Besonders die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen im Strafverfahrensrecht stießen auf unterschiedliches Echo – allem voran der Plan, dass Strafanträge künftig auch elektronisch gestellt werden können sollen. Bereits im Vorfeld ablehnend hatte sich die Bundesrechtsanwaltskammer dazu geäußert. In der Anhörung meldete Richterin am OLG Celle Jana Zapf diesbezügliche Bedenken im Namen des Deutschen Richterbunds an. Richterin am BGH Angelika Allgayer hat indes nichts dagegen einzuwenden. Und die Organisation HateAid, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt, hält die Möglichkeit einer digitalen Strafantragsstellung für unbedingt erforderlich. Die Abschaffung des Schriftformerfordernisses sei ein wichtiger Schritt, um Hürden für Betroffene digitaler Gewalt bei der Rechtsdurchsetzung abzubauen. Sie sei geeignet, die Anzeigebereitschaft zu erhöhen und insgesamt zu mehr Strafverfolgung bei digitaler Gewalt zu führen.
Ähnlich sah dies Jacqueline Sittig vom Deutschen Juristinnenbund. Sie begrüßte die im Entwurf enthaltenen "gleichstellungsorientierten und strafprozessualen Aspekte", die "für einen niedrigschwelligen und gleichberechtigten Zugang zur Strafverfolgung, gerade in Fällen digitaler Gewalt, unabdingbar seien". Allerdings seien weitere Maßnahmen in Bezug auf eine elektronische Anzeigeerstattung erforderlich. Der Juristinnenbund schließe sich den Forderungen nach einer bundeseinheitlichen Möglichkeit der elektronischen Anzeigeerstattung an. In einzelnen Bundesländern gebe es bereits Meldeportale für strafrechtlich relevante Äußerungsdelikte im Internet.
Nicht ganz so gelassen wie auf den digitalen Strafantrag reagierte BGH-Richterin Allgayer auf die geplante Änderung der Strafprozessordnung, soweit regelhaft eine digitale Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung ermöglicht werden soll. Die Revisionshauptverhandlung sei das "Herzstück" des Verfahrens – und sollte von daher weiterhin regelhaft in Präsenz und nur ausnahmsweise digital stattfinden. Hier stimmte ihr Jana Zapf vom DRB zu: Sie warnte vor einer Schwächung der Revisionshauptverhandlung.
Pläne gehen nicht weit genug
Deutlich wurde bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf auch, dass einige Experten die Pläne für nicht ausreichend halten, um die Justiz wirklich zu modernisieren. Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, meinte, bei dem Gesetzentwurf gehe es nur darum, einzelne Punkte anzusprechen, aber nicht den großen Wurf zu machen. Robert Seegmüller, Richter am BVerwG, Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, sprach von kleinen Schritten auf dem Weg zu einer besseren elektronischen Kommunikation.
Für Volker Römermann, Beirat des Legal Tech Verbands Deutschland, greift der Entwurf zu kurz und bringt nicht die gebotene umfassende Digitalisierung. Die konsequente Verwirklichung des Rechtsstaats erfordere einen konsequenteren und mutigeren Schritt. Der Entwurf sei bereits vom Ansatz her inkonsequent, soweit er teilweise vom Misstrauen in die Digitalisierung geprägt sei. Unter anderem seien die vorgeschlagenen Umsetzungsfristen für vertrauliche Aktenbestandteile deutlich zu lang.
Wilfried Bernhardt vom Deutschen EDV-Gerichtstag betonte, dass durch einzelne Änderungen der Prozessrechtsvorschriften allein es nicht gelingen werde, den Reformstau bei der Justizdigitalisierung aufzulösen. Es sei deshalb langfristig unumgänglich, die Prozessordnungen zu modernisieren, um eine bürgernahe, niedrigschwellig zugängliche und moderne Justiz zu fördern und für die Bewältigung umfangreicher und komplexer Verfahren sowie von Massenverfahren nutzbar zu machen.
Hybridaktenführung: "Akzeptabel" bis "sinnvoll"
Bernhard thematisierte auch die Zulassung der Hybridaktenführung in bestimmten Fällen. Dies sei für eine begrenzte Zeit "akzeptabel", da es hier nur um eine Übergangsphase von der Papieraktenführung zur elektronischen Aktenführung gehe. Auch BGH-Richterin Allgayer befürwortet die Möglichkeit einer vorübergehend hybriden Aktenführung, "um drohende Medienbrüche zu vermeiden" – ebenso DAV-Präsidentin Kindermann. Allerdings bleibe man da auch nur bei der E-Akte stehen, so Kindermann. Sie glaube, die Schaffung eines gemeinsamen virtuellen Arbeitsraums zwischen Gerichten, Anwälten und vielleicht auch Beteiligten müsse die große Zielsetzung sein.
BVerwG-Richter Seegmüller gefällt für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Aktenführungsflexibilisierung, da sie die Möglichkeit schaffe, in der Pilotierungsphase Papierakten fortzuführen. Das sei aus Sicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit sinnvoll. Denn sie sei "in der Tat mit vielen Akten belastet", die sukzessive digitalisiert werden müssten, was viele Gerichte vor erhebliche Umsetzungsprobleme stelle.
Elektronische Kündigung von Arbeitsverhältnissen "unsozial und falsch"
Einer anderen geplanten Regelung wandte sich Tim Hühnert, Referatsleiter Recht beim Deutschen Gewerkschaftsbund, zu: Ihm sind die geplanten Änderungen zum Zugang empfangsbedürftiger Willenserklärungen im Hinblick auf Kündigungen im Arbeitsrecht ein Dorn im Auge. Für Kündigungen von Arbeitsverhältnissen sei die Schriftform vorgeschrieben, die elektronische Form ausdrücklich ausgeschlossen. Mit dem Gesetzesentwurf solle diese strikte Form – zumindest im elektronischen Rechtsverkehr – aufgeweicht werden. Die Aufweichung der Formvorschriften für Kündigungen sei in jeglicher Form abzulehnen. Jeder Schritt in diese Richtung sei "unsozial und falsch".
Der Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing von der Universität Bonn verwies darauf, dass sich bei der Digitalisierung zurecht immer wieder die Frage nach dem Datenschutz stelle. Dabei werde er oftmals als Hemmnis statt als Treiber empfunden. Dies sei aber nicht zwingend, denn Datenschutzrecht sei in seiner Grundidee ein Ermöglichungsrecht und kein Verhinderungsrecht. Datenschutz stehe der Digitalisierung nicht entgegen.
Und ganz grundsätzlich merkte DRB-Vertreterin Zapf an, dass der Erfolg der Digitalisierung der Justiz vor allem von einer angemessenen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften abhängen werde. Mehr Geld für die Digitalisierung der Justiz hatte der DRB schon im April gefordert, wenn diese schneller als im Zeitlupentempo voranschreiten solle.