Untersuchung: Was bedeutet das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes für ein Verbotsverfahren?
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Der Staatsrechtler Markus Ogorek hat die Bedeutung des Verfassungsschutz-Gutachtens für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren untersucht. Die Maßstäbe seien keineswegs so unterschiedlich wie manchmal kolportiert, viele Belege seien auch dort nutzbar. Sofort loszulaufen, empfiehlt er dennoch nicht.  

Seit das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Mai bekannt gegeben hat, dass es die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft, diskutieren Juristinnen und Juristen wie auch die politische Öffentlichkeit über die Bedeutung des Gutachtens mit Blick auf ein mögliches Parteiverbotsverfahren.

Befürworterinnen und Befürworter eines Verbotsantrags - nicht zuletzt in der Regierungspartei SPD - sehen sich bestätigt und fordern, die AfD in Karlsruhe überprüfen zu lassen. Doch kritische Stimmen merken an, dass ein solches Verfahren hochriskant und sein Ausgang ungewiss sei. Manche Kritikerinnen und Kritiker halten das Gutachten des Verfassungsschutzes eher für ein Sammelsurium von unappetitlichen Äußerungen denn für einen Ausweis von gesamtheitlichem Extremismus oder gar Verfassungsfeindlichkeit. Und nicht zuletzt mahnen sie, die Maßstäbe für die sicherheitsbehördliche Einstufung seien völlig andere als jene, die das BVerfG anlegen werde. Unter anderem Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärte, das Gutachten reiche nicht für ein Verbotsverfahren.

Die Diskussion hat Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität zu Köln, zum Anlass genommen, in einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung die Bedeutung des Verfassungsschutz-Gutachtens für ein mögliches Parteiverbotsverfahren zu prüfen. In dem Gutachten, das beck-aktuell vorliegt, analysiert der Staatsrechtler die rechtlichen Maßstäbe beider Prüfungen sowie die im Verfassungsschutz-Gutachten enthaltenen Belege.

Anforderungen für Einstufung und Parteiverbot in wesentlichen Teilen vergleichbar

Ogorek stellt fest, dass die rechtlichen Maßstäbe für die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch und für ein Parteiverbot weitgehend vergleichbar seien. Beide erforderten eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung. Für ein Parteiverbot müsse jedoch zusätzlich nachgewiesen werden, dass die Partei darauf ausgehe, diese Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen.

Für seine Prüfung stellt Ogorek maßgeblich auf die Rechtsprechung des BVerfG im letzten NPD-Urteil ab, in dem das Gericht ein Parteiverbot zum zweiten Mal abgelehnt hatte. "Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine Vergleichbarkeit der rechtlichen Anforderungen an die verfassungsbehördliche Einstufung als gesichert extremistische Partei auf der einen und der Parteiverbotsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG auf der anderen Seite jedenfalls hinsichtlich wesentlicher Tatbestandsvoraussetzungen besteht" heißt es in einem Zwischenfazit des Gutachtens. "Sofern die einzelnen vom BfV aufgeführten Belege dem im AfD-Gutachten aufgestellten rechtlichen Maßstab tatsächlich genügen, ließen sich diese daher grundsätzlich wohl auch im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens als Nachweis einer nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Mitglieder folgenden Ausrichtung der Partei auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung heranziehen." 

Beseitigung der FDGO?

Zwar sei das BfV für seine Einordnung nicht an die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 21 GG gebunden, doch der Nachrichtendienst habe sich bei seiner Einstufung stark an den Vorgaben der Verfassung orientiert, schreibt Ogorek: "Damit liegt jedenfalls dem AfD-Gutachten derselbe Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde, den auch das BVerfG nach neuerer Rechtsprechung für die Prüfung eines Parteiverbots [...] anwendet." Auch das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder beseitigen, wie es das Grundgesetz für ein Parteiverbot fordert, findet sich laut Ogorek sinngemäß im Gutachten des BfV wieder.

Die Frage, ob die Partei auch planvoll darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, lasse sich unter Heranziehung des AfD-Gutachtens indes nicht ohne Weiteres beantworten, schreibt Ogorek. Das BVerfSchG, nach dem sich der Verfassungsschutz für seine Einstufung richtet, kenne den Begriff des "Darauf Ausgehens" nicht.  Der Sache nach aber sieht der Kölner Rechtslehrer das für ein Parteiverbot nötige "planvolle Handeln" der Partei auch im BfV-Gutachten geprüft. Auch der Verfassungsschutz habe sich mit der Potenzialität - also der tatsächlichen Möglichkeit zur Durchsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele, an der seinerzeit das NPD-Verbot scheiterte - wie auch mit dem planvollen Vorgehen der AfD und ihres Anhangs beschäftigt.

Ogorek betont gleichwohl, dass die Schwelle für eine Einstufung durch das BfV niedriger sein könnte als jene, die für eine verfassungsfeindlichen Grundtendenz der Partei im Rahmen von Art. 21  Abs. 2 GG zu fordern sei. Dafür spreche bereits, dass eine Einstufung durch den Verfassungsschutz "wesentlich eingriffsärmer" sei. "Wenn die Nachweise also für eine Einstufung der Gesamtpartei als gesichert extremistisch genügen, bedeutet dies folglich noch nicht ohne Weiteres, dass zugleich auch das Kriterium der verfassungsfeindlichen Grundtendenz i.S.v. Art. 21 Abs. 2 GG erfüllt ist."

Viele Verfassungsschutzbelege auch für Verbotsverfahren nutzbar

Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch untermauerte das BfV in seinem Gutachten mit einer Vielzahl von Belegen. Gut die Hälfte des 63-seitigen Gutachtens des Staatsrechtlers Ogorek widmet sich daher einer "Beweiswürdigung" der meist öffentlichen Äußerungen von AfD-Vertreterinnen und -Vertretern, die schon das BfV überprüft hatte. Akribisch untersucht er dabei verschiedene Beweise - auch solche, die seiner Ansicht nach kein Verbot tragen. Viele sprechen laut Ogorek aber für eine verfassungsfeindliche Gesinnung und könnten auch für ein Parteiverbotsverfahren fruchtbar gemacht werden. Exemplarisch nennt er etwa Verlautbarungen, die ein ethnisches Volksverständnis der AfD dokumentierten,  wie Forderungen nach einer "Remigrationsoffensive", den Begriff "Passdeutsche" oder Äußerungen, die offen bedauern, dass Menschen mit Migrationshintergrund die gleichen staatsbürgerlichen Rechte genießen wie alle anderen.

Das Gutachten betont jedoch auch, dass die Grenze zwischen zulässiger Kritik und einem Menschenwürdeverstoß fließend sei. Einige Äußerungen, die das BfV als verfassungsfeindlich einstufe, könnten bei einer genaueren Prüfung als noch zulässige Meinungsäußerungen bewertet werden. Dies betrifft nach Ansicht Ogoreks insbesondere polemische Kritik an der Einwanderungspolitik und die Verwendung von Metaphern.

Empfehlung: Verwaltungsgerichte abwarten, Zeit nutzen 

Reicht all das nun also für ein Parteiverbot? Das kann auch der Kölner Professor nicht mit Sicherheit sagen. Ogorek zeigt sich aber überzeugt, dass dem BfV-Gutachten "wesentliche Bedeutung im Hinblick auf die Vorbereitung eines etwaigen Parteiverbotsverfahrens zukommen dürfte". Er betont, dass die Entscheidung über ein Parteiverbot allein dem BVerfG obliegt und dass die Verwaltungsgerichte, die noch über eine Klage der AfD gegen die Einstufung als gesichert rechtsextrem zu befinden haben, nicht an die Wertungen des BVerfG gebunden sind.

Doch wenn sie die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch bestätigten, "gibt es hinreichend Grund zu der Annahme, dass auch ein Parteiverbotsverfahren gewisse Erfolgschancen hätte, also nicht von vornherein oder offensichtlich zum Scheitern verurteilt wäre". Ogorek empfiehlt daher, den Ausgang des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten, bevor ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet werde.

In der Zwischenzeit könnte man bereits in einer Arbeitsgruppe einen Schriftsatz erarbeiten, der dann im Zweifel bereitläge, um in Karlsruhe eingereicht zu werden. So könne man vermeiden, dass sich ein Verbotsverfahren noch weiter verzögerte.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 20. August 2025.

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