Altersgrenze für Anwaltsnotare: Die 70 wackelt
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In Zeiten des demografischen Wandels könnte die starre Altersgrenze von 70 Jahren jedenfalls für Anwaltsnotare verfassungswidrig geworden sein. Obwohl ein 71-jähriger Ex-Notar im Eilverfahren erfolglos war, hat das BVerfG nun Zweifel an der Regelung angemeldet. Martin W. Huff hat die mündliche Verhandlung verfolgt.

Das BVerfG hat am heuten Dienstag erstmals mündlich über eine berufsrechtliche Frage der rechtsberatenden Berufe verhandelt. Der Erste Senat diskutierte intensiv, ob die seit 1991 ausnahmslos geltende Altersgrenze von 70 Jahren für Notarinnen und Notare noch verfassungsgemäß ist (Az. 1 BvR 1796/23). In Zeiten des demographischen Wandels, mit immer weniger Bewerbern für das Notaramt, steht das gerade für Anwaltsnotare nicht zweifelsfrei fest, wie aus der Verhandlung klar wurde.

Geschaffen wurde die Altersgrenze 1991, um eine geordnete Altersstruktur und damit eine Versorgung mit notariellen Dienstleistungen zu ermöglichen. Es sollten Notare aller Altersgruppen zur Verfügung stehen und nicht nur "lebensältere Notare", wie es in der Gesetzesbegründung zu §§ 48a, 47 Nr. 2 BNotO heißt. Der 71-jährige Dietrich Hülsemann, 1992 bis Ende 2023 Notar in Dinslaken, sieht sich indes von der Regelung in seinen Rechten aus Art. 21 Grundrechtecharta und aus Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der EU-Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verletzt, da ihn die Regelung aufgrund seines Alters diskriminiere.

Die Altersgrenze sei angesichts des bestehenden erheblichen Nachwuchsmangels nicht (mehr) im Sinn von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt, argumentierte Hülsemann. Vor dem Notarsenat des OLG Köln und schließlich auch vor dem BGH hatte er keinen Erfolg mit seiner Klage gehabt. Gegen das Urteil des BGH hat er Verfassungsbeschwerde eingelegt. Den Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte das BVerfG zwar mit einem ausführlich begründeten Beschluss abgelehnt, jetzt im Hauptsacheverfahren fragt es aber doch noch einmal genauer nach. Eine Entscheidung gibt es noch nicht.

Altersforscher: Kein Grund für eine starre Grenze

Die Verfassungsrichter nutzten die dreistündige mündliche Verhandlung am Dienstag für viele Fragen. Es wurde deutlich, dass der Senat doch Zweifel daran hat, dass die Regelung ohne jede Ausnahme keine Altersdiskriminierung darstellt. In Zeiten, in denen es für viele Stellen im Anwaltsnotariat keine Bewerber mehr gibt, ist durchaus denkbar, dass eine ausreichende verfassungsrechtliche Rechtfertigung fehlen könnte.

Dabei entstehen die Zweifel zum einen aus der Tatsache, dass ältere Notarinnen und Notare ihr Urkundenvolumen für Jüngere zur Verfügung stellen sollen, um deren berufliche Chancen zu verbessern. Zum anderen auch daraus, dass die geriatrische Forschung – auch bekannt als Altersforschung – keine Rechtfertigung für eine starre Altersgrenze sieht. So stellte Prof. Dr. Hans-Peter Wahl von der Universität Heidelberg klar, dass 75-Jährige heute so "fit" seien, wie noch vor 20 Jahren 56-Jährige. Für eine starre Altersgrenze sah der Experte heute keinen Grund mehr.

Versorgung sicherstellen: Nur mit Flexibilität beim Alter?

Die Parteien stritten vor allem über die Fragen der Bedarfsplanung für Anwaltsnotare. Das Bundesjustizministerium und die Bundesnotarkammer verteidigen vehement die Altersgrenze. Der Vertreter Hülsemanns, der Bonner Professor Gregor Thüsing, wandte jedoch ein, dass es zur Versorgung der Bevölkerung mit notariellen Dienstleistungen keiner Altersgrenze bedürfe, sondern eher umgekehrt, dass es Notarstellen gebe, die nicht besetzt werden könnten. Damit sei die Grundlage für die Altersgrenze entfallen, die das BVerfG 1991 noch gehalten hatte.

Diskutiert wurde auch die Frage, wie weit Art. 12 GG hier reichen kann. Thüsing forderte dabei eine flexible Grenze, etwa bezogen auf den jeweiligen Bedarf. Gilt der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers hier auch weiterhin, wurde hinterfragt. Fragen des Gerichts zu den Berechnungsgrundlagen von Notarstellen verbunden mit der Altersgrenze zeigten, dass die Verfassungsrichter hier zumindest ein Störgefühl haben.

OLG und BGH hatten keine Bedenken

Das BVerfG verhandelt aktuell in der Hauptsache, nachdem Hülsemann im Oktober 2023 bereits mit einem Eilantrag gescheitert war. Der Notar hatte sich damals gegen ein Urteil des BGH gewehrt, der die Altersgrenze – wie vor ihm das OLG Köln – gebilligt hatte. Dabei hatte sich der BGH der ausführlichen Begründung des Notarsenats des OLG im Ergebnis angeschlossen. Dieser hatte ausgeführt, nach ständiger Rechtsprechung sei die Altersgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar. Eine Vorlage an den EuGH sei nicht veranlasst. Die Altersgrenze diene einem legitimen Ziel im Sinne der Richtlinie, weil sie darauf gerichtet sei, hinsichtlich der Berufsgruppe Notare die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen. Die Nachteile für die vom Erlöschen ihres Amts betroffenen Notare seien gegenüber den Belangen einer vorsorgenden Rechtspflege angemessen und erforderlich.

Einer Überalterung des Berufsstandes entgegenzuwirken, sei auch bei Nachwuchsmangel erforderlich und möglich, hatte das OLG weiter zur Zufriedenheit des BGH argumentiert. Die Rechtfertigung für die Altersgrenze werde daher durch einen Bewerbermangel nicht aufgehoben. Auch dort, wo ein Bewerbermangel anzutreffen sei, träten keine erkennbaren Beeinträchtigungen der Bevölkerung mit Angeboten im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege auf. Es sei allenfalls ein punktueller Bewerbermangel anzutreffen. Welche Maßnahmen der Gesetzgeber ergreife, um einen Nachwuchsmangel zu beheben, falle in sein weites Ermessen.

Gleiches Urkundenaufkommen, rückläufige Notarzahlen

Dabei hatte der Notar unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme vorgetragen, es bestehe ein erheblicher und nachhaltiger Nachwuchsmangel im Anwaltsnotariat. Das zeige sich unter anderem darin, dass die Zahl der Anwaltsnotare von 9.045 im Jahr 1998 auf 4.997 im Jahr 2022 zurückgegangen sei. Alle Notarkammern im Bereich des Anwaltsnotariats hätten starke Rückgänge ihrer Mitgliederzahlen zu verzeichnen. Trotz eines etwa gleichbleibenden Urkundenaufkommens sei die Zahl der Anwaltsnotare der Rheinischen und Westfälischen Notarkammern von 2010 bis 2021 um 365 zurückgegangen.

Gründe dafür seien der demographische Wandel, die schrumpfende und vergreisende Anwaltschaft und die Einführung der notariellen Fachprüfung. Die Zahl der Prüflinge, die die notarielle Fachprüfung bestanden hätten, reiche bei Weitem nicht aus, um die jährlich ausgeschriebenen Stellen zu besetzen.

BVerfG entscheidet: Müssen die Älteren Platz machen?

Klar wurde in der mündlichen Verhandlung am Dienstag jedoch auch, dass nicht erwiesen ist, ob es tatsächlich genug Bewerber für das Notaramt gibt oder nicht. Wegen dieser fehlenden Grundlage blieben viele Streitpunkte: Welche Planungssicherheit brauchen junge Notare? Welche Investitionen müssen sie einplanen? Und es wurde auch um die Frage gestritten, ob ein älterer Notar wirklich seine Urkunden "frei machen muss", damit jüngere Notarinnen und Notare davon profitieren können.

So oder so: Wenn die Verfassungsrichter an die Regelung der Bundesnotarordnung herangehen und Verfassungsrecht verletzt sehen, dann wohl nur bei den Anwaltsnotaren. Bei den Nurnotaren sieht die Marktlage völlig anders aus. Es könnte durchaus eine Entscheidung weg von der starren Altersgrenze hin zu einer Bedarfsprüfung geben. Möglich ist aber auch, dass das Gericht die Regelung hält, aber dem Gesetzgeber Empfehlungen im Hinblick auf notwenigen Anpassungen gibt. Eine Entscheidung des Gerichts wird noch einige Monate dauern.

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in Singen (Hohentwiel) und ehemaliger Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln. Er veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge u.a. zu berufsrechtlichen Themen.

Gastbeitrag von Martin W. Huff, 25. März 2025.

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