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Sachverständige Schätzung der Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden ImmoWertV

BC-Redaktion

BFH Urt. v. 23.1.2024 – IX R 14/23

 

Zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG ist es zulässig, sich jeder sachverständigen Methode zu bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint.

Der schlichte Verweis auf die modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung genügt nicht, um eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 S. 2 EStG darzulegen und nachzuweisen.

 


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Im Streitfall ging es um ein im Jahr 1970 errichtetes Bürogebäude mit Betriebswohnungen und eine Lagerhalle. Im Streitjahr 2014 wurde im Rahmen der Ermittlung der Gebäude-AfA von einer tatsächlichen Nutzungsdauer der Gebäude von nur noch sechs Jahren ausgegangen.

Das Finanzamt erkannte jedoch nur den typisierten festen AfA-Satz für Gebäude von 2% an und somit eine Nutzungsdauer von 50 Jahren (vgl. § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).

Daraufhin holte das vorinstanzliche Finanzgericht (FG) das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken ein. Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten für das Gesamtobjekt eine gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer von 19 Jahren (unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 3 der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) und Anlage 4 der Sachwertrichtlinie (SW-RL)).

Nach Einschätzung des Finanzamts sei jedoch das Sachverständigengutachten nicht geeignet, eine kürzere als die gesetzlich typisierende Nutzungsdauer zu begründen. Aus dem Gutachten ließen sich die für eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer maßgeblichen Determinanten nicht ableiten.

Auf den kapitalisierten Wert eines lebenslangen, fortbestehenden Nießbrauchsrechts an dem Grundstück soll hier nicht näher eingegangen werden. Dieser ist ohnehin nicht Bestandteil der Anschaffungskosten des Grundstücks, wenn der Nießbraucher das Eigentum am belasteten Grundstück erwirbt.

 

 

Lösung

Die Entscheidung des FG, die Gebäude-AfA nicht über 50 Jahre, sondern gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG über nur 19 Jahre zu verteilen, ist (so der BFH) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG können (Wahlrecht!) anstelle der typisierten Absetzungen (gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 EStG) die der tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechenden AfA vorgenommen werden. Die Nutzungsdauer wird bestimmt durch

  • den technischen Verschleiß,
  • die wirtschaftliche Entwertung sowie
  • rechtliche Gegebenheiten,

welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist zunächst von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt (verschleißt). Sofern allerdings die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technische ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Die gewählte sachverständige Methode, um die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer nachzuweisen, muss über die maßgeblichen Determinanten der Nutzungsdauer – insbesondere technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – Aufschluss geben.

Weder § 7 Abs. 4 S. 2 EStG noch § 11c Abs. 1 S. 1 EStDV geben vor, auf welche Weise und anhand welcher Gutachtenmethode der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, zu schätzen ist. Insbesondere die sachverständige Ermittlung der Restnutzungsdauer gemäß § 4 Abs.  ImmoWertV 2021 ist eine gutachterlich anerkannte Schätzungsmethode, die ohne eine gesetzliche Anordnung für steuerrechtliche Schätzungen nicht ausgeschlossen werden kann. Trotz einer im Kern modellhaften (sachverständigen) Berechnung der Nutzungsdauer werden die tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls einbezogen (z.B. durchgeführte Instandsetzungen, Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen). Begründet das Gutachten die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer mit einer wirtschaftlichen Abnutzung oder einer auf rechtlichen Gegebenheiten beruhenden früheren Entwertung, bedarf es keiner sachverständigen Feststellungen zum technischen Verschleiß des Gebäudes, da die kürzere wirtschaftliche oder rechtliche Nutzungsdauer entweder nur bedingt oder zumeist gar nicht vom technischen Gebäudezustand abhängig ist.

Allerdings: Steuerpflichtige können nicht allein durch eine schlichte Bezugnahme auf die modellhaft ermittelte Gesamt- sowie Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden Immobilienwertermittlungsverordnung eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer im Sinne von § 7 Abs. 4 S. 2 EStG darlegen und nachweisen. Vielmehr bedarf es für die Schätzung der Nutzungsdauer einer sachverständigen Begutachtung, wie oben beschrieben.

 

 

Bilanzierungshinweis:

 

Laut einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums ist es zulässig, eine kürzere Nutzungsdauer mit der Folge erhöhter AfA-Beträge geltend zu machen (vgl. BMF 22.2.2023, BStBl. I 2023, 332; BC 2023, 106 ff., Heft 3). Hierbei verlangt die Finanzverwaltung (siehe Randziffern 22 bis 24 des Schreibens), dass der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, zu erbringen ist. Dieses BMF-Schreiben modifiziert u.a. die Rechtsmaßstäbe des BFH-Urteils vom 28.7.2021 – IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108). Denn laut diesem BFH-Urteil dürfen Steuerpflichtige eine verkürzte tatsächliche Nutzungsdauer (als die in § 7 Abs. 4 EStG festgelegte) bei der Ermittlung einer Gebäude-AfA berücksichtigen und sich dabei jeder Darlegungsmethode bedienen. Demgegenüber sind gemäß dem genannten BMF-Schreiben Verkehrswertgutachten z.B. nicht als Nachweis geeignet. Das gilt u.a. auch für die nach der Immobilienwertermittlungsverordnung festgestellte Restnutzungsdauer.

 

[Anm. d. Red.] 

 

 

BC 6/2024

BC20240606

 

 

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