Es gibt diese Fragen, die Jahre oder gar Jahrzehnte lang nicht gestellt werden, und dann Erstaunen ernten, wenn es jemand erstmalig tut: "Warum hat das bisher noch niemand hinterfragt?". Eine solche Frage könnte sein: Auf welcher Grundlage führen die juristischen Prüfungsämter vor den Examensklausuren eigentlich Kontrollen auf verbotene Hilfsmittel durch? So werden alle möglichen staatlichen Maßnahmen, die mit auch nur geringen Grundrechtseingriffen einhergehen, früher oder später gerichtlich überprüft. Ausgerechnet eine Maßnahme gegen angehende Juristinnen und Juristen ist bislang aber – soweit ersichtlich – nicht hinterfragt worden. Gut möglich, dass es viel mit der Stresssituation des Examens und dem Augen-zu-und-durch-Gefühl vieler Kandidatinnen und Kandidaten zu tun hat.
In den meisten, wenn nicht allen Bundesländern ist es schließlich seit Jahren üblich, dass im Rahmen der schriftlichen Examensprüfungen vorab Kontrollen durchgeführt werden. Hierzu werden die Prüflinge meist von Justizbediensteten mit einem Metalldetektor gescannt, um etwa Handys oder andere verbotene Hilfsmittel aufzuspüren. Wie die Kontrollen ablaufen, ist je nach Bundesland und ggf. auch zuständigem Prüfungsamt unterschiedlich.
Kontrolle vor 300 Menschen: "Stigmatisierend und demütigend"
In Bayern ist nun erstmals ein Fall bekannt geworden, in dem ein Examenskandidat juristisch gegen die Kontrollen vorgegangen ist. Der junge Mann, der nach seinem Jurastudium in München vom 10. bis zum 17. September seinen Verbesserungsversuch schrieb, schildert gegenüber beck-aktuell seine Erfahrung. An einem Prüfungstag seien von rund 300 im Raum anwesenden Prüflingen acht zufällig ausgewählt und aufgefordert worden, sich von ihren Plätzen zu erheben, um dann von Justizbediensteten mit Metallscannern abgesucht und schließlich teilweise manuell abgetastet zu werden. Eine Person habe dabei auch ihren Gürtel öffnen müssen.
Er selbst war von den Kontrollen nach eigenem Bekunden nicht betroffen, empfand die Prozedur aber als "stigmatisierend" und "demütigend" und beschloss, sich dem nicht unterziehen zu wollen. Er hinterlegte noch vor Beginn der Klausur seine Beschwerde bei der Aufsicht. "Man befindet sich ohnehin in einem Ausnahmezustand, hat wenig geschlafen und will es einfach hinter sich bringen", beschreibt der Jurist den Gemütszustand der vermutlich meisten Examenskandidatinnen und -kandidaten. Sich dann vor allen anderen aufstellen zu müssen, um sich kontrollieren zu lassen, steigere das ohnehin hohe Stresslevel zusätzlich. Hinzu komme die Sorge, man könne aufgefordert werden, etwas aus seinen Taschen zu holen. "Dann sieht man vor allen wie ein Betrüger aus, selbst wenn es nichts Verbotenes ist."
Gerichte verweigern vorbeugenden Rechtsschutz
Gleichwohl fürchtete der Examenskandidat, er könne prüfungsrechtlich belangt werden, wenn er eine solche Kontrolle verweigerte. Nach einer Anfrage an das bayerische Justizministerium, das u.a. bestätigte, dass solche Kontrollen seit 2013 regelmäßig durchgeführt würden, wandte er sich noch am gleichen Tag an das VG München und beantragte eine einstweilige Anordnung. Man solle ihn nicht von den Prüfungen ausschließen, wenn er sich weigere, sich einer anlasslosen Durchsuchung – insbesondere am Körper – zu unterziehen.
Dies lehnte das VG am nächsten Tag ab. Es fehle an einem qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis für den begehrten vorbeugenden Rechtsschutz. Vor allem, argumentierte die Kammer in dem Beschluss, der beck-aktuell nebst anderen Verfahrensdokumenten vorliegt, sei es ihm zuzumuten, zunächst einmal zu den Klausuren anzutreten und danach gegen eine etwaige Entscheidung des Prüfungsamts vorzugehen. Mit dem Eintritt irreversibler Folgen sei schließlich nicht zu rechnen.
Die Kammervorsitzende hatte zudem eine telefonische Auskunft des Prüfungsamts eingeholt, in der man zugesichert habe, dass der Kandidat – auch wenn er die Kontrolle verweigern würde – erst einmal mitschreiben dürfte und erst im Nachgang entschieden werde, ob man prüfungsrechtliche Konsequenzen ziehen werde. Diese Anfrage, so die Kammer, hätte er selbst stellen können, bevor er die Gerichte bemühte. Der Examenskandidat sieht das ein wenig anders. Zwar sei vorab ein Merkblatt verschickt worden, in dem auf etwaige Metalldetektor-Kontrollen hingewiesen worden sei, jedoch habe er nur mit einem Scanner am Eingang gerechnet und nicht mit der exponierenden Prozedur unmittelbar vor Beginn der Schreibzeit.
Im Rahmen seine Beschwerde zum VGH München verlangte der Prüfling sodann nicht nur, die Klausuren auch ohne Kontrolle schreiben zu dürfen, sondern auch, dass diese nicht mit null Punkten bewertet werden dürften. Dies brachte im Ergebnis wieder keinen Erfolg, da der Gerichtshof seinen Antrag weiterhin mangels qualifizierten Rechtschutzbedürfnisses für unzulässig befand. Auch ein anschließender Eilantrag ans BVerfG wurde lediglich mit einem Aktenzeichen beschieden. Die weiteren Klausuren, an denen der bayerische Prüfling teilnahm, verliefen dann auch ohne Stichproben-Kontrollen.
Kontrollen ohne Grundlage?
Was bleibt, ist die Frage, was gewesen wäre, wenn. Die Gerichte sind der Ansicht, dass es eine bloß hypothetische Annahme sei, dass Prüflinge, die sich den Kontrollen verweigerten, null Punkte bekämen. Der Kandidat aus Bayern sieht das anders: "In dem Merkblatt des Prüfungsamts heißt es, die Verweigerung einer Kontrolle sei grundsätzlich als Unterschleif zu bewerten und Unterschleif bedeutet laut § 11 der Prüfungsordnung zwangsläufig null Punkte". Auch hätten die Gerichte seiner Meinung nach versucht, die Intensität des Grundrechtseingriffs zu relativieren, indem sie Vergleiche mit allgemeinen Einlasskontrollen an Flughäfen und Gerichtsgebäuden zogen. "Da wird man aber doch nicht vor den Augen von 300 Leuten gleichzeitig kontrolliert."
"Ich finde, das ganze Verfahren zeigt gut, wie wenig Gedanken sich die Prüfungsämter um die Rechte der Prüflinge machen und wie man sich dagegen kaum wehren kann", meint der Prüfling. Die Aussicht, eine Kontrolle zunächst einmal zu verweigern, um im nachträglichen Rechtschutz ggf. eine Bewertung mit null Punkten oder einen Punktabzug anfechten zu können, erscheine ihm nicht als zumutbarer Weg.
In der Sache sieht er vor allem das Problem, dass es keine taugliche Rechtsgrundlage für die Kontrollen gebe. Außerdem seien die Kontrollen kaum geeignet, Täuschungsfälle aufzudecken, und könnten weniger invasiv in einem Nebenraum des Prüfungssaals durchgeführt werden. Die bayerische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) sieht in der Tat keine explizite Ermächtigungsgrundlage dafür vor. Das Justizprüfungsamt stützte die Maßnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf § 7 Abs. 4 S. 1 JAPO, die Norm ist gleichwohl eher eine Generalklausel: "Das vorsitzende Mitglied hat für die Durchführung der Staatsprüfungen zu sorgen und kann die für ihren ordnungsgemäßen Ablauf erforderlichen Anordnungen treffen." Dies reiche aber aus, meint die Behörde, da die Eingriffsintensität "bei bloßen Metalldetektor-Kontrollen ohne körperliche Durchsuchung – auch wenn sie vor den Augen Dritter vorgenommen werden – im untersten Bereich" liege. Zudem sei zu berücksichtigen, dass nur bei konkreten Verdachtsmomenten eine körperliche Berührung im Sinne eines manuellen Abtastens erfolge. Die Kontrollen seien notwendig, um die Chancengleichheit unter den Examenskandidatinnen und -kandidaten zu wahren, und daher auch verhältnismäßig.
Ob dies so ist oder nicht, wurde nun nicht mehr entschieden. Auch die Frage, welche prüfungsrechtlichen Konsequenzen es nach sich gezogen hätte, falls jemand die Kontrolle vor der Klausur verweigert hätte, bleibt offen. Vielleicht werden diese Fragen in Zukunft noch einmal geklärt, falls sich wieder jemand finden sollte, der sie stellt.