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Bilanzsteuerrecht: Kontroversen zwischen der Beratungs-, Prüfungs- und Gerichtspraxis

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

Wesentliche Aspekte des Münchner Unternehmenssteuerforums vom 31.1.2024

 

In der aktuellen Betriebsprüfungspraxis kommt dem Bilanzsteuerrecht nach Fallzahlen und Höhe der (streitigen) Steuerauswirkungen eine sichtlich gestiegene Bedeutung zu. Gehäuft gelangen streitige Fragen zur Aktivierung von Wirtschaftsgütern und Rechnungsabgrenzungsposten und vor allem zur Rückstellungsbildung und -bewertung vor die Finanzgerichte. Deren Sichtweise orientiert sich jedoch zu wenig an (handelsbilanziellen) Bilanzierungszwecken wie Gläubigerschutz und Kapitalerhaltung. Das gefährdet letztlich sogar die Umsetzung des in der Mittelstandspraxis weitläufig dominierenden Wunschs nach einer Einheitsbilanz.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Ein Großteil der steuerlichen Literatur zum Ertragsteuerrecht ist der Gewinnermittlung und der zutreffenden Periodisierung von Aufwendungen und Erträgen gewidmet. Die Beobachtung, dass aktuell gehäuft streitige Fragen zur Aktivierung von Wirtschaftsgütern und Rechnungsabgrenzungsposten und vor allem zur Rückstellungsbildung vor die Finanzgerichte gelangen, war Ausgangspunkt des 41. Münchner Unternehmenssteuerforums, das als Präsenzveranstaltung im Literaturhaus München am 31.1.2024 stattfand.

Am Anfang der Veranstaltung standen zwei Impulsvorträge:

  • Über aktuelle Rechtsprechung zur bilanziellen Gewinnermittlung berichtete Dr. Peter Brandis (Vorsitzender Richter des I. Senats des BFH, München).
  • Trends im Bilanzsteuerrecht aus Sicht von Unternehmen und Beratern skizzierte anschließend WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz (YPOG, Köln).

Nach diesen einführenden Vorträgen wurden einzelne Aspekte im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Gerhard C. Girlich (Hochschule Biberach) und mit Einbeziehung des Plenums unter Leitung von Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen (LMU München) vertieft. Als zentrale Problempunkte schälten sich heraus:

  • die Auslegung von GoB,
  • die überbordenden Einzelfall-Anforderungen in der BFH-Rechtsprechung sowie
  • das zunehmende Auseinanderklaffen von Handels- und Steuerbilanz.

 

 

Lösung

Hinsichtlich des Bilanzsteuerrechts sind neben (und teilweise in Opposition zu) den testierenden Wirtschaftsprüfern die Finanzgerichte die praxisleitende Instanz zur Bestimmung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung (GoB). Vor diesem Hintergrund wies in seinem Eröffnungsvortrag der BFH-Richter Dr. Peter Brandis auf Schwerpunkte in den Entscheidungen der jüngeren Zeit hin. Insbesondere waren verfassungsrechtliche Anforderungen an gesetzliche Begrenzungen der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB für die steuerrechtliche Gewinnermittlung das Thema (Kammer-Beschluss des BVerfG vom 28.7.2023, 2 BvL 22/17, dazu kürzlich Zwirner im BC-Newsletter). Hiervon sollen nur dauerhafte, aber nicht temporäre Steuereffekte erfasst sein, eine in der späteren Diskussion mit Fragezeichen versehene Auslegung des BFH. Weiteres Thema war das Treuhand-Modell im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge (Pensionstreuhand, BFH Urt. v. 4.5.2022 – I R 19/18) mit den spezifischen Folgen bei Eintritt des Sicherungsfalls (Insolvenz des Arbeitgebers). Die Treuhandgesellschaft wird nicht wirtschaftliche Eigentümerin des übertragenen Vermögens und insoweit auch nicht Steuerschuldnerin.

Zu beachten sind nach Brandis aus 2022/2023 BFH Urt. v. 9.3.2023 – IV R 24/19 (BC 2023, 251, Heft 6) – und BFH Urt. v. 29.9.2022 – IV R 20/19 (BC 2023, 12 f., Heft 1) – zu Ansatz- und Bewertungsvorbehalten. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG regelt den Höchstbetrag. Kritik kam bald auf: Von „fiskalischer Meistbegünstigung“ ist in der Literatur die Rede. Erforderlich ist eine zweistufige Prüfung mit Bewertung nach EStG-Vorschriften und dann dem Vergleich mit dem handelsrechtlichen Wertansatz. Wichtig ist ferner die Entscheidung zum Teilwertansatz bei hybriden Anleihen ohne feste Laufzeit (BFH vom 14.11.2023, XI R 36/20, siehe dazu kürzlich Thurow, BC 2024, 9, Heft 1).

Insgesamt ergibt sich – so Brandis – ein buntes Bild, weil sich im Rahmen eines Zuständigkeits-Mix nicht weniger als sieben BFH-Senate mit bilanzsteuerrechtlichen Fragestellungen befassen.

Eine ganz andere Perspektive als die der BFH-Richter skizzierte WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz (YPOG, Köln), der Trends im Bilanzsteuerrecht aus Sicht von Unternehmen und Beratern in dreierlei Hinsicht unterschied:

1. Wohl und Wehe der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB im Bilanzsteuerrecht: Zwar greift die steuerliche Gewinnermittlung grundsätzlich auf die GoB als ein atmendes System (Gewinnanspruchs-, Ausweis- und Informations-GoB) zurück. Zu beachten ist aber ein steuerlicher Wahlrechtsvorbehalt mit Dokumentationspflicht (Beseitigung der formellen Maßgeblichkeit durch das BilMoG aus 2009, damit also Abkoppelung von der Handelsbilanz). Wichtige Beispiele dafür sind die § 6b-Rücklage (Reinvestitionsrücklage), Teilwertabschreibungen und die voraussichtlich dauernde Wertminderung bzw. Wertaufholung. Es gibt eine Vielzahl von Bewertungsvorbehalten, die den GoB vorgehen. Wichtigstes Beispiel ist die Drohverlustrückstellung, ferner z.B. der Passivierungsaufschub gemäß § 5 Abs. 2a EStG. Kritisiert wurde von Prinz die in der BFH-Rechtsprechung fehlende Wesentlichkeit bei der Rechnungsabgrenzung von Kleinstbeträgen (mehr dazu siehe weiter unten), als eine problemlösende Leitlinie werde insoweit die GWG-Betragsgrenze genannt. In den latenten Steuern gemäß § 274 HGB sieht Prinz ein eigenständiges Beratungsfeld mit zunehmender Bedeutung, weil die Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz zunehmen.

2. Gläubigerschutz/Kapitalerhaltung und Leistungsfähigkeit als Bilanzierungszwecke: Entwickelt habe sich ein Mysterium steuerbilanzieller Rückstellungsbildung, weil der BFH vornehmlich nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip entscheidet. Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) hat sich insoweit gegen einzelne BFH-Entscheidungen gewandt. So sei der Wirtschaftsprüfer aufgefordert, entgegen der BFH-Auffassung Ansammlungsrückstellungen zu bilden. BFH-Entscheidungen zu Aktienoptionsprogrammen und Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit handelsbilanzieller Kappungswirkung sind weitere Beispiele für eine Rechtsprechung, der sich das IDW entgegenstellt. Zuletzt hat die Entscheidung vom 26.7.2023, IV R 22/20, Widerspruch erfahren: Hiernach wurde ein passiver RAP bei zeitraumbezogenen Zahlungen an einen Immobilienentwickler als unzulässig verworfen, weil es gestaltungsabhängige Schätzungen gegeben habe (dazu jüngst Thurow, BC 2023, 460, Heft 10). Der FAB (Fachausschuss Unternehmensberichterstattung) des IDW lehnt auch dies ab.

3. Wohin geht die Reise: IFRS als Ausgangspunkt steuerlicher Gewinnermittlung? Hinsichtlich der Weiterentwicklung des Bilanzsteuerrechts sind zunächst das Mindeststeuergesetz und der BEFIT-Richtlinienvorschlag der EU-Kommission (BEFIT = „Business in Europe: Framework for Income Taxation“: Rahmen für die Unternehmensbesteuerung in Europa) mit geplanter Anwendung ab 1.7.2028 von Bedeutung (dazu in diesem Newsletter der Beitrag hier). Ferner hat insbesondere aus der Perspektive der Großunternehmen eine Diskussion darüber Fahrt aufgenommen, ob die IFRS mit steuerspezifischen Zu- und Abrechnungen ein denkbarer Ersatz für die Maßgeblichkeit sein können. Stattdessen sprach sich Prinz dafür aus, dass das Realisationsprinzip gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB als wirtschaftlicher Grundpfeiler steuerlicher Gewinnermittlung dienen kann. Letzteres ist frei von Fair Values und deshalb gegenüber den IFRS klar vorzuziehen, zumal für kleinere Unternehmen. Prinz appellierte, die Diskussion nicht den Großunternehmen zu überlassen und die deutlich stabilere HGB-Grundlage weiterzuverfolgen.

 

 

Praxishinweise:

  • Im Rahmen der Veranstaltung kristallisierte sich als ein grundsätzliches Problem heraus, dass die Auslegungshoheit der handelsrechtlichen GoB im Wesentlichen beim BFH liegt, obwohl eigentlich der BGH zuständig wäre. Hinzu kommt die nach Prinz problematische Gesetzgebung mit dem Ansatzverbot für Drohverlustrückstellungen. Dieses Grundsatzproblem ist in der Praxis von hoher Brisanz: Bei der Prüfung des Jahresabschlusses ist im Hinblick auf die Anwendbarkeit der BFH-Rechtsprechung vom Wirtschaftsprüfer gemäß Standardvorgaben zu würdigen, ob die Rechtsprechung mit den bestehenden GoB vereinbar ist oder in ihr eine Fortentwicklung der bestehenden GoB zu sehen ist.
  • Mit der faktischen Auslegungshoheit der GoB durch den BFH kommen aber Aspekte wie Gläubigerschutz und Kapitalerhaltung regelmäßig zu kurz, so Prinz. Zu unterscheiden sei zwischen kodifizierten (gesetzlich normierten) und nicht kodifizierten GoB, die quasi noch in Entwicklung sind, beispielsweise hinsichtlich der Krypto-Assets. Die Rechtsnatur von nicht-kodifizierten GoB, so ein Einwand aus der Zuhörerschaft, sei noch nicht genügend durchdrungen.
  • In der Diskussion vertrat Prof. Girlich in wissenschaftlicher Perspektive den Standpunkt, dass die BFH-Entscheidungen handelsbilanziell nicht überbewertet werden sollten. Brandis räumte ein, dass BFH-Entscheidungen immer Einzelfall-Entscheidungen seien, wobei die Verallgemeinerungsfähigkeit oft schwierig zu beurteilen sei. Girlich regte ferner an, dass es ein eigenständiges Steuerbilanzgesetz geben sollte.
  • Der BFH wolle, so betonte noch einmal Prinz in Bezug auf die Rechtsprechung zur Abgrenzung von Kleinstbeträgen (vgl. z.B. BFH Urt. v. 16.3.2021 – X R 34/19, siehe BC 2021, 454 f., Heft 10), den Unsicherheiten bei der Festlegung einer Wesentlichkeitsgrenze entgegenwirken; erforderlich und praxisgerecht sei das aber nicht. Bei manchen Detail-Sachverhalten dürfe man sich, so kommentierte Drüen augenzwinkernd, auf eine Anmerkung der renommierten Bilanzrechtlerin Knobbe-Keuk berufen, wonach auch die Anwendung des Losverfahrens zum Ziel führen könne.
  • Schließlich wurde die Frage der Einheitsbilanz kontrovers diskutiert. Aus der Praxis berichtete Prinz, dass – soweit es eben geht – eine einheitliche Handhabung präferiert werde, schon um den Bearbeitungsaufwand in Grenzen halten zu können: Handelsbilanz gleich Steuerbilanz so weit als möglich; dieser Grundsatz stehe sogar in vielen Gesellschaftsverträgen. Zwar räumte auch Girlich ein, dass viele noch die Einheitsbilanz wollen; er meinte aber, dass man davon im Sinne einer stärkeren Trennung wegkommen müsse, weil die Gesetzeslage nun mal so sei. Das blieb nicht unwidersprochen – es bleibt also spannend!

 

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

 

BC 3/2024

BC20240302

 

 

 

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