Wire­card-Kron­zeu­ge be­stä­tigt An­kla­ge: Ge­schäft er­fun­den

Im Münch­ner Wire­card-Pro­zess hat der Kron­zeu­ge der Staats­an­walt­schaft den zen­tra­len Vor­wurf der An­kla­ge um­fas­send be­stä­tigt: Die an­geb­li­chen Mil­li­ar­den­um­sät­ze des 2020 kol­la­bier­ten Dax-Kon­zerns mit "Dritt­part­nern" im Mitt­le­ren Osten und Asien waren dem­nach frei er­fun­den. Der frü­he­re Wire­card-Ma­na­ger Oli­ver Bel­len­haus schil­der­te am Mitt­woch aus­führ­lich die Fäl­schung von Ge­schäfts­ver­trä­gen und Um­sät­zen.

1,9 Mil­li­ar­den Euro an­geb­lich nicht auf­find­bar

"Das haben wir uns na­tür­lich aus­ge­dacht", sagte Bel­len­haus am sechs­ten Pro­zess­tag über die Mil­li­ar­den­bu­chun­gen auf Treu­hand­kon­ten in Süd­ost­asi­ens. Auf die ex­pli­zi­te Frage des Ge­richts, ob es das Dritt­part­ner­ge­schäft gab, sagte Bel­len­haus: "Ich ant­wor­te in aller Deut­lich­keit: nein." Der Zah­lungs­dienst­leis­ter hatte im Som­mer 2020 In­sol­venz an­ge­mel­det, weil an­geb­lich auf be­sag­ten Treu­hand­kon­ten ver­buch­te 1,9 Mil­li­ar­den Euro nicht auf­find­bar waren. Die "Dritt­part­ner" waren Fir­men, die ver­meint­lich im Wire­card-Auf­trag Kre­dit­kar­ten­zah­lun­gen in Län­dern ab­wi­ckel­ten, in denen der baye­ri­sche Kon­zern selbst keine ent­spre­chen­de Li­zenz hatte.

Ein­zi­ges Ziel: Täu­schung der Bi­lanz­prü­fer

Ein­zi­ges Ziel sei ge­we­sen, die Bi­lanz­prü­fer zu täu­schen. "Der Wirt­schafts­prü­fer brauch­te was, und dann ent­stand die Panik", sagte Bel­len­haus. "Es war ein Rie­sen­cha­os, es war alles Chaos." Vor­stands­chef Mar­kus Braun habe nie nach­ge­fragt, wenn er – ge­fälsch­te – Ver­trä­ge un­ter­schrieb.

Kre­dit­ge­ben­de Ban­ken mög­li­cher­wei­se um 3,1 Mil­li­ar­den Euro ge­schä­digt

Braun, Bel­len­haus und der ehe­ma­li­ge Lei­ter der Buch­hal­tung sol­len laut An­kla­ge seit 2015 die Wire­card-Bi­lan­zen ge­fälscht und kre­dit­ge­ben­de Ban­ken um 3,1 Mil­li­ar­den Euro ge­schä­digt haben. Di­rekt be­tei­ligt an der Fäl­schung von Ver­trä­gen, Do­ku­men­ten und Um­satz­da­ten waren Bel­len­haus zu­fol­ge unter an­de­rem der seit 2020 un­ter­ge­tauch­te frü­he­re Ver­triebs­vor­stand Jan Mar­sa­lek, der Chef­buch­hal­ter und er selbst.

Ex-Kon­zern­chef sieht sich selbst als Opfer

Wel­che Rolle Braun spiel­te, ist in dem auf über 100 Pro­zess­ta­ge an­ge­setz­ten Ver­fah­ren bis­lang un­klar. Der Ex-Kon­zern­chef hat die Vor­wür­fe über seine Ver­tei­di­ger zu­rück­ge­wie­sen und sieht sich selbst als Opfer der Be­trü­ger in sei­nem Un­ter­neh­men. Im Pro­zess soll der ös­ter­rei­chi­sche Ma­na­ger kom­men­de Woche erst­mals aus­sa­gen.

Ban­ken und In­ves­to­ren sys­te­ma­tisch ge­prellt

Laut An­kla­ge war bei Wire­card eine Bande am Werk, die Ban­ken und In­ves­to­ren sys­te­ma­tisch prell­te. Eine Ver­ur­tei­lung Brauns als Ban­den­chef oder -mit­glied würde vor­aus­set­zen, dass der Vor­stands­vor­sit­zen­de per­sön­lich die Be­trü­ge­rei­en steu­er­te be­zie­hungs­wei­se aktiv mit­wirk­te.

Schwei­gen über kri­mi­nel­le Natur der Ge­schäf­te

Nach Bel­len­haus' Schil­de­rung herrsch­te im Un­ter­neh­men Schwei­gen über die kri­mi­nel­le Natur der Ge­schäf­te: "Nie­mand hat je mit mir (über den Be­trug) ge­spro­chen." Die Er­kennt­nis, dass das Dritt­part­ner­ge­schäft er­fun­den war, kam dem­nach auch ihm selbst erst im Laufe der Jahre. "Das hat sich dann so er­ge­ben." Bel­len­haus hoff­te dem­nach auf eine Rück­kehr in die Le­ga­li­tät, statt­des­sen wur­den laut sei­ner Aus­sa­ge die Phantom­ge­schäf­te immer grö­ßer: "Ir­gend­wann hat man die Kon­trol­le ver­lo­ren, da war es dann ein­fach zu spät."

Un­ter­neh­men konn­te ra­sant stei­gen­de Kos­ten nicht mehr de­cken

Wire­card habe als "Geld­ver­bren­nungs­ma­schi­ne" seit 2013 Ver­lus­te ge­macht, weil das Un­ter­neh­men die ra­sant stei­gen­den Kos­ten nicht mehr de­cken konn­te. "Da gin­gen Mil­lio­nen raus, so schnell kön­nen Sie das gar nicht nach­zäh­len."

Redaktion beck-aktuell, 11. Januar 2023 (dpa).

Mehr zum Thema