Klimaaktivistin zu bislang höchster Haftstrafe verurteilt

Das AG Tiergarten hat eine Klimademonstrantin nach Straßenblockaden zu acht Monaten Haft verurteilt. Weil die 41-Jährige im Prozess angegeben hatte, weiter protestieren zu wollen, sah das Gericht keine günstige Sozialprognose. Diese wäre für eine Bewährungsstrafe erforderlich.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte nur eine Geldstrafe von insgesamt 1.350 Euro (90 Tagessätze à 15 Euro) gegen die Frau beantragt, die nach eigenen Angaben arbeitsuchend im sozialen Bereich ist. Das Gericht ging jedoch darüber hinaus und verhängte eine Freiheitsstrafe. Es befand die Aktivistin der Nötigung, der versuchten Nötigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte für schuldig. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Nach Angaben der Letzten Generation ist es die bislang höchste Strafe, die gegen ein Mitglied der Protestgruppe wegen Sitzblockaden ausgesprochen wurde. 

Die Gruppierung setzte unterdessen ihren Protest in der Hauptstadt mit etwas veränderter Strategie fort. Statt sich auf die Straße zu setzen oder festzukleben, hielten Demonstrantinnen und Demonstranten sogenannte Laufblockaden ab und gingen mit Bannern vor dem Verkehr her. Autofahrer wurden so dazu gebracht, in Schrittgeschwindigkeit hinterherzufahren. Die Polizei sprach von insgesamt etwa 38 Aktionen stadtweit.

"Vereinzelt konnten wir Proteste verhindern", sagte ein Polizeisprecher. Die Polizei war seinen Angaben zufolge in der Spitze mit knapp 600 Einsatzkräften unterwegs, um die Blockaden zügig aufzulösen. Sie setzt inzwischen verstärkt Beamte in Zivil ein, die zunächst nicht von Passanten zu unterscheiden sind – und dann schnell zugreifen, wenn es zu Aktionen kommen soll.

Berlins Bürgermeister Wegner warnt vor Selbstjustiz der Autofahrer

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner forderte Autofahrer auf, nicht die Nerven zu verlieren. "Selbstjustiz ist nicht die richtige Antwort. Wir müssen jetzt Ruhe bewahren", sagte der CDU-Politiker bei der Plenarsitzung im Landesparlament. "Ich mache keine Unterschiede. Wenn Straftaten ausgeübt werden, müssen sie sanktioniert werden", betonte er.

Zugleich übte er scharfe Kritik an der Letzten Generation. "Die Stimmung auf den Straßen Berlins hat eine neue Stufe erreicht. Die Berliner sind richtig genervt", sagte Wegner. "Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass Polizei und Justiz Hand in Hand handeln und zeigen, der Rechtsstaat meint es ernst", sagte Wegner.

Auch die Polizei bat Verkehrsteilnehmer, bei Staus und Behinderungen Ruhe zu bewahren. "Unsere Kolleginnen und Kollegen werden bestmöglich versuchen, die rechtswidrigen Aktionen mit rechtsstaatlichen Mitteln vorher zu unterbinden beziehungsweise schnellstmöglich zu beenden", erklärte die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Von der Polizei hieß es, am Tempelhofer Damm hätten Autofahrer Demonstranten attackiert. Weitere Vorfälle seien zunächst nicht gemeldet worden, sagte der Polizeisprecher. Bereits am Montag zum Auftakt der erneuten Aktionen in der Hauptstadt waren einzelne Autofahrer handgreiflich geworden. Ein Autofahrer, der im Stau stand, griff zum Pfefferspray.

Mehr als 270 Strafanzeigen seit Wochenbeginn - Protest bei Berliner Marathon möglich

Nach Angaben der Letzten Generation ist die Absicht der Aktion, an vielen Stellen der Stadt sichtbar zu sein. Pro Blockadegruppe seien fünf bis acht Demonstrantinnen und Demonstranten unterwegs gewesen. Die Aktivisten fordern ein Ende der Nutzung von fossilen Energieträgern.

Bislang ließ die Klimaschutzgruppe offen, ob sie auch beim Berliner Marathon an diesem Wochenende protestieren will. Veranstalter und Polizei hatten am Montag betont, auf einen reibungslosen Ablauf zu hoffen. Mögliche Störungen seien aber nicht auszuschließen. Die Polizei ist nach eigenen Angaben mit 650 Kräften im Einsatz.

Seit Wochenbeginn haben die erneuten Straßenblockaden nach ersten Angaben der Polizei zu mehr als 270 Strafanzeigen geführt. Überwiegend gehe es um Nötigung im Straßenverkehr, teils auch um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat nach eigenen Angaben bislang rund 2.460 Verfahren (Stand: 15. September) gegen Mitglieder der Letzten Generation auf den Tisch bekommen. Es gebe inzwischen 74 rechtskräftige Urteile, hieß es zuletzt. Das Amtsgericht Tiergarten habe bislang mehr als 140 Urteile gesprochen, in zwei Fällen seien Beschuldigte freigesprochen worden.

Im Juli hatte es einen Aktivisten zu vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. In England sind zwei Klimaaktivisten – darunter ein Deutscher – zur Abschreckung bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Urteil wurde mittlerweile bestätigt. In Deutschland hatte zuletzt das AG Bad Cannstatt in Stuttgart eine Haftstrafe von zwei Monaten zulasten eines Klimaschützers verfügt – ebenfalls ohne Bewährung.

AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 20.09.2023

Redaktion beck-aktuell, bw, 21. September 2023 (dpa).