Bisher mussten alle Notarinnen und Notare ihr Amt mit 70 Jahren aufgeben. Für die Anwaltsnotarinnen und -notare in jenen Bundesländern, die diese Doppelrolle zulassen, ist diese Altersgrenze allerdings verfassungswidrig, wie das BVerfG am Dienstag klargestellt hat (Urteil vom 23.09.2025 – 1 BvR 1796/23). Nach dem 1. Juli 2026 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung vornehmen. Bis dahin bleibt es bei der Altersgrenze, ausgeschiedene Notarinnen und Notare dürfen sich aber noch einmal auf ausgeschriebene Stellen bewerben.
Damit hat der ehemalige Dinslakener Notar Dietrich Hülsemann einen großen Erfolg errungen. Auf seine Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG die entsprechende Vorschrift in der Bundesnotarordnung (BNotO) als verfassungswidrig beanstandet.
Dinslakener Anwaltkämpft um Recht auf Notarsamt
Zum Sachverhalt: Hülsemann ist Rechtsanwalt und war von 1992 bis Ende 2023 Notar in Dinslaken. Er wollte ursprünglich vom zuständigen OLG Köln festgestellt haben, dass sein Amt als Anwaltsnotar nicht mit dem Ablauf des Monats erloschen sei, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet hatte, wie es aktuell noch in §§ 48a, 47 Nr. 2 BNotO vorgesehen ist. Er meint, die 1991 eingeführte Altersgrenze verstoße gegen das Verbot der Altersdiskriminierung, das sich aus Art. 21 GrChr und Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der EU-Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ergebe.
Geschaffen wurde die Altersgrenze damals, um in Deutschland eine geordnete Altersstruktur und damit eine gute Versorgung mit notariellen Dienstleistungen zu ermöglichen. Es sollten auch Notarinnen und Notare aller Altersgruppen zur Verfügung stehen und nicht nur "lebensältere Notare", wie es in der Gesetzesbegründung hieß. Diese Altersgrenze sei angesichts des bestehenden erheblichen Nachwuchsmangels aber nicht mehr gerechtfertigt, argumentierte Hülsemann.
BGH: Altersgrenze bleibt gerechtfertigt
Der Notarsenat des OLG Köln, der für die Notarverfahren in ganz Nordrhein-Westfalen zuständig ist, wies die Klage ab. Zur Begründung führte er aus, nach ständiger Rechtsprechung sei die Altersgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar. Anders als bei einer Zugangsaltersgrenze entfalle die Erforderlichkeit einer Altershöchstgrenze nicht, selbst wenn ein tatsächlicher Bewerbermangel bestehe. Die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit eines Notars, seine Tätigkeit über eine bestimmte Altersgrenze hinaus auszuüben, bestehe auch dann, wenn eine beträchtliche Zahl von Notarstellen unbesetzt bleibe. Einer Überalterung des Berufsstandes entgegenzuwirken, sei auch bei Nachwuchsmangel erforderlich und möglich. Ein etwaiger Nachwuchsmangel mache die Altersgrenze damit noch lange nicht ungerechtfertigt.
Hülsemann hatte vorgetragen, es bestehe ein erheblicher und nachhaltiger Nachwuchsmangel im Anwaltsnotariat, und dazu auch vor dem BVerfG eine gutachterliche Stellungnahme vorgelegt. Das zeige sich unter anderem darin, dass die Zahl der Anwaltsnotare von 9.045 im Jahr 1998 auf knapp rund 4.800 im Jahr 2024 zurückgegangen sei. Alle Notarkammern im Bereich des Anwaltsnotariats hätten starke Rückgänge ihrer Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Trotz eines etwa gleichbleibenden Urkundenaufkommens sei die Zahl der Anwaltsnotarinnen und -notare der Rheinischen und Westfälischen Notarkammern von 2010 bis 2021 um 365 zurückgegangen. Gründe dafür seien der demografische Wandel, die schrumpfende und vergreisende Anwaltschaft und die Einführung der notariellen Fachprüfung. Die Zahl der Prüflinge, die die notarielle Fachprüfung bestanden hätten, reiche bei Weitem nicht aus, um die jährlich ausgeschriebenen Stellen zu besetzen.
Mit dieser Argumentation drang Hülsemann jedoch auch vor dem BGH nicht durch. Dieser wies die Berufung zurück und betonte, auch nach seiner Ansicht sei die Altersgrenze gerechtfertigt und verstoße nicht gegen EU-Recht. Dabei argumentierte der Senat ähnlich wie das OLG Köln. Gegen das Urteil des BGH legte Hülsemann schließlich Verfassungsbeschwerde ein.
BVerfG: Nachwuchsmangel macht Generationengerechtigkeit obsolet
Nach der ausführlichen mündlichen Verhandlung am 25. März haben die Verfassungsrichterinnen und -richter nun die entsprechende Vorschrift der BnotO beanstandet, weil sie die nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit verletze.
Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG hat eine wirtschaftliche und eine auf die Entfaltung der Persönlichkeit bezogene Dimension. Sie konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung sowie der Existenzgestaltung und -erhaltung und zielt auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab.
Die Altersgrenze des vollendeten 70. Lebensjahres nach § 47 Nr. 2 Var. 1, § 48a BNotO erreicht laut dem Ersten Senat die mit ihr verfolgten legitimen Ziele nicht mehr. Wo sie einst die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege und eine gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen gewährleisten sollte, kann sie diesen Zweck in den Augen der Karlsruher Richterinnen und Richter heute nicht mehr erfüllen.
Es handele sich um einen Eingriff von erheblichem Gewicht, führte das BVerfG in seinem Urteil aus. Diesem stünden zwar Gemeinwohlbelange von ebenfalls erheblichem Gewicht gegenüber – nämlich die Funktionstüchtigkeit des Notariats und das arbeitsmarkt- und sozialpolitische Ziel des Gesetzgebers, die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen. Doch die Altersgrenze könne im Bereich des Anwaltsnotariats nur noch zu einem geringen Grad zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen, weil in zahlreichen Regionen des Anwaltsnotariats ein Bewerbermangel bestehe, infolgedessen alle Bewerber und Bewerberinnen zum Zuge kämen, die die gesetzlichen Voraussetzungen für das Anwaltsnotariat erfüllten – und dennoch blieben Stellen unbesetzt. Diese Entwicklung, so der Senat, habe sich in den vergangenen Jahren verfestigt; Aussicht auf eine künftige Änderung dieser Verhältnisse bestehe nicht. Das Maß der Grundrechtsbeeinträchtigung stehe damit in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu den deutlich reduzierten Vorteilen, die dem Gemeinwohl erwüchsen.
Wenn man mit 70 Bundeskanzler sein kann, kann man auch als Notar arbeiten
Auch das Argument, dass im Alter die Fähigkeiten nachließen, ließ das BVerfG nicht gelten. Denn die Altersentwicklungen seien, so auch die Sachverständigen im Verfahren, von der konkreten Person abhängig und ließen keine verallgemeinerungsfähigen Zusammenhänge zwischen dem Lebensalter und der beruflichen Leistungsfähigkeit im Bereich des Notariats erkennen.
Nach der Entscheidungsverkündung meldete sich sogleich die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, zu Wort und stimmte mit dem BVerfG überein: "Das Bundesverfassungsgericht sendet mit dieser Entscheidung ein ganz wichtiges Signal gegen Altersdiskriminierung", so Ataman. "Pauschale Altersgrenzen im Arbeitsleben müssen nun generell auf den Prüfstand." Es komme darauf an, "was Menschen drauf haben – und nicht, wie alt sie sind." Wenn man mit 70 Jahren als Bundeskanzler Verantwortung tragen könne, müsse dies auch für Notarinnen und Notare gelten.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes war an dem Verfahren des BVerfG als sachkundige Dritte beteiligt und hatte in der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abgegeben.
Kommt nun das flächendeckende Nur-Notariat?
Die für mit der Verfassung unvereinbar erklärten Regelungen der Bundesnotarordnung gelten bis zum 30. Juni 2026 fort; anschließend sind sie nicht mehr anwendbar. Diese Unvereinbarerklärung vermeide gravierende kurzfristige Probleme für das Notariat, meint der Senat. Der vorgesehene Zeitraum erlaube nun dem Gesetzgeber eine Neuregelung, bei der er auf erhebliche Spielräume für eine verfassungskonforme Ausgestaltung zurückgreifen könne.
Das Urteil der Verfassungsrichterinnen und -richter wird auf das deutsche Notariat erhebliche Auswirkungen haben und setzt den Gesetzgeber durchaus unter Zeitdruck. Denn schon nach der mündlichen Verhandlung, nach der es schon zweifelhaft erschien, ob die Regelung halten werde, hatten Überlegungen begonnen, ob es nicht sinnvoll sei, in ganz Deutschland auf das Nur-Notariat umzustellen. Dies war nach der Wiedervereinigung zwar diskutiert worden, hatte sich aber nicht durchgesetzt. Das Thema wird man jetzt wieder aufgreifen müssen, denn nach den Ausführungen des Verfassungsgerichts dürften bei einem freien Beruf Altersgrenzen kaum mehr durchsetzbar sein. Bei einem reinen öffentlichen Amt, wie bei einem Nur-Notar, ist dies aber weiterhin möglich.
Für den Beschwerdeführer Hülsemann bleibt der Erfolg in Karlsruhe indes ein Pyrrhussieg. Denn angesichts der Übergangsfrist, die Karlsruhe dem Gesetzgeber gewährt, bleibt ihm sein alter Beruf auch weiterhin verschlossen.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und ehemaliger Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge u.a. zu berufsrechtlichen Themen.


