Der Wahltag war damals in vielen Berliner Wahllokalen chaotisch verlaufen: Menschen mussten lange warten und Schlange stehen, Stimmzettel waren falsch oder fehlten ganz. Vorübergehend mussten Wahllokale schließen oder blieben bis weit nach 18.00 Uhr geöffnet. Beim Bundestag wurden 1.713 Einsprüche gegen die Bundestagswahl im Land Berlin erhoben, darunter auch einer des Bundeswahlleiters. Eine "bisher nicht gekannte Zahl", hatte Richter Peter Müller bei der Verhandlung im Juli gesagt.
Im November 2022 beschloss der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP, dass die Wahl teilweise wiederholt wird. Betroffen sein sollten 327 der 2.256 Wahlbezirke der Hauptstadt sowie 104 weitere Wahlbezirke wegen gemeinsamer Briefwahlbezirke. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hält diesen Beschluss für rechtswidrig, unter anderem weil der Bundestag die Wahl in sechs vom Bundeswahlleiter angefochtenen Wahlkreisen nicht insgesamt für ungültig erklärt habe. Aus Sicht der Unionsfraktion müsste die Wahl folglich in mehr Wahlbezirken wiederholt werden.
Genauere Prüfung führt zu Änderungen in wenigen Wahlbezirken
Das BVerfG (Urteil vom 19.12.2023 - 2 BvC 4/23) hat mit seiner Entscheidung nun den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 im Ergebnis überwiegend bestätigt. Die Richterinnen und Richter monieren allerdings, dass der Bundestag das Wahlgeschehen unzureichend aufgeklärt hat, indem er die Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke nicht beigezogen und ausgewertet hatte. Dies hat das BVerfG nun im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachgeholt und für einige Wahlkreise ein abweichendes Ergebnis gegenüber dem Bundestagsbeschluss festgestellt.
So erklärte es die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin einschließlich der zugehörigen Briefwahlbezirke für ungültig. Andererseits hob es auch die Ungültigerklärung der Wahl durch den Bundestagsbeschluss in sieben Wahlbezirken und deren Briefwahlbezirken auf. Daneben führten erst nach der mündlichen Verhandlung bekanntgewordene Besonderheiten der Auszählung von Briefwahlstimmen zur Ungültigerklärung der Bundestagswahl in weiteren sechs Briefwahlbezirken und den sechs mit diesen verbundenen Urnenwahlbezirken.
Wahlfehler schon in der Vorbereitung
Das BVerfG rügt zahlreiche Wahlfehler. Solche habe es bereits in der Vorbereitung der Wahlen gegeben: Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 BWahlO sei die Teilnahme an der Wahl möglichst zu erleichtern. Deshalb hätten in den Wahlräumen ausreichend Wahlkabinen und Stimmzettel vorgehalten werden müssen, um einen möglichst reibungslosen Wahlablauf ohne überlange Wartezeiten zu ermöglichen – insbesondere angesichts der mehrfachen Wahlen am selben Tag. Allerdings begründeten überlange Wartezeiten als solche noch keinen Wahlfehler – anders aber, wenn man – wie hier bei einer Mehrfachwahl – eine Stunde oder länger warten müsse.
Auch bei einer Stimmabgabe nach 18 Uhr sei noch kein Wahlfehler zu sehen, sondern nur dann, wenn Wählerinnen und Wähler noch nach 18 Uhr zur Wahl zugelassen würden. Längere Öffnungszeiten der Wahllokale könnten aber deren unzulängliche Ausstattung indizieren (bei Schließzeiten nach 18:30 Uhr). Der mangelhaften Ausstattung der Wahlräume misst das BVerfG auch Mandatsrelevanz für das Zweitstimmenergebnis zu. Es sei konkret möglich, dass die SPD genügend Zweitstimmen für ein zusätzliches Bundestagsmandat erlangt hätte. Was die Erststimmen anbelange, sei eine Mandatsrelevanz für zwei Wahlkreise gegeben.
Nur Teilwiederholung
Die Wiederholungswahl ist laut BVerfG nach "denselben Vorschriften wie die Hauptwahl" (§ 44 Abs. 2 BWahlG) durchzuführen und damit als Zweistimmenwahl (d. h. mit Erst- und Zweitstimme). Sie sei aber nicht in ganz Berlin zu wiederholen, da es nur in gut 15% der Urnenwahlbezirke Wahlfehler gegeben habe und daher nicht so massive Wahlfehler vorlägen, dass der Fortbestand der so gewählten Volksvertretung unerträglich erscheint.
Dass der VerfGH Berlin anordnete, die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlungen komplett zu wiederholen, sei einer nicht vergleichbaren Sachlage geschuldet gewesen: Dort seien noch andere Wahlfehler (u. a. Verwendung kopierter Stimmzettel) als bei der Bundestagwahl aufgetreten: Zudem habe der VerfGH angenommen, dass die von ihm ausgemachten Wahlfehler 60% der Mitglieder des Abgeordnetenhauses betrafen.
Der letztmögliche Tag wäre der 11. Februar 2024. Es gilt eine Frist von 60 Tagen nach dem Urteil. Diesen Termin hatte der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler schon vor geraumer Zeit genannt. Es ist der letzte Sonntag, bevor nach den Winterferien in Berlin die Schule wieder anfängt. Final ist das Datum aber noch nicht. Der Wahltermin muss im Amtsblatt verkündet werden. Es gilt dann dasselbe Wahlrecht, das auch im ersten Durchlauf 2021 galt. Das Bundesverfassungsgericht hatte erst vor kurzem entschieden, dass die zugrundeliegende Wahlrechtsreform von 2020 verfassungskonform war. Inzwischen wurde das Wahlgesetz zwar noch einmal reformiert, das neue Recht wird aber nicht bei der Wiederholungswahl angewendet.
Eine Wahlprüfungsbeschwerde der AfD-Fraktion, die eine komplette Wiederholung der Wahl in Berlin erreichen wollte, wies das BVerfG schon als unzulässig zurück, weil sie nicht ausreichend begründet gewesen sei (Beschluss vom 19.09.2023 - 2 BvC 5/23).
Berlin-Wahl wurde bereits wiederholt
Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hat der Berliner Verfassungsgerichtshof wegen der Pannen bereits für ungültig erklärt und das mit "schweren systemischen Mängeln" und zahlreichen Wahlfehlern begründet.
Diese Wahl wurde am 12. Februar 2023 komplett wiederholt - mit dem Ergebnis, dass eine schwarz-rote Koalition das Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linken ablöste, das seit 2016 regiert hatte. Ein Eilantrag gegen die Wahlwiederholung war beim BVerfG gescheitert. Eine Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des VerfGH steht noch aus.
(Die Meldung wurde am 19.12.2023 um 15:15h aktualisiert mit einer deutlich ausführlicheren Darstellung der Begründung des BVerfG, jvh)