheingeschäfte vorgetäuscht haben, um den eigentlich defizitären Konzern über Wasser zu halten.

Gegenseitige Schuldzuweisungen – schwierige Beweislage

Der im Juli 2020 - also vor fast dreieinhalb Jahren - in Untersuchungshaft genommene Braun hat sich jedoch für unschuldig erklärt. Nach Darstellung des österreichischen Managers sollen die wahren Kriminellen um den untergetauchten Ex-Vertriebsvorstand Jan Marsalek und den Kronzeugen Bellenhaus Unsummen auf die Seite geschafft haben. Braun und Bellenhaus beschuldigen sich gegenseitig, keiner der bislang vernommenen Zeugen konnte Licht ins Dunkel bringen.

So ist ungeklärt, ob die seit dem Sommer 2020 vermissten 1,9 Milliarden Euro je existierten - und falls ja, von wem die Gelder schlussendlich unterschlagen wurden. Der ebenfalls seit Juli 2020 ununterbrochen in U-Haft sitzende Kronzeuge Bellenhaus bestreitet seinerseits Brauns Vorwürfe. Er gab im Januar 2023 als Kronzeuge aber zu, dass die Geschäfte mit Drittpartnern erfunden waren.

Die Aufklärung gestaltet sich unter anderem deswegen so schwierig, weil die Tatorte sich großenteils in Asien befanden: in Dubai, Singapur, auf den Philippinen und in weiteren asiatischen Ländern. Das Gericht hatte in den vergangenen Monaten zahlreiche Zeugen aus dem Ausland geladen, die jedoch nicht erschienen. Ausgesagt haben bislang hauptsächlich frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der einstigen Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München. Brauns Ex-Untergebene gaben jedoch durch die Bank an, nichts vom Milliardenbetrug gewusst zu haben. Erste Zeuginnen im neuen Jahr werden nun am 10. Januar die frühere Leiterin der Rechtsabteilung der Wirecard-Bank und am Folgetag eine frühere Vertriebsmanagerin.

Redaktion beck-aktuell, gk, 3. Januar 2024 (dpa).