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Auflösung einer § 6b-Rücklage (Reinvestitionsrücklage): Verfassungsmäßigkeit des Gewinnzuschlags in Höhe von jährlich 6%?

Christian Thurow

FG Baden-Württemberg Urt. v. 18.9.2023 – 10 K 1459/22 (Revision zugelassen)

 

Seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Höhe der Verzugszinsen gibt es eine Welle an Klagen gegen jede Form der Verzinsung. In einer Klage vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg ging es nun um die Höhe des Gewinnzuschlags bei der Auflösung einer § 6b-Rücklage.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Mithilfe einer sog. § 6b-Rücklage können Steuerpflichtige stille Reserven, welche beim Verkauf eines bestimmten Anlageguts (z.B. Grund und Boden, Gebäude) realisiert wurden, auf ein neu angeschafftes Reinvestitionsgut steuerneutral übertragen. Unterbleibt die Anschaffung eines neuen Wirtschaftsguts, so ist die Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres gewinnerhöhend aufzulösen.

Gemäß § 6b Abs. 7 EStG ist bei einer gewinnerhöhenden Auflösung ein Gewinnzuschlag von 6% für jedes volle Kalenderjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, hinzuzurechnen. Aus Sicht des Klägers war der Zinssatz in dieser Höhe nicht verfassungsgemäß, analog zur BFH-Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Zinsen nach §§ 233a, 238 AO.

 

 

Lösung

Wie schon das FG Münster (Urt. v. 24.8.2022, K 3764/19 E, BC 2022, 484, Heft 11) sieht auch das FG Baden-Württemberg keinen Verfassungskonflikt in der Höhe des Gewinnzuschlags. Die Richter führen dazu im Wesentlichen folgende Argumente an:

  • Der Gewinnzuschlag dient nicht nur dem Zweck des Vorteilsausgleichs, sondern auch der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage. Eine Sanktionierung ist daher zulässig.
  • Bei der Festsetzung von Verzugszinsen nach §§ 233a, 238 AO wird der Zinszeitraum durch die Steuerfestsetzung bestimmt. Die Festsetzung dieses Zeitpunkts liegt außerhalb des direkten Einflussbereichs des Steuerpflichtigen. Bei einer § 6b-Rücklage liegt die Bildung, Nutzung und Auflösung dagegen im direkten Willens- und Einflussbereich des Steuerpflichtigen. Die Festsetzung eines Gewinnzuschlags kann somit durch das Verhalten des Steuerpflichtigen vermieden werden.
  • Gilt für das Bildungsjahr ein höherer Steuersatz, so führt der Gewinnzuschlag zu einer „Verzinsung“ von unter 6%.
  • Die Höhe des Gewinnzuschlags orientiert sich nicht nur an den Kreditzinsen, sondern auch an den Renditeerwartungen. Die Richter führen aus, dass die durchschnittliche Gesamtkapitalrendite in den Streitjahren zwischen 5,78% und 7,33% betrug. Mit 6% fällt der Gewinnzuschlag somit nicht aus dem Rahmen.

 

 

Praxishinweise:

Aufgrund der im Jahr 2023 deutlich gestiegenen Zinssätze wird sich auch der Zinssatz auf Steuernachzahlungen und -erstattungen, der vorerst auf 1,8% p.a. gesenkt wurde, in den nächsten Jahren wieder erhöhen. Bezüglich des Zeitpunkts und des Umfangs der Erhöhung werden Steuerpflichtige und Finanzämter mit Sicherheit unterschiedliche Auffassungen vertreten. Weitere „Zinssatz-Klagen“ sind somit vorprogrammiert.

Die Reinvestitionsfrist (Begünstigungszeitraum) für die Übertragung auf anzuschaffende Wirtschaftsgüter in späteren Jahren beträgt in der Regel vier Jahre; bei neu hergestellten Gebäuden verlängert sie sich (wegen der langen Planungsdauer) auf sechs Jahre, wenn mit der Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Rücklagebildung folgenden Wirtschaftsjahres begonnen worden ist. Durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz wurden die Reinvestitionsfristen vorübergehend verlängert (vgl. BC 2022, 243, Heft 6, i.V.m. BC 2022, 97 f., Heft 3):

  • Die regelmäßige Reinvestitionsfrist von vier Jahren verlängert sich für bestimmte Veranlagungszeiträume coronabedingt bis zum Ende des Jahres 2023, und zwar bei regulärer Auflösung der Reinvestitionsrücklage am Schluss des
    – nach dem 31.12.2021 und vor dem 1.1.2023 endenden Wirtschaftsjahres (in Summe 5 Jahre),
    – nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahres (in Summe 6 Jahre) bzw.
    – nach dem 29.2.2020 und vor dem 1.1.2021 endenden Wirtschaftsjahres (in Summe 7 Jahre).
  • Die verlängerte Reinvestitionsfrist bei neu hergestellten Gebäuden von sechs Jahren verlängert sich für die oben genannten Veranlagungszeiträume coronabedingt auf sieben, acht bzw. neun Jahre.

Durch die vorübergehende Verlängerung der Fristen für die Übertragung stiller Reserven (§ 6b EStG) wird die zwangsweise Auflösung einer Reinvestitionsrücklage verhindert, ohne dass während der Krise eine Reinvestition vorgenommen werden muss.

 

Christian Thurow,  Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

 

BC 1/2024

 

BC20240108

 

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