Ex-Wire­card-Chef Braun: Ich wuss­te nichts von Be­trug

Der als mut­ma­ß­li­cher Mil­li­ar­den­be­trü­ger vor Ge­richt ste­hen­de frü­he­re Wire­card-Vor­stands­chef Mar­kus Braun weist sämt­li­che Vor­wür­fe der An­kla­ge zu­rück. "Ich hatte kei­ner­lei Kennt­nis­se von Fäl­schun­gen oder Ver­un­treu­un­gen", sagte Braun am Mon­tag im Münch­ner Wire­card-Pro­zess.

Braun: Wire­card-Kol­laps "ech­tes Schock­erleb­nis"

"Ich habe mich auch mit nie­man­dem zu einer Bande zu­sam­men­ge­schlos­sen", be­ton­te der 53-Jäh­ri­ge am 13. Pro­zess­tag in sei­ner ers­ten Stel­lung­nah­me zur An­kla­ge seit Be­ginn des Ver­fah­rens im De­zem­ber. Damit wi­der­spricht Braun auch dem Kron­zeu­gen der Staats­an­walt­schaft, der sei­nen eins­ti­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den im bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf schwer be­schul­digt hat. Der Kol­laps des eins­ti­gen Dax-Kon­zerns im Juni 2020 sei für ihn "«ein ech­tes Schock­erleb­nis" ge­we­sen, be­tont der ös­ter­rei­chi­sche Ma­na­ger. "Am 18.6. ist die Welt un­ter­ge­gan­gen, und das war auch meine". An dem Schick­sals­tag muss­te der Wire­card-Vor­stand ein­räu­men, dass 1,9 Mil­li­ar­den Euro nicht auf­find­bar waren. Das Geld war an­geb­lich auf Treu­hand­kon­ten in den Phil­ip­pi­nen ver­bucht und wird bis heute ver­misst.

 Vom Ni­schen­un­ter­neh­men zum Welt­kon­zern

Es folg­ten die In­sol­venz und für Braun die Un­ter­su­chungs­haft. Seit über zwei­ein­halb Jah­ren sitzt der Ma­na­ger im Ge­fäng­nis. Ab­ge­se­hen davon hat Braun na­he­zu sein ge­sam­tes Ver­mö­gen ver­lo­ren, das er zum al­ler­grö­ß­ten Teil in Wire­card-Ak­ti­en an­ge­legt hatte. "Tie­fes Be­dau­ern" spricht Braun den Ak­tio­nä­ren und sei­nen ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­tern in dem mitt­ler­wei­le vom In­sol­venz­ver­wal­ter weit­ge­hend ab­ge­wi­ckel­ten Un­ter­neh­men aus. In dem bun­ker­ar­ti­gen un­ter­ir­di­schen Ge­richts­saal will Braun die Wire­card-Ge­schich­te von An­fang an er­zäh­len, er tritt sach­lich und se­ri­ös auf. Der Wirt­schafts­in­for­ma­ti­ker ar­bei­te­te seit An­fang der 2000er Jahre bei Wire­card. Das da­mals noch klei­ne Un­ter­neh­men ver­dien­te nach Brauns Wor­ten sein Geld haupt­säch­lich mit Kom­mis­si­ons­ge­büh­ren bei der Ab­wick­lung von Kre­dit­kar­ten­zah­lun­gen im In­ter­net für "Adult" - zu Deutsch Por­no­gra­fie - und Glücks­spiel. Braun wan­del­te Wire­card in einen bör­sen­no­tier­ten Kon­zern um, Hö­he­punkt des ko­me­ten­haf­ten Auf­stiegs als deut­sches Tech­no­lo­gie­w­un­der war 2018 die Auf­nah­me in die Dax-Ober­li­ga der Frank­fur­ter Börse. Dort war Wire­card zeit­wei­se über 20 Mil­li­ar­den Euro wert, und Braun als grö­ß­ter Ak­tio­när stein­reich ge­wor­den.

Ge­werbs­mä­ßi­ger Ban­den­be­trug?

Doch laut An­kla­ge be­ruh­te das auf Lug und Trug. Die Münch­ner Staats­an­walt­schaft wirft Braun, sei­nen zwei Mit­an­ge­klag­ten und meh­re­ren wei­te­ren Be­schul­dig­ten ge­werbs­mä­ßi­gen Ban­den­be­trug vor. Sie sol­len Um­sät­ze in Mil­li­ar­den­hö­he er­fun­den, die Bi­lan­zen ge­fälscht und die Kre­dit­ge­ber des Un­ter­neh­mens um über drei Mil­li­ar­den Euro ge­prellt haben. Ban­den­mit­glied - oder gar deren An­füh­rer - will Braun nicht ge­we­sen sein: "Mit kei­ner die­ser Per­so­nen hatte ich ir­gend­ei­ne Form von per­sön­li­chem Ver­hält­nis." Die er­fun­de­nen Ge­win­ne wur­den dem­nach als Er­lö­se so ge­nann­ter Dritt­part­ner ver­bucht. Diese wi­ckel­ten im Wire­card-Auf­trag Zah­lun­gen in Län­dern ab, in denen der baye­ri­sche Kon­zern selbst keine ent­spre­chen­de Li­zenz hatte. Der al­ler­grö­ß­te Teil die­ser Ge­schäf­te soll frei er­fun­den ge­we­sen sein, ohne Schein­ge­schäf­te hätte Wire­card laut An­kla­ge Ver­lus­te ge­schrie­ben. Braun be­strei­tet kei­nes­wegs, dass es Kri­mi­nel­le im Un­ter­neh­men gab, aber er ahnte nach ei­ge­nen Wor­ten nichts von den Ma­ni­pu­la­tio­nen. Er sei davon aus­ge­gan­gen, dass so­wohl das Dritt­part­ner­ge­schäft als auch die Er­lö­se dar­aus "voll exis­tent" ge­we­sen seien. "Ich habe nicht eine ein­zi­ge Se­kun­de daran ge­glaubt, dass das Ge­schäft nicht da ist."

Braun gegen Bel­len­haus 

In dem Pro­zess steht An­ge­klag­ter gegen An­ge­klag­ten, denn als Kron­zeu­ge der Staats­an­walt­schaft tritt der bis 2020 in Dubai für Wire­card tä­ti­ge Ma­na­ger Oli­ver Bel­len­haus auf - eine der von Braun ge­nann­ten "Per­so­nen", die die Bande bil­de­ten. Bel­len­haus hat Braun im bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf schwer be­schul­digt, dem Kron­zeu­gen zu­fol­ge war Braun ein "ab­so­lu­tis­ti­scher" Chef, der in den Mil­li­ar­den­be­trug voll ein­ge­bun­den war und alles wuss­te. Braun geht in sei­ner Stel­lung­nah­me zu­nächst nicht dar­auf ein, wer die Täter ge­we­sen sein, wer die Wire­card-Bande ge­führt haben könn­te. Brauns Ver­tei­di­ger haben den Kron­zeu­gen Bel­len­haus als "pro­fes­sio­nel­len Lüg­ner" at­ta­ckiert. Eine Schlüs­sel­rol­le bei Wire­card spiel­te der seit 2020 un­ter­ge­tauch­te Ver­triebs­chef Jan Mar­sa­lek, so viel wird be­reits zu Be­ginn aus Brauns Vor­trag deut­lich. "In der ge­sam­ten Grup­pe waren viele ta­len­tier­te junge Men­schen, aber Mar­sa­lek ist wirk­lich her­aus­ge­sto­chen", be­rich­tet Braun. "Ge­fühlt war Mar­sa­lek da­mals ein Glücks­griff". Sie hät­ten An­fang der 2000er ein enges, freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis ge­habt. Weder mit Mar­sa­lek noch mit dem Kron­zeu­gen Bel­len­haus habe er aber ir­gend­ei­ne Form von Bande ge­schlos­sen, sagte Braun. "Die­sen in­ne­ren Kreis gab es nicht". Er selbst habe erst kurz vor dem Kol­laps des Un­ter­neh­mens im Juni 2020 ge­merkt, "dass es rich­tig eng ist". In den kom­men­den Tagen und Wo­chen muss Braun sich auf wei­te­re ein­dring­li­che Fra­gen ein­stel­len - das Ge­richt hat für seine Be­fra­gung min­des­tens vier wei­te­re Pro­zess­ta­ge vor­ge­se­hen.

Redaktion beck-aktuell, Carsten Hoefer und Jacqueline Melcher, 13. Februar 2023 (dpa).

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