Wer in Großbritannien als Solicitor arbeiten möchte, muss das Solicitors Qualifying Exam ("SQE") ablegen, das aus zwei Prüfungen besteht. Im SQE1 wird in erster Linie das juristische Fachwissen abgefragt. Die Prüfung besteht aus zwei umfangreichen Multiple-Choice-Tests. Geprüft wird sogenanntes Functioning Legal Knowledge, also die Fähigkeit, rechtliches Wissen praktisch anzuwenden. Anders als im SQE1, das auf reines Fachwissen fokussiert ist, prüft das SQE2 vor allem die praktischen juristischen Fertigkeiten. Getestet werden unter anderem Mandantengespräche, schriftliche Stellungnahmen, Vertragsgestaltung sowie Advocacy (mündliches Verteidigen).
Gegenüber der Zweiten juristischen Staatsprüfung ergeben sich zum SQE1 dabei große Unterschiede. Bereits das Prüfungsumfeld ist ein völlig anderes: Es beginnt mit der Anreise zum Testzentrum, das über zahlreiche kostenlose Parkmöglichkeiten verfügt. In welchem Zentrum man die Prüfung ablegt, kann man aus einer europaweiten Liste wählen. Auch das Testzentrum an sich ist einladend und erinnert eher an die Räumlichkeiten einer Kanzlei. Alles ist modern eingerichtet, es gibt sogar eine Kaffeeküche und eine gemütliche Sitzecke. Was jedoch einen noch größeren Unterschied macht, ist das Personal an der Rezeption. Man wird freundlich begrüßt und der Registrierungsprozess wird in aller Ruhe erklärt. Dabei ist es einem sogar selbst überlassen, mit dem Test zu beginnen, wann auch immer man bereit ist.
Kostenloser Kaffee vs. überflutete Toiletten
Im Gegensatz dazu finden die deutschen Staatsexamina meistens in den Räumlichkeiten von Gerichten oder in angemieteten Hallen statt. In welchem baulichen Zustand sich die Räume befinden, ist dabei Glückssache – so musste in Bielefeld beispielsweise eine Examensklausur wegen einer überfluteten Toilette abgebrochen werden. In Düsseldorf mussten die Examenskandidatinnen und Examenskandidaten Dixi-Klos benutzen.
Auch der Ablauf der Prüfung in Großbritannien ist ein ganz anderes Erlebnis: Im Raum befinden sich nur einige wenige Mitprüflinge, es werden Ohrstöpsel zur Verfügung gestellt und der Computer funktioniert einwandfrei. In Großbritannien gibt es bereits flächendeckend das E-Examen, während einige Bundesländer in Deutschland die Umstellung auf Klausuren am PC noch immer testen. Die britische Prüfung ist in zwei zweieinhalbstündige Abschnitte mit einer Pause aufgeteilt. Es herrscht durchweg eine wohlwollende und entgegenkommende Atmosphäre – man ist Kunde, nicht Last.
Der Vergleich zum Justizprüfungsamt in Düsseldorf: Parken ist vor Ort nur gegen eine Gebühr möglich, jedoch maximal zwei Stunden bei einer Schreibdauer von fünf Stunden. Natürlich kann man auf den ÖPNV ausweichen, sofern man dies mit einem schweren Koffer voller Gesetzestexte unternehmen möchte. Mitprüflinge, die sich dennoch für das eigene Auto entscheiden, werden im besten Fall kurz vor Prüfungsbeginn plump darauf hingewiesen, ihr Auto werde jetzt abgeschleppt. Kaffee? Fehlanzeige! Auch für die Aufsicht keine leichte Zeit, wie sich am Tonfall erkennen lässt.
Ein weiteres Highlight in den deutschen Staatsexamina: Abtast-Manöver mit Metalldetektoren. Daneben werden die zahlreichen PC-Pannen, die sich die Justizprüfungsämter zuletzt geleistet haben, inzwischen als traurige Realität akzeptiert. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass man keinerlei Verständnis für die belastende Situation der Prüflinge hat. All diese zusätzlichen Umstände erschweren es den Kandidatinnen und Kandidaten, sich ausschließlich auf die eigentliche Prüfung zu konzentrieren.
Jura in objektive Multiple-Choice-Fragen verpackt
Beim SQE1 muss man an zwei Tagen jeweils 180 Multiple-Choice-Fragen beantworten – das scheint, verglichen mit dem deutschen Staatsexamen, zunächst unvorstellbar. Häufig wird der Multiple-Choice-Anteil im britischen Examen von vielen Juristinnen und Juristen sogar belächelt.
Doch geht es im SQE1 gerade nicht um Fragen, wie: "Wo ist der Mietvertrag geregelt?". Stattdessen enthält jede der 180 Fragen einen Text mit einem kleinen Fall, auf den man die gelernten Prinzipien schnell anwenden muss, bevor man sich für eine Lösung entscheidet. Dabei sind viele der Alternativantworten auch richtig, nur eben etwas weniger passend; es zählt die "best answer". Man muss das Gelernte also verstehen und anwenden können. Natürlich verbleiben auch hier Unsicherheiten, wenn etwas schwammig formuliert ist oder zwei Antworten sehr nah beieinander liegen. Aber es ist ein sehr objektives Verfahren, und das ist etwas, was das deutsche System wirklich vermissen lässt. So hat die Studie von Clemens Hufeld an der LMU München erhebliche Notenabweichungen in der Bewertung ein und dieselben Arbeiten aufgezeigt – im SQE1 kann das nicht passieren.
Möglicherweise ist das Common-Law-System besser für dieses Format geeignet, denn es besteht vorwiegend aus rechtlichen Prinzipien und case law, statt aus festgeankerten Vorschriften. Das SQE1 prüft Grundwissen jedenfalls effektiv ab. Im Gegensatz zu den deutschen Staatsexamina hängt dabei nicht alles von einer vorgegebenen Lösungsskizze ab, bei der – je nach subjektiver Präferenz und Laune der Prüferinnen und Prüfer – andere Wege unberücksichtigt bleiben.
Aufmunternde SMS vor der Prüfung
Ein wesentlicher Unterschied besteht auch beim Umfang des abgefragten Stoffs. Zwar erstreckt sich die zweitägige Prüfung auf alle Rechtsgebiete inklusive des jeweiligen Prozessrechts. Mithilfe eines "Prep Course" lassen sich die Grundlagen aber, je nach Vorwissen, in relativ kurzer Zeit auffrischen. Vergleichbar mit einem privaten Repetitorium bereitet der Kurs nicht nur inhaltlich auf die Prüfung vor, sondern bietet auch sämtliche taktische Erwägungen zum Multiple-Choice-Format an. Eine weitere Besonderheit: Neben den Lectures werden auch zahlreiche Tipps rund um das mentale Wohlbefinden und zur Stressbewältigung angeboten. So versenden manche Kursanbieter am Tag vor der Prüfung aufmunternde SMS mit einer motivierenden Nachricht. Man stelle sich das mal von den Justizprüfungsämtern vor.
In Großbritannien unterscheidet man zudem zwischen dem Beruf des Barristers und dem des Solicitors. Ein Solicitor befasst sich in erster Linie mit außergerichtlichen Rechtsangelegenheiten, wie der Beratung von Mandantinnen und Mandanten und der Vorbereitung des Gerichtsprozesses. Ein Barrister ist hingegen auf die Vertretung von Mandantinnen und Mandanten vor Gericht spezialisiert. Das zeigt sich auch beim praxisnahen Prüfungsstoff des SQE1. Man lernt nicht nur die ethischen Grundsätze der Mandantenberatung, sondern auch die Verbuchung von Mandantengeldern, die Bewältigung von Interessenkonflikten und Wissen zum Geldwäschegesetz.
Für deutsche Anwältinnen und Anwälte attraktiv: Die Doppelzulassung
Das SQE ist ein relativ neues System, das Ende 2021 in Großbritannien eingeführt wurde. Für in Deutschland zugelassene Anwältinnen und Anwälte eröffnet es mit verhältnismäßig kleinem Aufwand eine Tür zum Common Law – einem Rechtssystem, das in großen Teilen der Welt Anwendung findet (Großbritannien, USA, Australien, Indien usw.).
Die Voraussetzungen für eine anwaltliche Zulassung in Großbritannien sind dabei, anders als der hier unausweichliche Weg über das zweite Staatsexamen, flexibel. Man benötigt ein abgeschlossenes Studium, die deutsche anwaltliche Zulassung, das bestandene SQE1, ausreichende Sprachkenntnisse und persönliche Eignung. Die erforderlichen zwei Jahre praktischer Erfahrung und das SQE2 werden aufgrund der deutschen juristischen Ausbildung anerkannt.
Die Vorteile einer doppelten Zulassung liegen dabei auf der Hand: Sie ermöglicht nicht nur den direkten Vergleich zum anderen Rechtssystem und erweitert damit die eigene Perspektive. Sie ist zudem, insbesondere seit dem Brexit, für grenzüberschreitende Mandate außerhalb der EU von Vorteil. Kritisiert wird das SQE dabei lediglich für die verhältnismäßig hohen Kosten der Vorbereitung und der eigentlichen Prüfung. Auch äußern jüngst vermehrt Stimmen in Großbritannien, die Prüfung sei zu belastend. Das liegt, wenn man die deutschen Staatsexamina hinter sich hat, aber wohl im Auge des Betrachters.
Barbora Prokop ist Associate im Düsseldorfer Büro von Bird & Bird LLP und auf Intellectual Property und Patent Law spezialisiert. Sie hat im September 2025 das SQE1 bestanden.


